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Röslers FDP wird zeigen müssen, dass sie den Realitätscheck ernst nimmt: Welche Antworten findet sie für die Menschen, die unterhalb der Lohngrenze arbeiten, die notwendig ist, damit man sein Leben selbstbestimmt leben und finanzieren kann?

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FDP-Parteitag: Genschers Zeiten sind vorbei

Philipp Rösler sagt, dass die FDP sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen will. Höchste Zeit - und vielleicht ist es schon zu spät dafür.

Von Antje Sirleschtov

Sie nicht zu mögen, das ist nicht schwer. Zu weit hat sich die FDP und zuvorderst ihr Führungspersonal in den vergangenen Jahren von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt und aus dem Liberalismus, dieser tief im Bürgerbewusstsein begründeten Lebensauffassung, ein Dogma gemacht und daraus den Anspruch zur politischen Macht entwickelt.

Doch die Welt ist heute eine andere als zu den Hochzeiten der FDP unter Hans-Dietrich Genscher. Die Macht globaler Konzerne und Finanzmärkte, die Öffnung des Arbeitsmarktes für Billiglöhne und nicht zuletzt die Frage, was aus Europa werden soll, verlangen andere, moderne Antworten. Und zwar solche, die sich nicht nur an Selbstständige und Besserverdienende richten. Sie konnte man vielleicht noch vor einigen Jahren mit dem Traum von Steuersenkungen für alle und Mindestlöhne für niemanden zur Stimme an der Wahlurne bewegen. Wer das nicht erkennt und daraus Schlussfolgerungen zieht, wird bei jeder Wahlentscheidung wieder um den Einzug in Parlamente zittern – und darauf setzen müssen, vom großen Koalitionspartner mit Leihstimmen über die Fünf-Prozent-Grenze gehoben zu werden. Mit eigenständigem Bewusstsein einer Partei und gar mit liberalem Selbstverständnis hat das dann allerdings nichts mehr zu tun.

Philipp Rösler hat das schon geahnt, als er vor zwei Jahren – mehr aus der Not geboren – den Chefposten der FDP übernommen hat. Und er hat es bei diesem Parteitag in Berlin noch einmal betont. So geht es nicht weiter, so wird die FDP vielleicht noch ein paar Jahre als Mittel zum Machterhalt von anderen über Wasser gehalten werden. Aber so wird sie langsam als politische Kraft versiegen. Röslers Botschaft von Berlin lautet also: Lasst uns die Realität betrachten und fragen, wie wir mit den Mitteln des Liberalismus Antworten auf die Fragen der Menschen finden. Ein zutiefst bürgerlicher Anspruch ist das und damit einer, den man nicht sofort wegwischen sollte.

Doch schöne Worte sind in der Politik allenfalls ein Anfang. Ein wichtiger zwar, weil Politik die Menschen aus ihren Alltagssorgen zuerst mit Worten herausreißen und für Politik interessieren kann.

Aber Worte sind eben nur ein Anfang. Röslers FDP wird zeigen müssen, dass sie den Realitätscheck ernst nimmt. Welche Antworten findet sie für die Menschen, die unterhalb der Lohngrenze arbeiten, die notwendig ist, damit man sein Leben selbstbestimmt leben und finanzieren kann? Wenn schon kein Mindestlohn, der überall in Deutschland gleich hoch ist, wie soll dem Anspruch, der einst zu den Grundpfeilern des Liberalismus gezählt hat, zu neuer Geltung verholfen werden? Herausmogeln gilt nicht mehr. Die FDP wird eine Antwort geben müssen, die überzeugt, oder sie wird ihren Ruf, Partei der Reichen zu sein, nicht loswerden. Das gleiche gilt, prinzipiell, für die Frage von Gleichstellung. Es ist leicht, sich als Retter homosexueller Lebenspartnerschaften aufzuspielen, wenn es nichts kostet. Mal seh’n, wie groß der Mut der Liberalen noch ist, wenn es zur Abstimmung kommt und ein Bekenntnis mit der Machtfrage verbunden ist. Die Wähler können im Herbst darüber entscheiden, ob die FDP noch eine Chance bekommen soll.

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