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Serie Bundestagswahlen: 1990: Die Schwarz-Rot-Gold-Wahlen

Die deutsche Einheit wird demokratisch besiegelt. Schwarz-Gelb gewinnt, weil SPD und Grüne dem historischen Moment zu wenig abgewinnen können.

2. Dezember 1990 – ein historisches Datum. Die Einheitswahlen finden statt. Die politische Klasse in Bonn und die Politbürokraten in Ost-Berlin hätten nur wenige Jahre zuvor nicht geglaubt, was in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1990 passieren sollte: die demokratische Bestätigung der Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik. Gut ein Jahr zuvor war die Mauer gefallen, die SED-Herrschaft wurde hinweggefegt, es gab die ersten und letzten demokratischen Volkskammerwahlen, die Regierungen verhandelten einen Einigungsvertrag, es sollte nun möglichst schnell zusammenwachsen, was zusammengehört (das war der berühmte Spruch Willy Brandts, der unter den führenden Sozialdemokraten die neue Zeit vielleicht am schnellsten kapiert und angenommen hatte – viele aber verharrten in einer Art Opposition gegen den Einigungsprozess, was sich bei den Wahlen bitter rächen sollte).

Die ersten Illusionen waren zwar im Dezember 1990 schon verschwunden, im Westen dämmerte es nun schon vielen Wählern, dass die Sache teuer würde, aber das wahre Ausmaß war unklar. Im Osten zeigten sich die gravierenden wirtschaftlichen Folgen der DDR-Staatspleite, aber die Hoffnung überwog. Die Einheit war das einzige Thema dieser Wahl (die Golfkrise und der sich parallel zum Wahlkampf anbahnende Krieg gegen den Irak spielten keine Rolle).

 Oskar Lafontaines Bedenken

Wäre die DDR nicht zusammengestürzt, die SPD hätte die Wahlen möglicherweise gewonnen. Helmut Kohl war als Kanzler und Parteichef in den Jahren davor nicht nur umstritten, er war deutlich angeschlagen. In der eigenen Partei hatte es 1987 einen Absetzungsversuch gegeben (die Frondeure, unter ihnen Lothar Späth, der als neuer Kanzler ausersehen war, verließ jedoch der Mut).  In der SPD hatte sich Oskar Lafontaine nach vorne gekämpft, der für eine rot-grüne Koalition stand, die Ende der 80er Jahre durchaus Chancen hatte. Aber Kohls recht geradlinige Strategie, die Vereinigung der beiden Staaten rasch voranzutreiben, kam bei den Wähler deutlich besser an als Lafontaines Bedenkenträgerei (die zwar möglicherweise der ökonomischen Weisheit näher war, aber nicht der politischen).

 "Blühende Landschaften"

Der Hauptstreitpunkt war die Finanzierung der Einheit, letztlich also die Abwicklung der maroden Teile der DDR-Wirtschaft und der Wiederaufbau der flächendeckend heruntergekommenen Infrastruktur. Kohl versprach „blühende Landschaften“ (er nannte kein Datum, sprach aber von „schon bald“), lehnte Steuererhöhungen ab und fuhr einen klaren Wahlsieg ein. Aber keinen grandiosen – der Einheitskanzler war keineswegs der absolute Triumphator. Die Union kam auf 43,8 Prozent, das bis dahin schlechteste Ergebnis seit 1949.

Es war eher die FDP unter Führung von Hans-Dietrich Genscher, die von der Einheit (und der Popularität des Außenministers in den ostdeutschen Ländern) profitierte. Sie kam auf elf Prozent (und auf ein Direktmandat in Halle, Genschers Geburtsstadt). Die SPD brach regelrecht ein, Lafontaines „Realismus-Wahlkampf“, der in der Forderung nach höheren Steuern gipfelte, zog nicht. Der Saarländer konnte auch mit dem Nationalpathos, das herrschte, wenig anfangen – aber das war nun einmal im Osten vorhanden, und es war verständlich. Nur 33,5 Prozent der Wähler votierten für die SPD (im Osten war es nur ein Viertel), es war ein Rückfall in die Zeit vor der Godesberger Wende. Es war ein schwacher Trost (und ein Zeichen für den Zynismus der Macht des siegreichen Kanzlers), dass die schwarz-gelbe Koalition, die nun Gesamtdeutschland regierte, wenige Wochen nach der Wahl im Februar 1991 höhere Steuern beschloss.

 Karlsruhe hilft Grünen und PDS  

Die Grünen und auch die Partei des Demokratischen Sozialismus - so nannte sich jetzt die um die schlimmsten Altkader bereinigte SED - wären nicht im Bundestag vertreten gewesen, hätte nicht das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Wahlvertrag die politischen Gruppierungen in der DDR benachteilige (die Richter dachten natürlich vor allem an die Bürgerbewegung, nicht an die SED-Nachfolger). Die bundesweite Fünfprozenthürde wurde von Karlsruhe gekippt, es gab in der Hinsicht somit zwei Wahlgebiete, eine etwas kuriose Situation: Die Einheitswahl wurde getrennt ausgezählt, als ob BRD und DDR noch existierten.

Dadurch schaffte es das ostdeutsche Bündnis90 (mit dem Zusatz Die Grünen) in den Bundestag dank 6,2 Prozent in den neuen Ländern (im Westen waren es 4,8 Prozent: das parlamentarische Fähnlein der Partei wurde vier Jahre lang allein von acht ostdeutschen Abgeordneten weitergetragen). Auch die PDS rettete sich dank 11,1 Prozent im Osten in das erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament seit 1932. Bundesweit waren die Grünen auf 5,1 Prozent gekommen, die PDS landete bei 2,4 Prozent.

Schwarz-Gelb hatte eine satte Mehrheit. Helmut Kohl, nun Kanzler der Einheit genannt, konnte mit dem Wahlsieg seine innenpolitisch durchwachsene Amtsperiode der 80er Jahre vergessen machen; dass er nach 1982 eine engagierte und glaubwürdige Europapolitik gemacht hatte, zahlte sich nun aber aus, denn außenpolitisch konnte die deutsche Einheit – gegen starke Bedenken vor allem in Großbritannien und Frankreich – in kurzer Zeit durchgesetzt werden. Am Kabinettstisch in Bonn saßen nun auch Ostdeutsche – am unteren Ende eine unscheinbare junge Frau namens Angela Merkel, die für Frauen und Jugend zuständig war.

Die weiteren Teile der Serie zu den Bundestagswahlen lesen sie hier.

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