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Präsident und Premier. Bundespräsident Gauck und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (links) trafen sich – und wurden sich nicht einig. Gauck äußerte Unbehagen wegen Israels Siedlungspolitik. Europa und Deutschland wären „dankbar für jedes Zeichen“, die Frage sei „ein Schlüssel“ zum Frieden. Netanjahu lehnte ein Einlenken ab.

© dpa

Avi Primor: "Gauck ist deutlicher als die Kanzlerin"

Avi Primor, Israels früherer Botschafter in Deutschland, über den Auftritt des Bundespräsidenten, Günter Grass - und die Ursachen deutscher Voreingenommenheit gegenüber Israel.

Von Hans Monath

Herr Primor, wie ist das öffentliche Echo auf den Besuch des Bundespräsidenten in Israel?

Sehr positiv, weil Joachim Gauck den richtigen Ton gefunden hat. Er spricht offen mit uns. Das Problem mit den Deutschen im Dialog mit Israel ist doch, dass die Deutschen meistens befangen sind. Das halte ich für einen Fehler, wenn wir eine echte Freundschaft pflegen wollen. Gauck sagt, er sei ein Freund Israels und er sei mit Israel verbunden. Gleichzeitig meint er aber, dass er uns seine Meinung sagen soll, selbst wenn sie uns nicht passt.

Sie meinen damit seine Forderung nach Flexibilität in der Siedlungspolitik und seine Warnung vor einem Krieg Israels mit dem Iran?

Genau. Und er äußert sich zu den Verhandlungen mit den Palästinensern. Er äußert sich da nicht so direkt, aber unterschwellig kann man spüren, dass er Israel verantwortlich dafür macht, dass es keinen Friedensprozess mehr gibt.

Deutschen Beobachtern ist aufgefallen, dass sich Gauck von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgesetzt hat. Sie sagte bei ihrem Israel-Besuch vor der Knesset im Jahr 2008, die Existenz Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Joachim Gauck blieb nun dahinter zurück, indem er nur sagte, das Eintreten für das Existenzrecht Israels sei für die deutsche Politik „bestimmend“. Ist das eine Distanzierung von dem weitergehenden Versprechen der Bundeskanzlerin?

Das kann ich schwer beurteilen. In Israel wurde das kaum wahrgenommen, weil man diese Nuancen nicht so richtig versteht. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Gauck freier in seinem Dialog ist. Er ist überzeugt, dass man Israel kritisieren darf. Wichtig ist, wie er das tut, nämlich ohne Vorurteile, ohne Rassismus, ohne Antisemitismus. Es gibt ja Menschen, die sofort antisemitische Klischees benutzen, wenn sie Israel kritisieren.

Joachim Gaucks Karriere in Bildern:

Sie denken an Günter Grass und sein Gedicht?

Wenn Günter Grass zum Beispiel sagt, Israel gefährde den Weltfrieden, erinnert das an bestimmte Äußerungen von Adolf Hitler. Bei ihm hieß der Satz, die Juden gefährdeten den Weltfrieden. Jetzt sind es nicht die Juden, sondern der Judenstaat. Ich halte Grass nicht für einen Antisemiten. Im Nachhinein hat er gesagt, er habe die israelische Siedlungspolitik und die Politik gegenüber den Palästinensern kritisieren wollen. Dann hätte er das doch sagen sollen. Man kann Israel kritisieren, sollte dann aber antisemitische Klischees vermeiden.

Das tut der Bundespräsident Ihrer Meinung nach. Ist er in seiner Kritik deutlicher als die Bundeskanzlerin?

Ja. Die Kanzlerin hat erst lange nach ihrem Besuch in Israel im Jahr 2008, nämlich im vergangenen Jahr begonnen, die israelische Regierung zu kritisieren. Sie tat das aber nicht in der Öffentlichkeit, sondern im direkten Gespräch mit Regierungschef Benjamin Netanjahu. Man konnte sie nicht zitieren, man konnte sie nicht hören. Gauck kann man hören.

Die Deutschen sind sehr kritisch gegenüber Israel, wenn man Umfragen glaubt. 70 Prozent von ihnen sagen, Israel vertrete seine Interessen ohne Rücksicht auf andere Völker, ganze 60 Prozent halten die israelische Politik für aggressiv. Trägt die Politik der israelischen Regierung zu solchen Urteilen bei?

Gauck hat gesagt, dass die deutsche öffentliche Meinung ihm Sorgen bereitet. Zwischen den Zeilen aber kann man lesen: Was ihm Sorgen bereitet, ist nicht nur die Distanzierung der deutschen Bevölkerung von Israel, sondern auch die Gründe, die dazu führen. Anders gesagt: Ihm bereitet die Politik der israelischen Regierung Sorgen. Das haben die Kommentatoren hier sehr gut verstanden.

Das Gespräch führte Hans Monath.

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