zum Hauptinhalt
Hasardeure, Spaßpartei? Vielleicht ist es auch die Selbstinszenierung der Piraten, die das Misstrauen weiterhin groß erscheinen lässt.

© dpa

Piraten in den Medien: Der lange Arm der jungen Wähler

Die Piraten sind im Abgeordnetenhaus. Die, die das verantworten, müssen sich als Protestwähler verunglimpfen lassen. Dabei gab es Gründe für ihre Entscheidung. Gute sogar.

Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass die Piraten am Sonntagabend im “Ritter Butzke” versammelt waren. Vielleicht war es nicht schlecht, dass sie im Moment ihres größten Erfolges nicht dem Vorurteil zur Ehre gereichten und nur vor irgendeiner Kiste hingen, sondern ganz real feierten und schwitzten. Die virtuelle Welt, sie wäre für Sieger aus der echten vielleicht doch zu niederziehend gewesen.

Das Netz ist – das wissen die Piraten, die dort groß geworden sind, sicher am besten – kleinmütig. Und wo Piraten außerhalb des Netzes eine Wahl gewinnen, kommt der Kleinmut im Netz von rechtsoben: Da twitterte spottend die rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner und spottete twitternd die Junge Union. Da wurde noch einmal ein „Best of“ aller peinlichen Auftritte von Piraten, die sich jemals irgendwo vor irgendwelchen laufenden Kameras verhaspelten, zusammengeschnitten. Und da wurde nicht zuletzt auf konservativen Nachrichtenplattformen immer wieder die Frage gestellt: Wer wählt eigentlich sowas? Oder zu deutsch: Wer ist so bescheuert?

Eine Antwort darauf versuchten die klassischen Medien zu geben. Es seien „Protestwähler“, referierte Theo Koll im ZDF und fingerte am Touchscreen herum. Allein: Worin der Protest in diesem Fall lag, und ob Protest immer so schlecht, unüberlegt und naiv ist, wie es aus Kolls Mund unweigerlich klang, das sagte er nicht.

Dabei hätte sich doch hierzu Kluges bemerken lassen: zum Beispiel, dass der Protestwähler in diesem Fall einmal nicht auf populistische Rechts- oder Linksaußen gesetzt hat. Und dass es auch für nichtpickelige, nichtweltfremde und nichtjunge Menschen durchaus kluge Gründe gab, die Piratenpartei zu wählen. Ferner: Dass diese Gründe weniger in der nun auch nach der Wahl hektisch und hämisch zitierten Forderung nach freiem S-Bahn-Verkehr und Cannabis-Legalisierung liegen, als vielmehr in der Art, wie bei den Piraten Demokratie prozessiert wird: offen, idealistisch, und dank einer emphatischen Zugriffsweise auf Errungenschaften des Informationszeitalters auch gar nicht mal so ineffizient.

Ist es dumm, sich für Neues einzusetzen? Ist es naiv, sich über neue Formen der Mitsprache Gedanken zu machen? Ist es blöd, eine Partei zu wählen, weil man sich von ihr Impulse auf Möglichkeiten von Bürgerbeteiligung auf Landes- und Bezirksebene erhofft? Oder ist es vielmehr verantwortungslos, aus einer politischen "Luxuslaune" heraus, die derart grundsätzliche, demokratietheoretische Gedanken wahlentscheidend werden lässt, 14 Menschen in die Parlamentspolitik zu spülen, die dort nun fünf ganze Jahre verbleiben sollen, eine sehr langfristige Perspektive für ein dann doch sehr kurzfristiges Stimmungsumschwung im September 2011?

Spätestens mit dieser letzten kritischen Frage bekommen die Piraten im Parlament ihre Berechtigung. Denn auch wenn sie in fünf Jahren zerstritten, erfolglos und weit entfernt von dem sein werden, was auch immer sich fast neun Prozent der Wähler am 18. September 2011 gewünscht haben. Zumindest symbolisch noch für eines stehen: für die kritische Hinterfragung eines Systems, das genau so etwas möglich macht. Das es möglich macht, dass da noch 2016 irgendwelche „Politamateure“ in viel zu großer Fraktion im Parlament sitzen, nur, weil es an einem Septembertag im Jahr 2011 – auch das war gestern ein Dauerthema in Netz und TV – so stark geregnet hat, dass unverhältnismäßig viele Protestwähler ...

Zur Startseite