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Hat jetzt wieder Zeit für andere Sachen: Matthias Platzeck.

© dpa

Matthias Platzeck im Interview: "Ich kann völlig loslassen"

Matthias Platzeck – Ministerpräsident a.D. Und das soll es jetzt gewesen sein? Er lacht. Er läuft. Er fühlt sich wieder fit. Also: Zu früh aufgegeben? „Ich gucke mal, was das Leben noch so bietet.“ Fest steht: Matthias Platzeck bleibt in der Politik.

Fühlen Sie sich frei?

Ich habe mich nie unfrei gefühlt.

Das ist zu glatt als Antwort.

Ich bin noch nicht fertig.

Gut.

Ich habe mich wirklich nie unfrei gefühlt, deshalb wäre frei jetzt der falsche Begriff. Dass viel Druck weg ist, das spüre ich. Ich bin innerlich ruhiger. Weil nicht mehr so viele Dinge parallel bedacht und bearbeitet werden müssen und in mir kreiseln.

Was ist denn da, was in Ihnen auflebt?

(Lacht.) Es ist viel vorbeigerauscht in den Jahren. Jetzt fange ich an, gerade manch private Sache ruhiger zu bedenken, darüber auch zweimal nachzudenken.

Worauf freuen Sie sich?

Na zum Beispiel, dass ich teilweise wieder Herr meiner Zeitplanung bin. Also dass ich mir mal Dinge vornehmen kann, mit wem auch immer, und das selber bestimmen kann. Das ist schon eine neue Qualität, die kenne ich seit 1990 nicht.

Ist denn ein Politiker immer getrieben? Oder ist er nur einfach nicht in der Lage, seine Zeit anders einzuteilen?

Getrieben ist als Begriff so ähnlich falsch wie unfrei. Aber bei drei Ämtern gibt es einfach viele Notwendigkeiten und Zwänge. Aber: Ich habe mir das ja freiwillig alles ausgesucht, ich hab’s ja auch so gewollt. Und mein Büro sagt, ich hätte auch an mancher Termindichte selber Schuld gehabt, man hätte sich’s auch anders gestalten können, was ich natürlich „vehement“ zurückweise, weil ich schon glaube, man konnte’s nur ganz oder gar nicht machen. Es waren 24 wunderschöne Jahre, von denen ich keins missen möchte. Aber jetzt wird manches anders, und das ist auch gut.

Was würden Sie jetzt gerne machen? Musik hören, Gedichte lesen …

Bücher in Ruhe zu Ende lesen zum Beispiel. Es stapeln sich …

… welches würden Sie jetzt gerne lesen?

… Ungefähr 250 vermute ich , die auf dem Stapel liegen, der sagt: Müsstest du lesen.

Alles Politik?

Nö, alles Mögliche. Ich lese auch mal gern einen Krimi, wenn er gut gemacht ist. Und viele Bücher, die in irgendeiner Form mit Geschichte zusammenhängen.

Also Alter Fritz … vier Bände …

Ja, ja, auch … aber vor allem Erster und Zweiter Weltkrieg und wie es dazu jeweils kommen konnte, das hat mich schon immer interessiert. Also: Wie sind die Zeiten davor gelaufen, was war da eigentlich.

Welches Buch liegt aktuell auf dem Nachttisch?

Im Moment liegt dort die Geschichte der NVA . Ich finde, auch die Sicht der ehemaligen Generäle hilft, Entwicklungen zu verstehen.

Wenn man so lange im Geschäft ist, kommt man überhaupt ohne Politik aus?

Nö.

Wie definieren Sie dann Politik? „Nö“ sagt ja noch nichts aus.

Erstens bleibe ich Landtagsabgeordneter. Das füllt schon mal den Tag, die Woche mit Politik. Aber mich interessiert Politik auch darüber hinaus. Mich interessiert, was in Syrien passiert, mich interessiert, wie es in Venezuela weitergeht, mich interessiert, wie in Deutschland vernünftig und auch noch künftig Sozialpolitik gemacht werden kann. Undundund.

Das heißt konkret?

Politik muss immer das, was man sich vornimmt, Stück für Stück umsetzen. Ich sage bewusst: Stück für Stück. Johannes Rau hat mir mal beigebracht, dass Sinn unseres ganzen politischen Tuns ist, mit kleinen Schritten die Verhältnisse der Menschen immer ein Stück zu verbessern. Viel mehr sollte man sich nicht vornehmen, viel weniger aber auch nicht, hat er gesagt. Das habe ich verinnerlicht.

Wenn man sich das vorstellt, Sie als einfacher Abgeordneter – Sie gehen dann in den Umweltausschuss und agieren im Kleinen weiter?

Mit so was habe ich kein Problem. Ich war acht Jahre Minister und habe mich dann in meiner Heimatstadt als Oberbürgermeister zur Wahl gestellt, das ist schon eine andere Dimension, ein anderer Abstraktionsgrad, eine andere Ebene. Das hat mir damals aber kein Problem, sondern viel Freude gemacht. Genauso freue ich mich jetzt nach über zwei Jahrzehnten, mal die Regierungsbank im Visier zu haben und nicht von der Regierungsbank rüber zu gucken.

"Besserwisserisch den Nachfolger kommentieren - das war nie mein Stil"

Aber für die anderen könnte es ein Problem sein, wenn da hinten immer der alte Ministerpräsident sitzt und noch mit großen Augen guckt, was denn sein Nachfolger …

… Manfred Stolpe saß da auch! Als Abgeordneter. Das ist nur deshalb vergessen, weil er dann Bundesminister wurde.

Wollen Sie uns damit irgendwas sagen?

Nein, ich sage nur, es ist nichts Ungewöhnliches …

… es ist nicht ungewöhnlich, Ministerpräsident gewesen zu sein und danach Bundesminister …

(lacht) Das werde ich nicht machen. Und ich werde auch keiner, der in der Loge sitzt und besserwisserisch Nachfolger kommentiert. Das war nie mein Stil, und das weiß Dietmar Woidke auch.

Welcher Ausschuss interessiert denn den Landtagsabgeordneten?

Ich ziehe jetzt erst mal in den Bundestagswahlkampf und werde jeden Abend in einer anderen Region sein, und das bis 21. September. Dann werde ich mich ein paar Wochen um meine Gesundheit kümmern. Und dann gucken wir mal, was das Leben noch so bringt.

Wie fit fühlen Sie sich?

Ich fühle mich fit. Ich kann wieder laufen, ich bin in der Frühe meine Stunde rumgegurkt.

Laufen heißt Joggen?

Klar! Das ging ein paar Wochen nicht. Die Koordinierung war nicht hinreichend. Aber jetzt ist alles wieder im Lot.

Können Sie nicht loslassen? Bleiben Sie deshalb im Landesvorstand?

Ich kann völlig loslassen. Aber das mit dem Landesvorstand ist was völlig Normales. Es ist Tradition in Brandenburg, dass der frühere Ministerpräsident an Landesvorstandssitzungen teilnimmt. Und Manfred Stolpe ist, wenn er im Lande ist, immer da.

Echt?

Ja. Immer mit festem Platz. Das hat alles mittlerweile hier Tradition, und das ist ja gut so.

Und Sie dann als Ehrenvorsitzender?

Unser Ehrenvorsitzender heißt Manfred Stolpe.

Also, wir fassen zusammen: Sie sind fit, Sie haben Lust auf Politik. Haben Sie zu früh aufgegeben?

Überhaupt nicht, es ist alles so, wie es ist, völlig richtig. Aus vielerlei Aspekten heraus.

Das müssen Sie natürlich jetzt sagen.

Müssen muss ich gar nichts mehr. Wenn ich’s anders sehen würde, hätte ich es anders gemacht.

"Viele verstehen den Schritt"

Können Sie verstehen, dass es Menschen gibt, die sich von Ihnen verlassen fühlen?

Mir ist keiner begegnet. Ich war die letzten vier Wochen jeden Tag im Land unterwegs. Sicher, es mag auch die Menschen geben, aber ich hab’ sie nicht getroffen. Ganz im Gegenteil. Und wenn ich die Post sehe, die wir momentan gar nicht schaffen, bis ins Letzte durchzugucken … Also, es ist alles sehr freundschaftlich, sage ich jetzt mal.

Bleib bei uns, sagen die.

Nein, das sagen sie eben nicht. Die Briefe und Mails sagen eher: Wir verstehen den Schritt. Zu meiner Auffassung von Pflichterfüllung gehören ja immer zwei Seiten. Die eine, dass man es mit Haut und Haaren macht, wenn man ein Amt hat, mit allem, was geht. Die zweite ist aber, dass man sich genauso ehrlich befragt, bist du in jeder Beziehung in der Lage, das Amt mit den eigenen Ansprüchen auch auszufüllen. Wenn man da zu der Einschätzung kommt, dass das wahrscheinlich so nicht geht, dann ist das ein Punkt, wo man eine Schlussfolgerung zu ziehen hat. Das war jetzt so. Und es gibt noch einen weiteren Aspekt: Ich bin 1990 zum ersten Mal in die Regierung gekommen, das ist ja alles schon eine Unzeit her. Wenn ich davon erzähle, wie es damals war, dann gibt’s da junge Mitstreiter, die wissen überhaupt nicht, worüber wir reden, das ist, wie wenn der Opa vom Krieg erzählt hat … Auch diese Erfahrung hat mir bedeutet: Es ist einfach mal an der Zeit, den Schritt zurück zu machen, damit Türen und Fenster aufgehen. Da wird ganz viel frischer Wind reinwehen. Die Amerikaner haben eine Regelung – maximal acht Jahre im Spitzenamt, auch wenn du Obama heißt, und die fand ich nie ganz doof.

Sie verstehen aber, dass Politik schon auch was mit Gefühlen zu tun hat?

Ich glaube, das ist mir nicht fern.

Okay. Welche Gefühle haben Sie da jetzt so? Ein Sehnen, dass Sie genügt haben, Ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden sind, Menschen nicht Unrecht getan haben?

Sechs Wochen lang habe ich mich genau mit diesen Fragen beschäftigt, von früh bis abends, das ging im Krankenhaus los, im Urlaub weiter. Ich war für meine Frau kein, ich sage mal, kein leicht zu nehmender Partner. Die Fragen haben mich sehr umgetrieben, es gab dabei auch Aufs und Abs, und ich bin jetzt wiederum vier Wochen später noch mal innerlich überzeugter, dass es richtig war.

Wann haben Sie die Entscheidung getroffen?

Ich habe jetzt kein Datum im Kopf, aber es war in Radebeul, im Tillich-Land, in Sachsen. Wir waren ein paar Tage da, es war sehr schön, in einer kleinen Bleibe mitten in den Weinbergen. Da habe ich mich endgültig entschieden.

Auf Rat der Ärzte?

Ja, der ärztliche Rat war eindeutig, der familiäre Rat war es auch. Ich habe vier Töchter, die alle erwachsen sind, eine ist selber Ärztin, denen kannst du nichts mehr vormachen. Die Wünsche meiner Frau waren auch klar. Sie hätte alles mitgetragen, aber am Ende war das die einzig mögliche Entscheidung. Man muss das ja auch mal aus pressetechnischer Sicht ganz realistisch sehen: Hätte ich irgendwann mal mit der Begründung Schnupfen gefehlt, die Kommentierungen wären eindeutig gewesen. Von wegen Schnupfen, es sei denn, drei Ärzte hätten an Eides statt versichert, dass es nur ein Schnupfen ist. Oder ich falle vielleicht in einem halben oder dreiviertel Jahr noch mal um, dann kurz vor der Landtagswahl – dann hätten wir mit der SPD in Brandenburg richtig vor der Wand gestanden. Nee, das wollte ich alles nicht – und das wollte ich anderen auch nicht antun. Leider gibt es bei mir eine familiäre Disposition. Alle männlichen Vorfahren einschließlich meines Vaters, der hatte drei Schlaganfälle, haben sie. Die Ärzte haben gesagt, dann kannst du damit rechnen, dass es wiederkommt, du kannst es aber rauszögern.

Müssen Sie Ihrer Partei etwas zurückgeben?

Auch deshalb mache ich Wahlkampf! Und gerne. Ich werde jedem einzelnen Kandidaten in allen zehn Wahlkreisen zu helfen versuchen. Ich bin meiner Partei dankbar. Ohne sie wäre mein Lebensweg so unmöglich gewesen. Und überdies: Gerade in diesen Tagen, wo wir nicht nur mit Dietmar Woidke einen Wechsel an der Spitze vollziehen, empfinde ich meine SPD in Brandenburg als wohltuend. Die nimmt sich selber nicht so wichtig, die sagt, wir haben andere Aufgaben in diesem Land als Selbstbespiegelung. Deshalb werde ich auch gerne alles, was geht, zurückgeben und Dietmar Woidke unterstützen.

Sie fühlen sich wohl mit der Partei. Hier. Und im Bund? Fühlen Sie sich wohl mit dem Kanzlerkandidaten?

Ja, na klar. Ich fühle mich wohl mit Peer Steinbrück, das ist kein Geheimnis. Ich mag den Peer Steinbrück, ich halte ihn für einen hochkompetenten Mann, der in der Lage ist, nicht nur Probleme und Prozesse zu durchschauen, sondern am Ende auch eine Entscheidung herauszudestillieren und die dann auch zu fällen.

"Merkel fährt politisch am liebsten im Kreisverkehr"

Das hätte man jetzt aber auch über Angela Merkel sagen können, korrekt?

Nee, nee, Sie haben nicht bis zum Ende zugehört. Ich würde nie in Abrede stellen, dass Angela Merkel in der Lage ist, Prozesse zu analysieren, Entwicklungen abzuschätzen und daraus Entscheidungen herauszudestillieren. Und zwar perfekt. Ich habe dann aber zu allem Lob noch einen Punkt hinzugefügt: Peer Steinbrück würde die Entscheidungen auch fällen und umsetzen. Und das ist genau das erhebliche Defizit im Moment in der Bundespolitik. Wie Peer Steinbrück sagt, fährt Frau Merkel politisch am liebsten im Kreisverkehr.

Sie haben Angela Merkel vorgeworfen, sie riskiere den langfristigen Niedergang Deutschlands. Was meinen Sie damit?

Ich bin in großer Sorge, und jedes Beispiel allein ist als Beleg nicht ausreichend: Das gesamte Mehrwertsteuersystem sollte modernisiert, rationalisiert und effektiver gemacht werden. Es war sogar mal eine Kommission gegründet worden. Nach meiner Kenntnis hat die zweimal getagt, und es hat niemand mehr nachgefragt, dass sie nie mehr getagt hat. War das eine große Ankündigung! Oder nehmen Sie das ganze Thema Bildung und Bildungskooperation. Was ist daraus geworden? Weiteres könnte man aufzählen. Ich habe Angst, dass wir Zeit verlieren. Und dann muss man es auch mal klar sagen: Vieles von dem, was jetzt gut läuft, hat seine Ursachen nicht in dem, was Angela Merkel gemacht hat. Ich kann ja verstehen, dass man sich nicht danach sehnt, so eine Entwicklung zu erleben, wie wir sie erlebt haben nach den Reformen von Gerhard Schröder, elf verlorene Landtagswahlen. Das möchte sie bestimmt nicht. Aber Stillhalten geht auch nicht.

Herr Steinbrück sagt, dass Angela Merkel wegen ihrer ostdeutschen Herkunft keine Leidenschaft für Europa verspüren kann. Hat er da recht? Oder tut Ihnen als Ostdeutschem das weh?

Peer Steinbrück hat schon mehrfach, zuletzt in Halle, in Abrede gestellt, dass ostdeutsche Herkunft und Europabegeisterung für ihn eine direkte Korrelation haben. Aber was er beklagt hat, war ja im Kern, dass er eine große leidenschaftliche, aufrüttelnde Rede der Bundeskanzlerin erwartet hätte. Ich übrigens auch. Die hätte ich mir regelrecht gewünscht.

Aber Sie kennen Angela Merkel doch. Niemand kennt sie in der Sozialdemokratie so gut wie Matthias Platzeck.

Und?

… dann erwarten Sie etwas von Angela Merkel, was sie niemals …

Angela Merkel hat schon zwei, drei Reden gehalten zu anderen Themen, wo man gemerkt hat, dass es geht. Und hier hätte sie wenigstens den Versuch machen müssen. Ich finde die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit berechtigt. Sie ist die Kanzlerin Deutschlands. Ich erwarte auch nicht einen Furor, nicht, dass sie da Feuer speiend am Pult steht. Aber ich hätte einfach mal umfassend grundiert und mit dem Herz, was möglich ist, geredet. Nun stellen wir mal gemeinsam ihr Licht auch nicht unter den Scheffel.

Tun wir nicht.

Aber der Zeitpunkt ist aus meiner Sicht verrauscht, der ist weg, der hätte so vor eineinhalb Jahren sein müssen. Wenn es richtig gut gegangen wäre, hätte sie das gemacht vor der NRW-Wahl, am Beginn der Griechenland-Krise und da gleich … weil es alles absehbar war. Das wäre eine wirklich europapolitische Tat gewesen.

Sie glauben, dass der Euro knallt?

Ich glaube, dass die Zeiten schwieriger werden.

In welcher Form?

Der halbe Kontinent ist in der Krise. Keine der Ursachen ist beseitigt. 40 oder 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit steckt keine Gesellschaft einfach weg.

Können wir noch mal einen Schritt zurück machen zu der Angela Merkel an Ihnen?

Zu der Angela Merkel an mir?

Ja. Sie haben auch Koalitionen von links bis rechts geschlossen.

Und?

Was war das? Pragmatismus? Eine Art physikalisches Experiment: Mal gucken, was hinten rauskommt?

Nein, ganz normale Politik. Alle Parteien, die im Brandenburger Landtag derzeit vertreten sind, haben genügend Schnittmengen, um fünf Jahre lang eine Regierung zu bilden. Programmatisch. Zweiter Punkt sind die Personen, die da sind. Es muss ja über fünf Jahre auch eine vernünftige Arbeit garantiert sein. Das beides muss man sich angucken, und danach kann man grundsätzlich erst mal entscheiden, würde das mit denen funktionieren? Wo das nicht ist, reichen Sondierungsgespräche, das haben wir ja gesehen. Und dann gibt’s jeweils die Zeiterfordernisse. Wir haben 2004 eine andere Situation als 2009. Wir wussten, wir müssen die Wirtschaftsförderung komplett umkrempeln, müssen eine andere Wirtschaftspolitik machen, wir müssen die Gießkanne wegstellen und die Wirtschaft nachhaltig ankurbeln. Da war die CDU ein geeigneter Partner. Fünf Jahre später, 2009, gab’s eine andere Ausgangsposition. Allen war klar, dass es wirtschaftlich ganz gut geht, aber wir haben auch gemerkt, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft und unseres Landes brüchig wird. Deshalb haben wir über die Themen Mindestlohn, Schülerbafög und so weiteres nicht nur geredet, sondern haben sie auch umgesetzt. Das Personaltableau kam noch dazu. Ich erinnere nur mal an folgende Situation: Was wir damals gesagt haben über Frau Doktor Ludwig zum Beispiel, das hat deren Partei selber zweieinhalb Jahre später fast wortgleich gesagt. Unsere Einschätzung, warum wir gesagt haben, das geht nicht mit diesem Personaltableau, haben sie selber zweieinhalb Jahre später exerziert und haben sie rausgeworfen. Ein Letztes: Es sollte in einer lebendigen Demokratie besser nicht fünfundzwanzig Jahre dieselbe Konstellation regieren.

Was heißt: Es muss auch mal ohne die SPD sein.

Ich habe gesagt: dieselbe Konstellation. Wir wechseln ja die Partner, das hilft auch schon …

Sie müssen mit Angela Merkel gesprochen haben.

So.

"Ich habe vieles, was ich mit den Grünen teile"

Was trennt eigentlich Sie von einem Grünen?

Mittlerweile einiges. Nehmen wir die Lausitz, das Thema Braunkohle. Der grüne Fraktionsvorsitzende und andere sind ja ein bisschen im Karree gesprungen, weil es dort vor Ort der jüngsten Umfrage zufolge große Zustimmung zur weiteren Nutzung der Braunkohle gibt. Von den Grünen war dagegen annonciert, dass wir sofort aus der Braunkohle raus können, wir brauchen sie strukturell nicht, wir brauchen sie arbeitsplatzmäßig nicht, die erneuerbaren Energien werden alle Jobs ersetzen, die wegfallen. Wir stellen heute fest, dass zu wenig ersetzt wird. Also, Vernunft und Augenmaß, Realitätssinn und alle Aspekte des menschlichen Lebens, dazu gehört der Klimaschutz, überhaupt keine Frage – aber ich brauche auch gesellschaftliche und soziale Stabilität, ansonsten habe ich mit Zitronen gehandelt. Und wir brauchen eine Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, wenn wir wiederum die soziale Stabilität behalten wollen. Da sind unsere grünen Freunde manchmal ein bisschen zu sehr dem Wunschdenken anhängend.

Deswegen tritt die SPD auch in keine rot-grüne Koalition im Bund ein?

Quatsch. Ich habe auch vieles, was ich mit den Grünen teile. Bei meinen Wurzeln ist das ja auch nicht verwunderlich.

Das klingt einerseits wie der Versöhner Johannes Rau.

Doch, ja.

Und andererseits wertekonservativ.

Ein Stück wertekonservativ war ich immer. Wer mit Natur- und Umweltschutz groß wird, hat immer einen konservativen Zug, conservare, bewahren, schützen. Vielleicht kommt beim Altern noch ein Stück dazu, ist ja denkbar. Aber in manchen Dingen bin ich eher sogar ein Stück radikaler geworden. Wir müssen zum Beispiel an die Reichtumsverteilung in diesem Lande. Daran müssen wir arbeiten. Blind ist, wer nicht sieht, dass sich diese Gesellschaft auseinanderentwickelt.

Was sagen denn Ihre Freunde Hasso Plattner und Günther Jauch, wenn Sie denen erklären, so kann’s nicht weitergehen.

Das sind ja nun gerade zwei Menschen, über die man überhaupt nicht irgendwas Böses sagen kann, weil sie ja der Gesellschaft zurückgeben, und zwar über die Maßen.

Dann anders: Wer mehr hat, sollte mehr zurückgeben – in welcher Form auch immer?

In welcher Form auch immer, ja. Aber am besten über ein gerechtes Steuersystem. Ich verstehe, dass die, die betroffen sind oder potenziell sein könnten, laut dagegen argumentieren. Aber ein Beitrag zur Gerechtigkeit wäre es schon. Wir hatten in Deutschland mal Spitzensteuersätze von über 50 Prozent! Jetzt reden wir über 49 Prozent, und zwar von Gehältern, die höchstens drei bis vier Prozent der Leute überhaupt erzielen. Wir reden manchmal aufgeregt über Sachen, die diese Aufregung nicht wirklich verdienen. Es droht keine Armut in diesen Gehalts- und Einkommensklassen.

Als Sie die Koalition mit der Linkspartei verteidigt haben, haben Sie auch den Begriff „versöhnen“ benutzt. Wie schätzen Sie das Thema heute ein: Ist da noch was zu tun, Ost mit West zu versöhnen? Oder ist das inzwischen erledigt?

Der Reihe nach: 20 Jahre nach der friedlichen Revolution war es nicht verkehrt, ein Stück Normalität auch in den Parlamenten herzustellen. Was hier so große Aufregung verursacht hat, war in ein, zwei anderen Bundesländern, Berlin zum Beispiel, schon zehn und mehr Jahre lang Usus. Und ich finde, diese Normalität hat zweierlei gezeigt. Man hat gesehen: Die Linke im Osten ist eine Partei im demokratischen Spektrum, die zum zweiten Verantwortung übernehmen will, was auch heißt, unliebsame Entscheidungen zu treffen. Dass man den Wind auch von vorne kriegt, dass man nicht jede Demonstration anführen kann, die gegen irgendwas im Lande unterwegs ist. Das ist für das demokratische Gefüge unseres Landes gut.

Ein Unterschied zu den Linken in Berlin war, dass es in Brandenburg doch relativ viele Stasi-Fälle in der Fraktion gab. Welche Rolle sollte dieses Thema heutzutage noch spielen: Herr Steinbrück hat seine Stasi-Akte veröffentlicht. Ist Stasi überhaupt noch wichtig als Thema? Oder ist es wichtig, dass das ein Thema bleibt?

Unsere ostdeutsche Geschichte ist weitgehend aufgearbeitet. Ich glaube, im nächsten Parlament sind wir hochgradig gefeit, dass da noch jemand ist, der eine Stasi-Vergangenheit hat. Ja, wir hatten hier in Brandenburg vor vier Jahren noch zwei, drei Problemfälle. Und jeder ist einer zu viel. Aber: Wir haben hier jetzt einen Aufarbeitungsstand, der auch Vorbildcharakter hat. Er gibt uns die Freiheit zu sagen: Das Thema ist im Wesentlichen durch.

Sie wünschen sich das vielleicht, es ist aber nicht so. Wie man an der Reaktion auf Peer Steinbrück erlebt hat. Und nun hat der seine Stasi-Akte veröffentlicht. Wir haben eine Bundeskanzlerin, die aus der DDR stammt. Sollte sie ihre Stasi-Akte auch ins Netz stellen?

Das ist kein Thema, das heute wirklich politikrelevant ist.

Aber gefühlsrelevant, wie es scheint, zwischen West und Ost, Ost und West.

Ja, es wird zumindest so beschrieben in den Zeitungen. Aber gehen Sie doch mal raus und fragen die Leute, Mann. Das ist so ähnlich wie bei der Braunkohle. Wenn man manche Zeitung liest, müsste die tot sein. Wenn man aber die Leute vor Ort fragt, sagen 70 Prozent: Um Gottes willen, wir brauchen die Braunkohle noch. So ist es doch immer mit dem gefühlt und nicht gefühlt.

Die, die Verantwortung tragen, sind, frei nach Lothar de Maizière, gebrauchte DDR-Bürger. Oder haben Sie das auch schon ad acta gelegt?

Ich habe 35 Jahre in der DDR gelebt und bin dort sozialisiert, und das war damals mein Land. Und was Angela Merkel angeht – ich finde den Begriff „gebrauchter DDR-Bürger“ nicht passend, nicht schön und auch von der Aussage her, von dem was er vermittelt, nicht richtig. Klingt ja ganz nah bei verbraucht.

Das ist Ihre Assoziation.

Ja, aber ist ja auch wurscht, ist wirklich wurscht. Wir befinden uns im Jahr 25 nach der friedlichen Revolution!

"Einige Entscheidungen sind mir richtig schwer gefallen"

Wie hat Ihnen, um noch einmal darauf zurückzukommen, Peer Steinbrück denn seinen Satz erklärt? Den Satz, dass Angela Merkel keine Leidenschaft für Europa empfinden kann, weil sie eine ostdeutsche Herkunft hat.

Das schafft niemand, dass es immer nur glückliche Formulierungen gibt.

Und?

Nichts und.

Verspüren Sie Leidenschaft für Europa?

Ja!

Osteuropäer?

Auch Mittelosteuropäer, das hat nun mit meinen ganz speziellen Verbindungen und Leidenschaften zu tun. Aber ich finde inzwischen auch Frankreich und Italien sehr schön. (lacht)

Noch mal zur DDR. Es war nicht alles schlecht, was war.

Nö.

Sie wollten mal die DDR reformieren, nicht abschaffen.

Ja eindeutig, das war mein Land, ich sage es auch gern zum 100. Mal. Aber diese Art Fragen sind, Entschuldigung, eigentlich abgeräumt. Was heißt, es war nicht alles schlecht? Ich sage, ich habe 35 Jahre gelebt in diesem Land, ich habe ausgesprochen frohgemut gelebt, das hängt mit dem Genmaterial zusammen, da kann ja keiner was dafür. Ich habe wunderschöne Erlebnisse, an die ich mich auch gerne erinnere, Freunde bis heute, Liebschaften, alles, Kinder gezeugt. Da gibt’s überhaupt nichts zu meckern. Was mich als Erwachsener zunehmend gestört hat, war die Art und Weise, wie mit Menschen umgegangen wurde, der Grad der Entmündigung, und dass es in dieser Gesellschaft völlig perspektivlos wurde. Wir wollten zudem unseren Kindern, die uns Fragen stellen werden in zehn oder 15 Jahren, vernünftige Antworten geben können. Deren Frage könnte ja lauten: Habt ihr stillgehalten, habt ihr nur zugeguckt, oder habt ihr es wenigstens versucht? Ich glaube, dass jeder die Unwahrheit sagt, der behauptet, er hätte ’87 und ’89 sich bemüht, weil er die deutsche Einheit vor Augen hatte. Das war weiter weg als der Mond. Sondern es ging wirklich darum, zumindest in allen Gesprächskreisen, an denen ich teilgenommen habe, dass es eine andere DDR geben soll, demokratischer, offener, bunter. Von daher bekenne ich mich dazu.

Wie erleben Sie die Menschen in Brandenburg? Manches von dem, was Sie beschrieben haben, klingt wie das, das Sie uns gegenüber mal beklagt haben im Hinblick auf die Stimmung heutzutage.

Nämlich?

Dass sie fatalistisch sei.

Käse, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so was je gesagt hätte. In den letzten Jahren konnte man mit Händen greifen, dass wieder an Perspektive geglaubt wird. Übrigens, sonst würden junge Leute auch nicht zurückkommen. Ich kann nur empfehlen, mal in den Templiner Verein, der sich vor einem Jahr gegründet hat, „Zuhause in der Uckermark“, zu gehen. Alles Heimkehrer aus dem Westen, Mitte dreißig, Ende dreißig. 15 Jahre sonstwo gewesen, von Hamburg bis Paris. Und die kommen zurück, unter anderem, weil die Eltern ihnen gesagt haben, Kinder, es geht wieder, hier geht’s bergauf. Ein vor zehn Jahren unvorstellbarer Prozess. Ich hätte auch nie gedacht, dass in die Uckermark mal mittlerweile über tausend junge polnische Familien gezogen sind, sesshaft geworden sind, mit etlichen Kindern, kluge, gut ausgebildete Leute, die jeden Tag nach Stettin arbeiten fahren, aber inzwischen in Brandenburg wohnen. Was für ein Gewinn!

Welche Entscheidung ist Ihnen im Nachhinein am schwersten gefallen?

So manche Evakuierung im Hochwasser, auch die komplette Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung. Und, na klar, die Abbaggerung von Horno – energiewirtschaftlich richtig, arbeitsplatzsichernd dennoch umstritten –, auch weil ich Bürgermeister Siegert sehr, sehr schätze und quasi sein Gegner wurde, obwohl wir ein Stückchen weit auch seelenverwandt sind. So hat es mich im letzten Jahr sehr gefreut, dass es mir noch vergönnt war, im Amte, sage ich jetzt, Bernd Siegert für seine unbeschreibliche Fürsorge bei der Umsiedlung seiner Mitbewohner den Verdienstorden des Landes auszuhändigen. Mir war das wichtig, und ich bin dankbar, dass Bernd Siegert auch die Größe hatte, die Auszeichnung anzunehmen.

Noch mehr?

Na klar. Die Entlassung meiner Freunde Rainer Speer und Holger Ruprecht aus dem Kabinett ist mir an die Nieren gegangen.

Gibt es jemand, dem Sie Abbitte leisten wollen?

Mit meinen Freunden bin ich im Reinen.

Noch mal: Jemand, dem Sie Abbitte leisten wollen?

Da gibt’s bestimmt einige, denn ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass man über 23 Jahre nur richtige, nur gerechte und immer tragfähige Entscheidungen trifft. Aber das ist kein Zeitungsthema.

Sind Sie nachtragend, oder können Sie nur schwer vergessen?

Ich glaube, ich bin wirklich nicht nachtragend, ist mit meiner Seelenlage wahrscheinlich schwer übereinzubringen. Ich bin auch nicht elefantisch. Ich kann auch mit jemandem – das braucht manchmal ein bisschen Zeit, keine Frage –, der mir richtig vors Schienbein getreten hat, wieder einen wirklich frohgemuten Kontakt haben. Übrigens: Wo ich wohne, seit mittlerweile 30 Jahren, haben wir dieselben Nachbarn, Mitbewohner, links, rechts, oben, nee, oben wohnen wir, unten. Die haben mich bis heute ausgehalten. Das zeigt ja auch, dass ich wohl ein relativ verträglicher Typ sein muss.

Und was ist mit dem Flughafen? Haben Sie für sich selbst eine Erklärung, wie ausgerechnet Ihnen das passieren konnte?

Ich glaube, da hilft ein Rückblick dann später mal besser. Noch kann ich das in Gänze nicht erklären.

Das ärgert Sie auch?

Das ärgert mich schwarz.

Auch die Entscheidung für Schönefeld damals? Sie waren ja für Sperenberg.

Ja klar, aber das ist Geschichte. Ich bin mir ganz sicher, in absehbarer Zeit wird der Flughafen funktionieren. Er ist ein absolut funktionaler, übrigens auch gut aussehender, später mit Sicherheit von hoher Akzeptanz getragener Flughafen.

Das müssen Sie jetzt sagen, oder?

Nein. Wir können uns ja in drei Jahren noch mal dran erinnern, ich will’s nur jetzt schon gesagt haben. Weil ich mir sicher bin, dass es so sein wird.

"Frank Steinmeier und ich sind richtig gute Freunde"

Noch mal zurück. Sie haben keine Rechnung mehr offen? Und nirgendwo mehr Entschuldigung zu sagen?

Ich habe immer versucht, wo ich was angerichtet oder vermeintlich angerichtet habe, das noch auf dem Weg zu reparieren. Ich bin auch jemand, der sich entschuldigen kann. Ich habe dazu auch bewusst meine letzte Landtagssitzung als MP genutzt. Von daher dürfte ich nichts offen haben. Wenn ich’s gemerkt habe, wenn ich’s entdeckt habe oder wenn es mir jemand gesagt hat, dann habe ich versucht, das mit der Entschuldigung möglichst auch gleich zu machen.

Hat Politik Freundschaften zerstört?

(längere Pause) Zumindest schwierig gemacht. Also dass das Verhältnis zwischen Rainer Speer und mir, was ja ein freundschaftliches ist, gelitten hatte und dass das ein paar Monate auf eine harte Probe gestellt war, ist keine Frage. Wir waren dann beide in der Lage, einen Strich drunter zu machen und gehen heute, wenn wir abends mal Zeit haben, zusammen ein Bier trinken. Wir sind wieder im Reinen miteinander. Aber dass das erst mal auch schwierig war, ist klar, alles andere wäre doch verrückt. Wir hatten was aufzuarbeiten, das haben wir dann ab einem gewissen Zeitpunkt gemacht. Mit Holger Ruprecht, dem ich auch freundschaftlich verbunden bin, war das nicht minder schwierig.

An einen anderen Freund, an Frank Steinmeier, haben Sie nicht als Ministerpräsident gedacht?

Das war vorher alles geklärt. Ich bin mir mit Dietmar Woidke vor zwei, zweieinhalb Jahren einig geworden, so ist es und so wird es, und man muss ja auch vorsorgen, falls man aus dem Hubschrauber fällt oder gegen einen Baum fährt. Im Lebensplan von Frank Steinmeier war Ministerpräsident nie vorgesehen.

Gute Freunde: Matthias Platzeck und Frank-Walter Steinmeier.
Gute Freunde: Matthias Platzeck und Frank-Walter Steinmeier.

© dpa

Kann man in der Politik einen Freund finden? Also ich meine jetzt …

Ich verstehe schon, wie Sie’s meinen. Ja, kann man. Und zwar auch so, wie man sich Freund vorstellt, dass man sich darauf verlassen kann und so. Frank ist so ein Fall. Wir haben uns ja erst in der Politik kennengelernt, und inzwischen sind wir richtig gute Freunde. Das bezieht sich auch auf die Familie, und das ist schön.

Muss ein Ministerpräsident 80 Stunden in der Woche arbeiten? Wir haben das noch nicht geklärt.

Weiß ich nicht, ob er muss. Ich habe ja eingangs gesagt, man könnte vielleicht den Terminplan anders machen. Ich erinnere mich an meine Zeit: Montag, Dienstag, vielleicht noch einen halben Mittwoch, das waren die Präsenztage bei Fraktion, Parteivorstand und was so alles ist. Dann ging’s ins Land, und dieses Land ist vielleicht nicht das dichtest besiedelte, aber flächenmäßig das fünftgrößte in der Bundesrepublik. Und wenn du nun am Wochenende drei, vier Termine hast, liegen die ja nicht alle in Eisenhüttenstadt oder alle in Perleberg. Da ist einer in Prenzlau, einer in Eisenhüttenstadt und einer in Elsteraue, und dann bist du schon mal alleine sechs Fahrstunden unterwegs.

Ist das mehr geworden im Laufe der Jahre?

Ja. Eindeutig. Viele Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Das, was du dann woanders beschließt, was du dir ausdenkst, braucht die Rückkopplung. Ich habe aus dem Unterwegssein im Lande, den Gesprächen und Auseinandersetzungen meine Hauptimpulse bekommen.

Können Sie da auch schweigen? Als Ministerpräsident muss man immer reden.

Ja, man muss schon … Selbst bei einer Orgeleinweihung wird schon erwartet, dass du ein paar Worte sagst, das ist so. Und das ist ja auch o.k.

Aber können Sie auch schweigen?

Ich kann sehr wohl schweigen, ja, ich kann sehr ruhig sein. Bei Familienfeiern freue ich mich beispielsweise, wenn alle anderen schnattern und reden und ich in aller Ruhe dasitzen und zuhören kann, stundenlang. Ich bin ja von Natur aus eher ein ruhiger Mensch.

Gibt es einen Job in der Politik, der sich mit 40 Stunden machen lässt?

Auch als Abgeordneter braucht man viel Zeit, da reichen auch keine 40 Stunden. Aber wie schon gesagt: Drei Ämter machen eben mehr Druck. Das macht den Unterschied.

Vielleicht Landtagspräsident. Würde Sie das reizen?

Ich habe mir wirklich ernsthaft vorgenommen, Muße zu finden. Nach Lage der Dinge wird diese Zeit aber erst nach dem Bundestagswahlkampf beginnen.

Das ist in 40 Stunden zu machen in der Woche, oder?

Solche Gedanken beschweren mich derzeit nicht.

Dann sagen Sie doch mal: Wenn man die Uckermark und Sie verstehen will, wo muss man dann stehen?

Auf dem Spitzberg am Sabinensee oder auf dem Aussichtspunkt bei Fergitz über dem Oberuckersee. Das sind zwei Punkte, die sind traumhaft, traumhaft schön. Da wird man Mensch, da kann man bleiben, das ist schön, man ist weit entrückt.

Würden Sie da hinziehen wollen? Dauerhaft?

Wir bauen ein Häuschen, und ein Teil meines Lebens wird sich da abspielen. Samt Trecker.

Werden Sie aus Potsdam wegziehen?

Nein, meine Frau arbeitet hier, wir bleiben schon auch Potsdamer. Schließlich haben wir gemeinsam noch viele Arbeitsjahre vor uns. Aber das Haus steht zumindest genau im geografischen Mittelpunkt meines Wahlkreises, der sehr lang ist, der geht von der polnischen Grenze bis runter zum Barnim. Und von daher werde ich da oben in der Uckermark sehr viel sein. Das ist ja auch der tiefere Sinn.

Welchen Wunsch erfüllen Sie Ihrer Frau jetzt?

Zum Beispiel habe ich ihr versprochen, dass der Sonntag künftig ihr gehört.

Und wenn Babelsberg spielt?

Die spielen meist samstags.

Das kann sich ändern. In der zweiten Liga.

Na, dann kommt sie mit! Zu Turbine tut sie das ja schon. Frauenfußball gefällt ihr auch besser.

Ach ja – gibt es irgendwas, wofür Sie Herrn Wowereit danken würden?

Ich finde, wir haben über die Jahre was gemeinsam hingekriegt, das ich so vorher auch nicht gedacht hätte. Wir haben wirklich die gescheiterte Fusion im Nachhinein obsolet gemacht. Weil wir alles, was in der Fusion gedacht war, auf kooperativem Wege geschafft haben: eine gemeinsame Gerichtsbarkeit, einen gemeinsamen Verkehrsverbund, einen gemeinsamen Fernsehsender – ja, haben wir inzwischen alles gemacht.

Sie danken ihm dafür, dass er die Fusion überflüssig gemacht hat?

Ich danke ihm dafür, dass wir bei allen Schwierigkeiten über so lange Zeit gut und freundschaftlich miteinander gearbeitet haben, sehr gut sogar. Und über anderes, was da sonst so erzählt wird, grinsen wir. Ja, wir haben uns manchmal hart aneinander gerieben. Ja, wir waren auch nicht bei allen Punkten einer Meinung. Aber wenn man sich unsere Bundesländer anguckt, dann sind Brandenburg und Berlin die beiden, die nicht nur am engsten zusammenarbeiten, sondern wo auch echter Schulterschluss in vielen Fragen da ist. Und dafür bedanke ich mich bei Klaus Wowereit, es war eine wirklich gute Zusammenarbeit.

Wenn Sie jetzt mal alles zusammenfassen, was ist die eine Lehre, die Sie weitergeben wollen?

Jeder macht seine eigene Erfahrung. Meine war, immer die Ruhe bewahren. Es ist alles so hektisch geworden, auch so schnell, die Nachrichtengebung im Internet trägt dazu bei. Es hilft aber immer, die alte Weisheit zu beherzigen, noch mal eine Nacht drüber zu schlafen. Entscheidungen verändern sich dann, auch in einem selber. Eine zweite Sache: Immer mehrere Meinungen einholen, hilft bei jeder Entscheidung. Und wo es geht, diese kleinen Sicherungen nutzen. Ich habe vorhin einige genannt: Wenn man dieselben Mitbewohner hat, wenn man in dieselbe Kaufhalle geht über viele Jahre, und wenn man sich mit alten Freunden trifft, das hilft gegens Abheben.

Wenn es so ist, ist es schön.

Ja, ist auch schön. Mir macht das Leben immer noch Spaß.

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