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Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, bei Protesten in Kairo

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Ägypten: Das alte Regime ist noch lange nicht am Ende

Betrügen die Generäle das Volk? Viele Ägypter fürchten, die Todesmeldung Mubaraks könnte inszeniert gewesen sein. Am Donnerstag wird der neue Präsident bekannt gegeben. Das Land könnte wieder in Turbulenzen stürzen.

Plötzlich schallt Jubel über den Tahrir-Platz. Aus tausenden Kehlen bündeln sich die Schreie, Feuerwerksraketen jagen in den schwülen Nachthimmel. Menschen vollführen kurze Freudentänze, andere liegen sich in den Armen, wieder andere reagieren still und betreten. Hosni Mubarak sei klinisch tot – wie ein Lauffeuer verbreitete sich eine Stunde vor Mitternacht die Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Mena auf dem legendären Kreisverkehr im Herzen Kairos. Zehntausende hatten sich dort eingefunden, meist Muslimbrüder und Salafisten, um gegen die Auflösung des Parlaments, den Obersten Militärrat und dessen jüngste Selbstermächtigung per Sammeldekret zu protestieren.

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„Nieder mit der Militärherrschaft“, skandierten sie und „Das Parlament ist rechtens“. Andere schworen „beim Blut der Märtyrer, wir werden eine neue Revolution machen“. Eltern hatten ihre Kinder mitgebracht, manche Mütter ihre Neugeborenen auf dem Arm, viele ließen sich die Farben der Flagge Ägyptens auf die Backen malen, andere trugen Fotos von Mohamed Mursi um den Hals, dem wahrscheinlichen Sieger im Präsidentschaftsrennen um die Nachfolge von Mubarak.

Nach Mitternacht sahen sich Militärrat und Innenministerium dann genötigt, die Alarmmeldungen zu Mubaraks „klinischem Tod“ zurechtzurücken. „Alles Unsinn“, kanzelte General Said Abbas die Fragesteller ab. Sein Kollege General Mamdouh Shaheen erklärte, der 84-jährige Ex-Präsident habe einen Herzinfarkt erlitten und ein Blutgerinnsel im Gehirn. Am Mittwochnachmittag ließen die behandelnden Ärzte dann durchsickern, Mubarak liege in gar keinem tiefen Koma, seine Organe funktionierten. So wächst bei den verunsicherten Bürgern der Verdacht, das nächtliche Drama sei inszeniert worden, um den Ex-Präsidenten nach 17 Tagen Haft ohne große öffentliche Proteste aus dem Toragefängnis herauszubekommen, wo er seit 2. Juni inhaftiert ist.

Alles nur ein Medienspektakel?

„Alles nur ein Medienspektakel, um die Aufmerksamkeit von den neuen Verfassungsartikeln des Militärs abzulenken“, glaubt eine Demonstrantin. „Wir werden den Tahrir erst wieder verlassen, wenn der Oberste Militärrat abgedankt hat.“ Die Aktivisten der Demokratiebewegung fürchten, von den Generälen um den Lohn ihrer Revolution betrogen zu werden. Die Muslimbruderschaft dagegen sieht sich vor einer totalen Konfrontation mit den Militärherrschern und Netzwerken des alten Regimes. Denn diese sehen ihre Chance gekommen, den revolutionären Spuk zu beenden und scharen sich um den Gegenkandidaten, Ex-Premier Ahmed Schafik. Dessen Sprecher beharrte darauf, „General Schafik“ habe die Wahl mit 51,5 Prozent gewonnen. Von den Muslimbrüdern vorgelegte Resultate seien „definitiv falsch“.

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Die Muslimbrüder verteilten auf einer Pressekonferenz ein ganzes Kompendium, in dem die Kopien der offiziellen Schlussbilanzen aus allen 27 Governorraten nebst Stempel und Unterschrift der zuständigen Richter zusammengeheftet waren. Am Mittwoch hörte die Hohe Wahlkommission beide Kontrahenten an. Am Donnerstag will sie offiziell den Sieger bekannt geben.

Erklärt sie Schafik zum Präsidenten, haben die Kräfte des alten Regimes wieder die Oberhand. Ägypten wird in neue, schwere Turbulenzen stürzen, Gewalttaten radikaler Islamisten wie in den 90ern nicht ausgeschlossen. Wird Mursi Staatschef, steht Ägypten vor einer schier endlosen Zerreißprobe. Ex-US- Präsident Jimmy Carter zeigte sich denn auch tief beunruhigt über „die undemokratische Wende, die Ägypten genommen hat“. Anders als bei der ersten Runde, seien internationale Beobachter bei der Stichwahl „Einschüchterungen durch Militärangehörige ausgesetzt gewesen“. Die Restriktionen widersprächen „den Grundprinzipien einer glaubwürdigen und effektiven Wahlbeobachtung“, so der 87-jährige Architekt des Camp-David-Friedensabkommens. Unter solchen Umständen werde man keine weitere Wahl beobachten.

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