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Freundschaftsdienst: Merkel lässt Schavan schweren Herzens gehen

Leicht fiel es Angela Merkel nicht, Bildungsminsterin Annette Schavan gehen zu lassen. Doch Merkel muss zwischen dem, was ihr Amt gebietet und der freundschaftlichen Verbindung unterscheiden.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Das Schlimmste ist eigentlich vorbei, da wird ihre Stimme plötzlich dünn. Angela Merkel hat Annette Schavan verabschiedet, die Ministerin hat noch einmal erklärt, warum sie ihrer Kanzlerin ihr Amt zurückgibt, die beiden haben sich kurz zugelächelt. Jetzt fehlt nur noch eine letzte Ansage, der Name der Nachfolgerin. „Ich habe heute Morgen den Herrn Bundespräsidenten außerdem davon unterrichtet …“, sagt Merkel. Da, erst bei dieser Formalie, zittert ihr die Stimme fast weg. Freundschaft ist selten in den kalten Höhenlagen der Politik. Die beiden Frauen vor der blauen Bundesadler- Wand im Foyer des Kanzleramts sind Freundinnen, seit sie sich da oben begegnet sind. Aber gegen die kühle Logik der Politik hilft selbst Freundschaft nicht.

Merkel hat so etwas schon einmal erlebt, es ist lange her: Als sie Ruprecht Polenz als CDU-Generalsekretär ablöste, weil der ruhige Münsteraner schlicht nicht zum Angreifer taugte, hatte sie Tränen in den Augen. 13 Jahre später ist sie beherrschter, doch kein bisschen weniger bewegt. Aber Schavan hat es ihrer Freundin wenigstens leicht gemacht. Noch am Freitagabend, kaum zurück von ihrer Südafrikareise, hat sie sich bei Merkel gemeldet und ihr den Rücktritt angeboten.

„Sehr schweren Herzens nur habe ich den Rücktritt angenommen“, sagt anderntags die Kanzlerin. Schavan neben ihr schluckt kurz, aber dann hat auch sie sich wieder im Griff. Später versucht sie sogar ein bisschen zu lächeln. „Schweren Herzens“ – Merkel wiederholt es noch einmal, obwohl das nun wirklich nicht nötig wäre, weil es sowieso jeder weiß.

Schon dieser gemeinsame Auftritt am Samstagmittag ist ja Beleg genug. Franz Josef Jung und Karl-Theodor zu Guttenberg mussten ihren Rücktritt alleine erklären, Norbert Röttgen wurde gefeuert. Ein gemeinsames Bild mit der Kanzlerin bekamen sie zum Abschied nicht, bloß mehr oder minder dürre Dankesworte. Schavan bekommt zum Abschied eine Hymne. Die Hymne hat, um im Bild zu bleiben, drei Strophen: Die erste gilt der Sachpolitikerin – als „die anerkannteste und profilierteste Bildungs- und Forschungsministerin“ in Deutschland lobt Merkel sie. Für die Freundschaft, die bleiben wird, dankt sie ihr. Für ihre Haltung würdigt sie sie: Mit ihrer Entscheidung habe Schavan ihr eigenes Wohl hinter das Gemeinwohl gestellt. Schavan selbst wird später dazu ihren Mentor Erwin Teufel zitieren, den langjährigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten: „Erst das Land, dann die Partei, dann erst die Person.“

Das Zitat verwenden viele Politiker; die Konsequenz ziehen nicht ganz so viele ganz so klar und schnörkellos. Wann sie ihre Entscheidung genau getroffen hat, sagt Schavan nicht. Sie war in Südafrika, als die Universität Düsseldorf am Dienstag ihrer einstigen Studentin systematischen Betrug bei ihrer Doktorarbeit vorwarf und den Titel aberkannte. Sie brachte ihre Reise zu Ende, dann flog sie fast 9000 Kilometer zurück – Zeit genug zum Nachdenken also.

Aber im Grunde war die Entscheidung spätestens in dem Moment gefallen, als die Ministerin noch in Johannesburg ankündigte, gegen das Urteil der Uni vor Gericht zu klagen. Vielleicht hätte sie im Amt bleiben können, wenn sie den Titelverlust einfach anerkannt hätte, den Spott ertragen und darauf gesetzt hätte, dass die Leute der resoluten kleinen Frau die Beteuerung ihrer Unschuld geglaubt hätten. Es wäre ein riskanter Kurs gewesen, zumal in einem Wahlkampfjahr; vermutlich hätte sie ihn nicht lange durchhalten können – nicht mal sie, die ungeheuer zäh sein kann, von der CDU zu schweigen.

Aber sie hat sich für die eigene Ehre entschieden. Der Plagiatsvorwurf hat sie schwer getroffen, weil er an ihre Integrität als Persönlichkeit rührt. Den Makel zu tilgen, ist ihr wichtiger als die Macht. Der Rest errechnet sich aus der Logik der Politik: Eine Wissenschaftsministerin in einer juristischen Auseinandersetzung mit einer Universität – das, Schavan sagt es selber, geht einfach nicht. Wer gelegentlich erlebt hat, wie die 57-Jährige mal eben über einen reizvollen politischen Schachzug nachdenken kann, nur um ganz schnell wieder bei einer trockenen Analyse des Machbaren zu landen – wer also diese Frau ein wenig näher kennt, der kann nur zu dem Schluss kommen, dass ihr das alles nicht erst beim Flug um den halben Globus klar geworden ist.

Merkel kennt die Logik der Politik genauso gut. Wahrscheinlich ist sie ihr noch nie so widerwillig gefolgt wie an diesem Wochenende. Die Wissenschaftlerin Merkel findet das Urteil der Universität fragwürdig und den Entzug eines Titels 33 Jahre später nicht in Ordnung, auch wenn sie beides nie sagen würde. Die Kanzlerin Merkel weiß, dass Wissenschafts- und Bildungspolitik in einem Wahlkampf kein zentrales, aber auch kein ganz unwichtiges Thema sein wird, das die CDU rund um die Frage der Zukunftsfähigkeit des Landes aufbauen will. Johanna Wanka, die Neue, ist fachlich eine gute Wahl; aber bis die Leute ihr Gesicht kennen, wird es eine Weile dauern. Außerdem fügt sich die Causa Schavan im allmählich anlaufenden Wahlkampf in ein Bild von Pannen und Misslichkeiten – Niedersachsen knapp verloren, die FDP immer noch unsortiert, jetzt der Abgang einer Spitzenkraft, die im inneren Gefüge der CDU eine wichtige Rolle spielte – es hätte alles schöner kommen können zum Auftakt eines ohnehin sehr schweren Wahljahrs.

Vor allem aber verliert Merkel eine Schwester im Geiste, die ihren gesellschaftlichen Modernisierungskurs immer gestützt hat. Das blieb meist unauffällig wie die Person selbst. Aber die kritische Katholikin war immer eine wichtige Brückenbauerin hinein in Kirchenkreise und zu Denkweisen, die der protestantischen Pastorentochter im Kanzleramt vergleichsweise fernliegen.

Natürlich zählte es auch zu Schavans Vorzügen, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, Merkel das Amt streitig zu machen. Mit Ausflügen auf der Karriereleiter hat sie ja ohnehin schlechte Erfahrungen gemacht. Ihre Bewerbung um die Nachfolge Teufels endete mit einer – wenn auch ehrenvollen – Niederlage gegen Günther Oettinger. In den 14 Jahren als CDU-Vizevorsitzende waren ihre Wahlergebnisse meist durchwachsen; da musste sie manchmal auch Prügel einstecken, die der Freundin Merkel galten. Dass sie beim letzten CDU-Parteitag ihren Stuhl zugunsten des neuen baden-württembergischen Parteichefs Thomas Strobl räumte, war halb Ausdruck von Loyalität gegenüber Partei und Vorsitzender, halb Einsicht in die Realitäten: Eine Kampfkandidatur war aussichtslos.

Auch da hat sich also schon das Muster abgezeichnet, dem jetzt ihr Rücktritt folgt. Aber die anderen haben es ihr ebenfalls leicht gemacht; sie selbst dankt in ihrer kurzen Abschiedsrede dafür. Sie wird da an den SPD-Chef Sigmar Gabriel gedacht haben, der ja sonst keine Wahlkampfrüpelei scheut, aber auf die Nachricht von Schavans verlorenem Doktortitel betroffen reagierte. Oder auch an all die Parteifreunde, die jetzt tagelang den Mund gehalten haben. Dass jemand sie zum Abgang habe drängen müssen, dieser unschöne Eindruck ist so gar nicht erst aufgekommen. „Er findet nicht den Punkt, aufzuhören“, hat sie einmal über einen Parteifreund gesagt, der sich aus anderen Gründen als sie zwischen Bleiben und Gehen entscheiden musste. Annette Schavan hat den Punkt rechtzeitig erkannt.

Bleiben will sie aber trotzdem, jetzt nur noch als einfache Abgeordnete. Auch die Bewerbung um ein neues Mandat bleibt bestehen – ihr Ulmer Kreisverband hatte sie erst vor kurzem mit trotzigem Rekordergebnis zur Kandidatin gewählt. Und weiter um ihren Ruf kämpfen will sie. „Ich habe in meiner Dissertation weder abgeschrieben noch getäuscht“, sagt sie. Merkel hört ihr unbewegten Gesichts zu. Sie hätte ihre Ministerin gerne gehalten. In den Höhenlagen der Politik ist es oft kühl und einsam. Da oben spürt man es doppelt, wenn einer die Seilschaft verlassen muss.

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