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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist klare Wahlgewinnerin.

© dpa

Der Triumph von Angela Merkel: Dem Himmel so nah

Überlebensgroß! Einen Sieg von Angela Merkel hatten alle erwartet. Aber nicht, dass er haushoch sein würde. Genau deshalb könnte er auch einige Nebenwirkungen haben.

Von Robert Birnbaum

Der Mann im grau-legeren Anzug steht ganz still an der Seite. Dabei tobt um ihn herum im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses ein Beifallssturm wie seit Menschengedenken nicht mehr. Die Jugend vom CDU-Wahlkampfteam hüpft in ihren orangefarbenen T-Shirts frenetisch auf und nieder, Thomas de Maizière fällt seiner Tochter um den Hals. Oben auf der Bühne haben sie sich alle versammelt: Volker Kauder, Hermann Gröhe, Gerda Hasselfeldt, die drei Vizevorsitzenden. Kauder und Gröhe recken immer wieder Daumen in die Luft, Ursula von der Leyen strahlt quasi gleichzeitig nach oben und unten und rechts und links. Die Frau in der Mitte lächelt. Dann formt Angela Merkel wie zufällig die Hände zur Raute. Die Hüpfjugend weiß sich gar nicht mehr zu fassen. Der Mann im grau-legeren Anzug steht immer noch still an der Seite. Aber Joachim Sauer strahlt sozusagen von innen.

Die Kanzlerin wird ihren Mann später in ihren Dank einschließen: „Der muss auch manches ertragen.“ Wenn nichts sonst die Sensation anzeigen würde – dass der Professor Sauer aus seiner selbst gewählten Unsichtbarkeit heraus getreten ist, wäre Signal genug. Dabei haben sie es ja alle selbst nicht geglaubt, bis zuletzt. Seit halb sechs hat Merkel im fünften Stock des Adenauer-Hauses mit Vertrauten und politischen Weggefährten beisammen gesessen. Ganz still und sehr konzentriert ist es da zugegangen. Die ersten Umfragedaten, die wie üblich am späten Nachmittag in den Parteizentralen eintrafen, deuteten auf Sieg. Aber sie deuteten nicht auf Triumph. Sie deuteten erst recht nicht darauf hin, dass es viel zu viel Triumph werden könnte.

Punkt 18 Uhr: In der CDU-Zentrale bricht ein Inferno los

Um Punkt 18 Uhr steigt der schwarze Balken auf den Fernsehschirmen höher und höher. Erst bei 42 Prozent macht er Halt. In der CDU-Zentrale bricht das zweite Inferno los. Das erste war eine Art Generalprobe, als nämlich kurz vor Schließung der Wahllokale auf den ringsum aufgehängten Fernsehschirmen der ZDF-Reporter zu sehen war, der auf die Frage antworten sollte, wie denn bei den Christdemokraten so die Stimmung sei. Der Mann hatte dann ein paar Probleme, den Lärm in seinem Rücken zu übertönen. Jetzt aber brüllen die Hüpfjungen „Angie, Angie“, wie sie es in den vergangenen Wochen und auch auf den Marktplätzen und in den Hallen noch nie getan haben. „Das haben wir seit 20 Jahren nicht mehr gehabt“, ruft von der Leyen in eine Kamera. „Das ist einfach überwältigend! Fantastisch! Unglaublich!“ Unter Merkels Stellvertretern ist die Niedersächsin heute Abend hauptamtlich für Enthusiasmus zuständig. Immerhin, einen Satz hat sie für andere übrig: „Wir hoffen, dass die FDP es noch schafft.“

Dieser Wahlkampf stellte Angela Merkel in den Mittelpunkt und sonst nichts

Dabei hat die Sozialministerin ja recht, es ist wirklich unglaublich. Die Geschichte der Angela Merkel in der CDU war bis zu diesem Tag eine Geschichte der Siege mit Hängen und Würgen. Es ist noch nicht lange her, da taugte der vorwurfsvoll vorgetragene Satz „Die Union sollte in Deutschland schon 40 Prozent plus x erreichen können“ ganz prima als verdeckte Attacke auf eine CDU-Vorsitzende, unter der ihre Partei Landtag um Landtag verlor und es im Bund stets bloß auf Werte im 30er Mittelfeld brachte. Ganz heimlich hat der Satz noch über ihrem Wahlkampf geschwebt, obwohl die einschlägigen Herren, die Roland Koch und Christian Wulff, die Friedrich Merz und Stefan Mappus bereits länger im Geschichtsbuch stehen. Dieser Wahlkampf stellte Merkel in den Mittelpunkt und sonst nichts und niemanden. Damit lud er ihr aber zugleich alle Verantwortung auf und alles Risiko. Das Ergebnis würde ihr Ergebnis sein, der Realitätstest für einen Mythos, der es in diesem Monat sogar auf den Titel des legendären „Time“-Magazin gebracht hat: „The Merkel Enigma“ überschrieb das Blatt seine Titelgeschichte, das Rätsel Angela.

Der Triumph ist auch ein Problem

Jetzt also steht das Rätsel auf der Bühne und dankt den Bürgern für das „überwältigende Vertrauen“. Sie dankt ihrer Partei und ihren Helfern: „Wir haben wirklich gekämpft.“ Sie dankt der CSU: „Die Union, das sind Volksparteien, die alles dafür tun werden, dass es erfolgreiche Jahre sein werden.“ Mit Horst Seehofer hat sie schon telefoniert. Die Bayern haben sich sogar noch übertroffen – mehr als 50 Prozent hat die CSU für Merkel eingefahren, mehr als die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl vor einer Woche für sich selbst. Das mit den erfolgreichen Jahren kann man deshalb gleich schon mal als dezente Warnung lesen: Horst, nicht übertreiben mit dem Vor-Kraft-nicht-laufen-Können!

Merkel ist in dieser Art Versuchung nicht mal im Triumph. Wie es jetzt weitergehe – zu früh, darüber zu reden. Morgen. Wenn das Endergebnis bekannt ist. Später, in der Berliner Runde der Spitzenkandidaten, wird sie sich hartnäckig jedem Versuch widersetzen, ihr irgend etwas über künftige Regierungen und Was-wäre-wenn-Koalitionen zu entlocken. Ja, sie hat die Blumen entgegen genommen, hat dann endlich selber auch gestrahlt und in die Menge gerufen: „Aber feiern dürfen wir heute schon!“ Sie hat sogar ein Foto mit sich machen lassen und ihrem Joachim und ihrer Bürochefin Beate Baumann.

Wenn – ja, wenn es ein Triumph bleibt

Die vierte im Bunde steht ein wenig abseits. Eva Christiansen war Merkels Sprecherin von Anfang an, heute ihre Stimme und ihre Strategieplanerin im Kanzleramt. Sie hat alle Höhen und Tiefen miterlebt, von Kohls Spendenaffäre über den legendären Leipziger Parteitag zum bitteren Frühstück mit Edmund Stoiber in Wolfratshausen, all die knappen Wahlerfolge und die Tage, in denen hinter vorgehaltener Hand die halbe CDU über diese Vorsitzende schimpfte, die die Partei um einer ungewissen Modernisierung willen inhaltlich entkerne. Das hier ist auch Christiansen Triumph. Es schimmert ein bisschen feucht in ihren Augen.

Wenn – ja, wenn es ein Triumph bleibt. Es gibt da nämlich so ein paar hässliche Nebenwirkungen. Das sehr, sehr gute Abschneiden der „Alternative für Deutschland“ zum Beispiel. Bis zuletzt wird an diesem Abend offen bleiben, ob die Anti-Euro-Wutbürger es in den Bundestag schaffen. Aber schon dass sie kurz davor stehen lässt alle Hoffnungen zerstäuben, dass die Protesttruppe so rasch wieder verschwindet, wie sie entstanden ist. Nächstes Jahr ist Europawahl. „Da kriegen die zehn Prozent“, sagt ein Regierungsmitglied voraus. Wovor die Altvorderen immer gewarnt haben, ist Realität: eine Partei rechts der Union, aber nicht rechtsradikal. „Das sind ganz brave Bürgerliche mit Wut im Bauch“, hat vor kurzem ein altgedienter CDU-Abgeordneter aus dem heimischen Straßenwahlkampf berichtet: „An den Ständen kenn’ ich jeden zweiten von denen.“

Das ist also schief gegangen. Etwas zu gut funktioniert hat hingegen die Anti-Zweitstimmen-Kampagne, mit der sich die CDU den üblichen Stimmenklau des Partners FDP verbeten hat. Die Liberalen sind raus. Die bürgerliche Koalition – vorbei, wer weiß auf wie lange.

Nicht, dass es nicht durchaus Leute bei der CDU gäbe, die das Ende nach diesen vier weitgehend chaotischen Jahren aufatmend kommentieren: „Die haben es ja wirklich nicht besser verdient“, entfährt es einem aus der Parteiführung. Merkel selbst verteidigt ihre Strategie, dem „Zweitstimme FDP“ ein „Beide Stimmen für die CDU“ entgegenzusetzen: „Das war kein Fehler.“ Was soll sie sonst auch sagen? Ein Problem wird das Ende der FDP allemal. Die Freidemokraten werden für die nächsten vier Jahre in Berlin nicht mehr vorkommen. Opposition gibt es nur noch von links. Und kein bürgerlicher Mehrheitsbeschaffer mehr in Sicht. Dabei könnte die triumphale Siegerin ihn vielleicht noch dringend brauchen.

Sie braucht einen Neuen, zum Mitregieren. Freundlich waren schon einige

Um kurz nach 19.00 Uhr brandet schon wieder Jubel auf in der CDU-Zentrale. Die nächste Hochrechnung, die Nachrichtenagenturen jagen Eilmeldungen hinaus: absolute Mehrheit für die Union! Die Parteijugend strahlt. Aber diesmal bleiben die Jungen die Einzigen, die sich freuen. Sie sind halt noch jung und ahnungslos.

Eine absolute Mehrheit von einigen wenigen Stimmen, das ist die Hölle

Bei den Älteren, Erfahreneren hingegen sieht man plötzlich sehr besorgte Mienen. Eine absolute Mehrheit ist ja an sich eine schöne Sache. Doch eine absolute Mehrheit von einigen wenigen Stimmen, das ist die Hölle. Jede läppische Abstimmung zur weiteren Euro-Rettung würde zum Hasardeursakt. Die drei, vier üblichen Abweichler könnten Schicksal spielen. „Lass uns das bitte ersparen!“, fleht ein Vorstandsmitglied unsichtbare Gottheiten an. Auch Merkel hat die Gefahr längst erkannt. Eigentlich will sie ja in der Berliner Fernsehrunde gar nicht reden über Koalitionen und Angebote. Aber ein Satz entfährt ihr doch: „Vielleicht findet sich gar keiner, der mit uns was machen möchte!“ Dann hat sie sich wieder im Griff: abwarten, Endergebnis anschauen, weitersehen.

„WIR bleiben Kanzlerin!“

Nach der Sendung fährt sie noch mal zurück in die Parteizentrale. Die Jungen haben jetzt neue T-Shirts an: „WIR bleiben Kanzlerin!“ Nix ist, SPD, mit „Das Wir entscheidet“! Auf der Bühne gibt Kauder den Rock-Star: „An Tagen wie diesen ...“ röhrt der Fraktionschef ins Mikrofon. „Freut euch“, ruft Merkel in die Menge, „Heute wird gefeiert, ab morgen wieder gearbeitet!“ Die Menge mag nicht. „Übermorgen, übermorgen!“ tönt es zurück. Aber Merkel hat natürlich recht. Inzwischen sind die Hochrechnungen wieder etwas niedriger. Keine absolute Mehrheit, kein Pyrrhussieg, wohl noch mal Glück gehabt. Doch ab morgen muss sie einen suchen zum Mitregieren. Sigmar Gabriel hat neulich schon ganz großkoalitionär geklungen. Aber Jürgen Trittin hat ihr auch sehr höflich zum Sieg gratuliert.

Alles rund um die Ereignisse am Tag nach der Wahl lesen Sie in unserem Live-Blog.

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