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Ganz schön bunt hier. Der nächste Bundestag wird voraussichtlich wieder fünf Fraktionen haben.

© picture-alliance/dpa, Montage: Thomas Mika

Koalitionsmöglichkeiten nach der Bundestagswahl: Der Wähler mischt mit

Schwarz-Gelb wollen die einen, Rot-Grün die anderen. Doch bei der Bundestagswahl am 22. September könnte es auch ganz anders kommen. Die Optionen im Überblick.

Von
  • Matthias Meisner
  • Cordula Eubel
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Schwarz-Gelb

Von einer Wunschkoalition spricht keiner mehr. Trotzdem werben Angela Merkel und Philipp Rösler dafür, ihr Bündnis fortsetzen zu dürfen. Was – außer einem vagen gesellschaftspolitischen Gleichklang – die neuen alten Partner mit einem Sieg inhaltlich anfangen würden, ist ihnen zwar selbst nicht ganz klar. Dafür verspricht beiden die Treuebekundung aber handfeste taktische Vorteile. Beim FDP- Chef ist das besonders offensichtlich. Schwarz-Gelb ist das einzige Bündnis, das die Freidemokraten an der Macht halten könnte, ohne sie in schwere innere Konflikte zu stürzen – und das ganz nebenher Rösler sein Amt als Parteichef sichert. Außerdem weiß der Niedersachse, dass ihm nur dieses Bündnisversprechen jene „Leihstimmen“ von Unionswählern zuspült, die die FDP zum Überleben braucht.

Aber auch die Kanzlerin preist die „erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“ aus gutem Grund als fortsetzungswürdig an. Erstens wäre das Gegenteil ja das Eingeständnis ihres Scheiterns. Zweitens aber erspart ein schwarz-gelber Fortsetzungsroman auch der CDU-Chefin unangenehme Debatten. Wähler sollen Merkel wählen und nicht durch Bündnisfragen irritiert werden. Und da eine Mehrheit für Schwarz- Gelb durchaus möglich erscheint, drängen sich solche Fragen ja auch nicht direkt auf.

Rot-Grün

Eine Koalition von SPD und Grünen ist das erklärte Wunschziel beider Parteien. Die Aussicht gefällt sowohl den eigenen Anhängern als auch den Parteiaktivisten. Allerdings ist Rot-Grün von einer Mehrheit laut Umfragen weit entfernt; es reicht gemeinsam kaum für 40 Prozent. Wer keine Machtperspektive hat, hängt in der Luft. Die Spitzenpolitiker kennen sich gut, manche haben schon von 1998 bis 2005 miteinander Erfahrung gesammelt. Keiner von ihnen würde die Wunschkoalition heute noch einmal als „rot-grünes Projekt“ überhöhen, dazu sind die Grünen inzwischen auch zu selbstständig. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten wären groß – vom Versprechen sozialer Gerechtigkeit über die Europapolitik bis hin zu Steuererhöhungen für Wohlhabende. Sollte es Rot-Grün im Bund schaffen, hätte ihre Regierung im Bundesrat mehr Stimmen als jede andere Koalition.

Große Koalition

Es ist die Konstellation, von der keiner der möglichen Partner gerne redet, und die doch kommen könnte. Peer Steinbrück hat sie ausgeschlossen, allerdings nur für sich persönlich. Für die SPD war die Erfahrung des Desasters bei der Wahl 2009 nach vier Jahren erfolgreicher Arbeit unter Merkel ein Albtraum, weshalb zumindest der linke Flügel gegen eine Neuauflage rebellieren würde. Manche in der SPD-Spitze hoffen darauf, dass die populäre Regierungschefin nach acht Jahren an der Macht bald ihren Zenit überschreiten werde. Merkel könnte auf eine breite Mehrheit für Entscheidungen zur Bewältigung der Schuldenkrise bauen. Denn die SPD stünde nicht vor der Versuchung, sich in der Opposition aus dem Europa-Konsens zu verabschieden.

Umgekehrt würde die SPD sehr genau auf die Bedingungen pochen, die sie schon in der Opposition angemahnt hatte, etwa einen Marshallplan für die Krisenländer. In der Steuerpolitik sind Kompromisse möglich: Der Spitzensteuersatz wird angehoben, dafür werden die unteren Einkommen durch die Abschaffung der kalten Progression entlastet. Die Union müsste einkalkulieren, dass eine Stärkung der Reformer in der Linkspartei diese mittelfristig für die SPD als Alternativpartner attraktiver machen könnte – Drohpotenzial für die SPD.

Schwarz-Grün

Für manche Dinge im Leben gilt die Regel: Immer daran denken – nie darüber reden. Schwarz-Grün ist so ein Fall. Bei den Grünen ist seit Renate Künasts Berliner Debakel das Reden über dieses Farbenspiel tabu. Die CDU könnte mit Gedankenspielen aber auch nur verlieren: Stammwähler könnten sich ebenso abwenden wie Wechselwähler mit grünen Neigungen, die einen angewidert, die anderen erleichtert. Merkel hat alle Diskussionen unterbunden. Am 22. September könnte Jürgen Trittin trotzdem unter den Ersten sein, die von der Kanzlerin angerufen werden.

So groß die kulturelle Distanz zwischen Union und Grünen nach wie vor ist – die inhaltlichen Gräben erscheinen seit der Atomwende nicht mehr unüberwindlich. Ob die grüne Basis das genau so sieht, ist offen. Zustande käme das komplizierte Bündnis wohl nur, wenn Wahlergebnis und anschließende Koalitionssondierungen keine andere Wahl ließen. Dabei hätte es auch taktisch seinen Reiz. In der Union warnt mancher davor, dass spätestens zur Wahl 2017 die Linkspartei gesellschaftsfähig sein dürfte. Die Grünen aus der selbstverständlichen Zugehörigkeit zum „linken Lager“ zu holen, könnte sich also langfristig auszahlen. Umgekehrt sähen es auch manche Grüne ganz gerne, wenn sich ihre Partei Freiräume schaffen könnte. Und, nicht zu vergessen: Für Trittin und die meisten seiner Mitstreiter läuft die biologische Uhr. Entweder werden sie im Herbst Minister – oder nie mehr.

Ampel

Lockerungsübungen kann und will sich die FDP noch nicht leisten. Um bürgerliche Wähler zu erreichen und sich so den Einzug in den Bundestag zu sichern, setzen die Liberalen alles auf die schwarz- gelbe Karte. Eine Ampel werde es mit der FDP nicht geben, versichert Parteichef Rösler. Damit keiner daran zweifelt, will die Führung auf einem Konvent kurz vor der Wahl eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen offiziell ausschließen. Selbst Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki, der aus seiner Sympathie für SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück keinen Hehl macht, sieht keine sachliche Grundlage für eine Ampel. SPD und Grüne setzen im Wahlkampf vor allem auf soziale Gerechtigkeit, versprechen höhere Steuern für Reiche und einen gesetzlichen Mindestlohn – Themen, bei denen es die FDP zerreißen würde.

Rot-Rot-Grün

„Eine Phantomdiskussion“, sagt selbst der Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn, denn „SPD und Grüne wollen Rot-Rot-Grün nicht“. Was für Gregor Gysi und Genossen allerdings nicht den Verzicht darauf bedeutet, die beiden Parteien mit dem Thema hübsch zu quälen. Und rechnerisch könnte es am 22. September ja auch klappen. Und so plaudert Gysi in Interviews denn schon mal über sein Interesse am Außenminister-Job. Auflösung der Nato? Das sei ein Programmpunkt, von dem die Linke wisse, „dass wir den jetzt nicht durchbekommen“, sagt der Fraktionschef. Dazu liefert die Linke eine inszenierte Debatte über die Unmöglichkeit, einem SPD-Kanzler durch Enthaltung ins Amt zu helfen.

Spitzenpolitiker von SPD und Grünen haben ein Linksbündnis immer wieder unter Hinweis auf die außenpolitischen Differenzen ausgeschlossen. Mit der Linken, die aus zwei Parteien bestehe – von „Pragmatikern im Osten“ sowie „Sektierern und SPD-Hassern im Westen“, spricht Parteichef Sigmar Gabriel –, wollen die Sozialdemokraten nichts zu tun haben. Doch in der nächsten Linksfraktion wird der Anteil der Ost-Reformer wohl höher sein als bisher. Rot-Rot-Grün im Herbst mag derzeit keine Basis haben, auf Dauer muss das aber nicht gelten. Gysi hat signalisiert, dass er für ein solches Projekt gern noch ein bisschen länger Politik machen würde.

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