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Merkel im KZ Dachau: Zwischen Gedenken und Wahlkampf

Es ist ein stiller Termin, den Merkel im KZ Dachau absolviert: Ein Grüppchen, das klein wird vor der Übermacht des Ortes. Merkel legt einen Kranz nieder, als erste Regierungschefin überhaupt hat sie das Lager besucht. Trotzdem: Ein seltsames Gefühl bleibt - denn direkt danach geht es für die Bundeskanzlerin in ein launiges Bierzelt.

Es erscheint wie ein kleines Grüppchen, das sich am frühen Abend auf diesem riesigen einstigen Appellplatz in der KZ-Gedenkstätte Dachau versammelt. Auf der einen Seite eine Reihe der Lagerbaracken, die noch steht. Auf der anderen die Mauer mit den Wachtürmen. Das Gefühl, möglichst klein und nichtig zu sein, sollten die Gefangenen in dem Konzentrationslager auch haben. „Der Sadismus der Wärter bestimmte hier zwölf Jahre lang das Leben“, sagt Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, in seiner kurzen Ansprache. Dabei ist die Gruppe gar nicht so klein, wie es die Architektonik des Platzes suggeriert: Da sind Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Gefolge, KZ-Überlebende, Vertreter des Landtags, Gäste, Journalisten. Man kann es ein historisches Ereignis nennen – erstmals überhaupt besucht ein deutscher Regierungschef, in diesem Fall eine Chefin, die Gedenkstätte.

Zu Fuß kommt Merkel den Platz entlang, dunkelgrauer Hosenanzug, gemessener Gang. Neben ihr wird Max Mannheimer im Rollstuhl geschoben. Der 93-jährige ehemalige Häftling mit dem wallenden grauen Haar steht heute wie kein anderer Überlebender für die Opfer – er ist Vorsitzender der „Lagergemeinschaft Dachau“ und, nebenbei, Sozialdemokrat. Mannheimer, so sagt Regierungssprecher Steffen Seibert, habe die Kanzlerin eingeladen, nachdem er von ihrem geplanten Auftritt in der Stadt erfahren habe.

Die Kanzlerin steht die meiste Zeit still da, dann sagt sie eindringlich in ihrer Rede, dass sie „tiefe Trauer und Scham“ empfinde. Und stellt die Frage: „Warum ging die übergroße Mehrheit der Deutschen nicht dagegen vor, sondern ließ es zumindest zu?“ Die Erinnerung müsse von Generation zu Generation weitergegeben werden. „Junge Menschen müssen wissen, welches Leid von Deutschland ausgegangen ist.“

Auf den zwölf Stühlen vor dem Redepult sitzen zwölf Überlebende. Sie blicken auf die bekannte Skulptur mit den grausam verrenkten Skeletten zwischen Stacheldraht. Abba Naor ist einer von ihnen. Nach der Befreiung ging er nach Israel. Mit Blick auf die deutsche Debatte, ob ein Besuch der Kanzlerin kurz vor der Bundestagswahl und direkt vor einem Wahlkampfauftritt in Dachau angemessen sei, sagt er: „Angela Merkel macht das Richtige.“ Er wolle sich aber nicht in diese „innerdeutsche Debatte“ einschalten.

Im Vorfeld des Besuches hatte sich die Diskussion entzündet. Immerhin hätte die Kanzlerin seit dem Jahr 2005 genug Zeit für einen solchen Termin gehabt. Und in München war sie oft, etwa regelmäßig als Gastrednerin bei CSU-Parteitagen. Der Historiker und NS-Forscher Wolfgang Benz sagte, die Visite sei eine „verschämte Gelegenheit“ für Merkel. Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast sprach von einer „geschmacklosen Kombination“.

Natürlich hinterlässt der Besuch auch ein wenig einen schalen Geschmack. Karl Freller lobt zwar: „Keiner hat bisher den Weg hierher gefunden – Sie schon.“ Doch eine Stippvisite so en passant erinnert auch an die lange zur Seite geschobene Geschichte Dachaus. Nach dem Krieg waren Flüchtlingsfamilien in den KZ-Baracken untergebracht. Über Jahrzehnte schien die Stadt im Umkreis von München das einstige Konzentrationslager gar nicht wahrhaben wollen. Mehr als 42 000 Menschen sind dort umgekommen, es gab mehr als 200 000 Gefangene. Als eines der ersten KZ war Dachau für die Nazis auch eine Art Lehranstalt für die Vernichtungslager im Osten.

Die Überlebenden zeigen großen Respekt für Merkels Besuch. Max Mannheimer ist tief befriedigt und überreicht ihr zwei von ihm verfasste Bücher. Und Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, sagt nach Merkels Rede: „Sie zeigt Verantwortung und Geschichtsbewusstsein.“ Die Holocaust-Überlebenden sähen den Besuch als „große Auszeichnung“.

Dann zieht die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende weiter, der Hebel scheint nun komplett umgelegt zu werden. Die Anhänger im Bierzelt beim Dachauer Volksfest warten.

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