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Generaldebatte: Abrechnung im Parlament

Wer in der Generaldebatte des Bundestags "alles wird gut" hören wollte, wurde enttäuscht. Die Kanzlerin geht in der großen Krise weiter ihren Weg der kleinen Schritte – und vorerst weiter unbeirrbar.

Von Robert Birnbaum

Ernst Hinsken ist eigentlich kein besonders gefühliger Kerl, aber vorige Woche im Fraktionsvorstand ist ihm das Herz einfach zu voll gewesen. Hinsken, muss man wissen, gehört zu den ganz alten Hasen; seit 1980 haben die Wähler den CSU-Mann immer wieder mit Rekordergebnis in den Bundestag geschickt. So einer weiß ganz gut, wie die da unten denken. So einer spürt genau, wenn die eigenen Leute nervös werden, weil sie nicht mehr richtig verstehen, was die da oben treiben. Hinsken also ist aufgestanden in der Klausursitzung des CDU/CSU-Vorstands und hat gesagt: „Frau Bundeskanzler, Sie müssten jetzt einmal eine Rede an die Nation halten! Nicht so wie sonst im Bundestag, wo die anderen gleich wieder widersprechen, sondern direkt ans Volk, einen richtigen Hammerschlag!“ Angela Merkel hat ihn freundlich angeschaut, dann hat sie den Kopf geschüttelt und geantwortet, das sei ja schön und gut gemeint. Aber so ungewiss, wie die Entwicklung sei: „Soll ich den Leuten sagen, alles wird wieder gut?“

Ob Hinsken an die kleine Szene denkt, wenn er seine Kanzlerin jetzt da vorn im Bundestag am Rednerpult stehen sieht? Merkel trägt Schwarz. Als sie morgens zur Generaldebatte in der Haushaltswoche in den Reichstag kommt, treten einzelne Abgeordnete zu ihr und drücken ihre Hand. Später wird SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier öffentlich sein Beileid aussprechen zum Tod ihres Vaters. Merkel dankt knapp. Der Tod ist ihr nahegegangen, sie macht kein Geheimnis daraus, aber sie will auch nichts davon hermachen. Dass Steinmeier in der traditionellen Attacke des Oppositionsführers die Regierungschefin ausspart und sich stattdessen am Finanzminister und am Außenminister abarbeitet, ist eine Form der Rücksichtnahme, auf die sie vermutlich nicht bestehen würde.

Lesen sie weiter, warum der erwünschte „Hammerschlag“ ausbleibt.

Jedenfalls steht sie jetzt da oben am Pult wie immer. Die Generaldebatte in der Haushaltswoche ist normalerweise der Tag, an dem die Kanzlerin ihre ganze Politik verteidigt. Ein bisschen tut Merkel das auch. „Deutschland geht es gut, und das ist ein Anlass zur Freude“, sagt sie zum Beispiel, rechnet Wachstumsraten vor und Arbeitslosenzahlen und dass die CDU ihr zentrales Wahlversprechen gehalten habe, dass das Land aus der Finanzkrise stärker herausgekommen als hineingegangen sei. Normalerweise, fährt Merkel fort, würde sie jetzt all die anderen Taten der Regierung und die guten Pläne für die zweite Hälfte der Regierungszeit aufzählen. „Aber wir leben nicht in normalen Zeiten“, fährt sie fort. „Wir stehen vor Herausforderungen, die man getrost historisch nennen kann.“

Spätestens in dem Moment muss dem Konditormeister Hinsken klar geworden sein, dass es wieder nichts wird mit der Rede an die Nation. „Getrost“ – so klingt kein Hammerschlag.

Aber vielleicht ist der Hammer ja wirklich das falsche Instrument, wenn eine Regierungschefin verhindern will, dass ihr schwankender Rückhalt in den eigenen Reihen zusammenbricht. Dass Merkels Rede genau diesem Zweck dient, ist offensichtlich. Deshalb zum Beispiel dankt sie den Sozialdemokraten und den Grünen nicht etwa dafür, dass die demnächst den Gesetzentwurf zur Ausweitung des Euro- Rettungsfonds EFSF mittragen wollen, sondern attackiert sie: „Es war Rot-Grün, die wider besseres Wissen Griechenland in den Euro-Raum aufgenommen haben!“ Solche Sätze sichern Beifall von den gut besetzten Koalitionsbänken.

Andererseits hält sich die CDU-Chefin noch zurück, jedenfalls gemessen am ersten Redner des Tages. Guido Westerwelle wäre eigentlich erst nach der Kanzlerin an der Reihe gewesen. Aber weil das Verfassungsgericht dann mit seinem Euro-Urteil mitten in die Kanzlerinnenrede geplatzt wäre, hat der Bundestag die Tagesordnung umgestellt und den Haushalt des Auswärtigen Amtes vorgezogen. Westerwelle hat bekanntlich schwere Tage hinter sich und komplizierte vor sich. Direkt neben ihm auf der Regierungsbank sitzt Philipp Rösler, der Mann, der ihm den FDP-Vorsitz weggenommen hat und es mit dem Ministerium versucht hat. Westerwelle führt ihm jetzt vor, wie man sich Rote und Grüne aber mal so richtig vornimmt. Den Stabilitätspakt 2004 aufzukündigen und die Griechen in den Euro zu lassen, das sei „der größte historische Fehler in der Nachkriegsgeschichte!“.

Bei der FDP klatschen sie. Bei der Union bleibt der Applaus eher spärlich. Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff wird Westerwelle kurz darauf vorführen, wie man diese Sache mit Libyen auch hätte behandeln können: Deutschland, sagt Schockenhoff, habe sich mit guten Gründen aus dem Libyen-Krieg herausgehalten. Jetzt sei es froh, dass seine Befürchtungen nicht eingetreten seien, und danke den Verbündeten für Hilfe beim Sturz des Diktators.

Ansonsten findet das Elend des Guido Westerwelle aber in der Debatte keine größere Erwähnung. Merkel sagt kein einziges Wort dazu. Dass am Montag in der Probeabstimmung über das Euro-Paket in der FDP-Fraktion nur zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen gezählt wurden, ist eins der wenigen erfreulichen Signale dieser Woche für die Kanzlerin. Die FDP galt lange als Hort der Euro-Skepsis. Jedes Wort, das den Koalitionspartner ärgern könnte, wäre ein Wort zu viel.

Die zwölf Nein-Stimmen und die sieben Enthaltungen in der eigenen Unionsfraktion sind weniger erfreulich. Zwar hat schon vor diesem Votum Fraktionschef Volker Kauder die leicht verunglückte Parole ausgegeben: „Wir werden dafür sorgen, dass es immer so abläuft: Erst ist die Mehrheit in Gefahr, und dann haben wir sie.“ Aber Merkel weiß auch: Dafür sorgen muss vor allem sie. Alle anderen können höchstens helfen. Wie Wolfgang Schäuble das am Vortag getan hat mit einem starken Plädoyer für ein stärkeres Europa.

Lesen Sie weiter: Über Steinmeiers Generalverriss.

Horst Seehofer hat es mal wieder eher nicht getan. Der CSU-Chef meldet sich pünktlich zur Haushaltsdebatte via „Bild“-Zeitung zu Wort. Das Wort fällt ein bisschen irritierend aus. Merkel und Schäuble versichern immer wieder, niemand wolle Griechenland aus dem Euro drängen – Seehofer sagt: „Ich halte das nicht für ausgeschlossen.“ Auch die Seehofer’sche Erwartung, „dass die Koalitionsabgeordneten mit Kanzlermehrheit zustimmen werden“, ist nicht richtig nett, versuchen sie in Berlin doch gerade, die symbolische Hürde für eine „eigene Mehrheit“ von Union und FDP auf eine einfache Mehrheit zu senken.

Merkel geht auch darauf nicht ein. Sie sagt nichts zu Steinmeiers Generalverriss, der über die Kanzlerinnen-Formel von der „Politik der kleinen Schritte“ spottet, das sei doch in Wahrheit eine „Politik des periodischen Dementis“ – erst alles ablehnen, dann es doch machen, von einer Finanztransaktionssteuer bis zu einer europäischen Wirtschaftsregierung. „Keine Ihrer Botschaften hat länger als sechs Monate gehalten!“, ruft Steinmeier. „Sie irren von Raum zu Raum wie in einem schlechten Science-Fiction-Film und finden den Weg nicht zurück!“

Auf der Regierungsbank wirken sie gereizt bei diesen Anwürfen. Schäuble schüttelt energisch den Kopf. In der ersten Unionsbank wirft Kauder einmal die Arme in die Luft vor Ärger. Recht dünnhäutig wirken sie, die Regierenden.

Merkel geht auf all das kaum ein. Sie hält keine Rede an das Parlament und nur am Rande eine Rede an das Volk; sie hält eine Rede an die eigenen Truppen. Ein bisschen Pathos ist sogar dabei, eine Erinnerung an die „Gründerväter“ Europas, und dass es die Aufgabe der jetzigen Generation sei, deren Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. „Länder, die eine gemeinsame Währung haben, die führen nie Krieg gegeneinander“, sagt die CDU-Chefin. Der Satz ist ein fernes Echo aus dem Sprachschatz Helmut Kohls, eine kleine Verbeugung vor dem Alten, der sie vor kurzem so rüde attackiert hat. Aus dem Mund der nüchternen Realpolitikerin wirkt er seltsam fremd.

Und Realpolitik ist das, was die Kanzlerin den Ihren predigt: ein langer Weg, ein schwieriger Weg, ein Weg, der Risiken in Kauf nimmt, und auf dem man sich Schritt für Schritt voranbewegen müsse. „Wir haben keine Diskussion am theoretischen Reißbrett“, sagt Merkel. Die Weltwirtschaft sei wie ein feines Netz – wer den falschen Faden kappe, könne alles zum Einsturz bringen.

Der Beifall am Schluss ist echt, auch wenn er hinterher wieder in dieses peinlich-rhythmische Klatschen übergeht, mit dem sich Parteien in bedrängter Lage gerne selbst Mut machen. Gregor Gysi, der als Nächster dran ist, dankt ironisch für den „langen Begrüßungsapplaus“.

Merkel in ihrer Regierungsbank wirkt mehr angespannt als erleichtert. Sie weiß wahrscheinlich, dass sie Leute wie Ernst Hinsken jetzt ein bisschen enttäuscht hat. Vielleicht ahnt sie auch, dass die da vorne in den Bänken vor ihr gar nicht noch mal hören wollen, wie verteufelt kompliziert die Lage ist und wie „fragil“ – sie hat das Wort am Montag vor der Fraktion benutzt, als es darum ging, ob Griechenland seine Zusagen erfüllen kann und will. Die da vorne wollen einfach nur darauf vertrauen können, dass alles wieder gut wird. Aber das wird es so schnell nicht. Und noch etwas hat Merkel dem Ernst Hinsken damals zu bedenken gegeben: Eine Rede an die Nation könne man, wenn überhaupt, nur einmal halten.

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