zum Hauptinhalt
Familienangehörige tragen den Sarg von König Abdullah durch die Moschee in Riad.

© Reuters

Abdullah von Saudi-Arabien: Der tote König hinterlässt ein Reich voller Probleme

Nach dem Tod von König Abdullah von Saudi-Arabien wurde sein Halbbruder Salman zum Herrscher ernannt. Er ist 79 Jahre alt und leidet unter den Folgen eines Schlaganfalls. Er muss ein Land regieren, dessen Probleme ihm bald über den Kopf wachsen könnten.

„Ich verkünde euch gute Nachrichten“, hatte noch am Vorabend zu Freitag ein Mitglied der Königsfamilie frohgemut getwittert. „Dem Hüter der beiden Heiligen Stätten geht es gut und an den Gerüchten, die im Umlauf sind, ist nichts dran“. Keine drei Stunden später wurde dann im Staatsfernsehen das offizielle Kommuniqué des saudischen Hofes verlesen - Monarch Abdullah bin Abdulaziz ist tot, gestorben um ein Uhr früh im King Abdulaziz Medical City Hospital in Riyadh an den Folgen einer Lungenentzündung. Bereits am Nachmittag nach dem Freitagsgebet wurde der 90-Jährige in Riyadh auf dem Friedhof beigesetzt, wo die gesamte Königsfamilie begraben liegt. Zu der Trauerfeier in der Imam Turki bin Abdullah Moschee in Riyadh waren neben den Golfherrschern auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Pakistans Regieurungschef Nawaz Sharif angereist.

Noch in der Nacht wurde der 79-jährige bisherige Kronprinz Salman bin Abdulaziz zum Nachfolger proklamiert, der eine dreitägige Staatstrauer verkündete. Er werde die Richtung des Königreiches nicht ändern, erklärte er in einer kurzen Mitteilung an das Volk und forderte seine Landsleute auf, zusammenzustehen und Einigkeit zu zeigen. Die Bürger der Hauptstadt Ryadh wurden gebeten, zum Palast zu kommen und dem neuen Herrscher Gefolgschaft zu schwören.

Der neue Monarch leidet unter den Folgen eines Schlaganfalls

Für das arabische Königreich mit den größten Rohölreserven der Welt kommt Abdullahs Tod zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Im Inneren wie im Äußeren türmen sich die Probleme wie selten zuvor. Ob der neue Monarch Salman überhaupt amtsfähig ist, daran bestehen erhebliche Zweifel. Er leidet offenbar unter den Folgen eines Schlaganfalls möglicherweise auch unter beginnender Demenz. Zwar absolvierte Salman in den letzten Monaten einen dichten öffentlichen Terminkalender, doch nach der ersten Begrüßung würden seine Sätze rasch „inkohärent“, berichteten Beobachter. Der bisherige Vizekronprinz Muqrin bin Abdulaziz, der nun als neuer Kronprinz nachrückte, ist mit 69 Jahren der jüngste noch lebende Spross von Abdulaziz al-Saud, jedoch unter den 34 thronberechtigten Familienstämmen umstritten. Aus Sicht einiger mächtiger Wüstenaristokraten hat der in Großbritannien ausgebildete Kampfpilot keinen Anspruch auf den Thron, weil er von einer jemenitischen Sklavin abstammt, die der Staatsgründer seinerzeit als 15-Jährige schwängerte. Und so verweigerten nach Muqrins Ernennung sieben der 34 Repräsentanten im so genannten Huldigungsrat ihre Zustimmung oder enthielten sich der Stimme – Indiz für wachsende Spannungen innerhalb des weit verzweigten Königsclans.

Aber auch in der Gesellschaft gärt es. Im saudischen Cyberspace wächst der Unmut über die Schmarotzerklasse der rund 8000 Prinzen und der mit ihnen verbundenen Familien, einer superreichen Petrol-Nomenklatura von etwa 100.000 Personen. Bei der Zahl der Twitter-Botschaften pro Kopf liegt Saudi-Arabien inzwischen vor den Vereinigten Staaten. In keinem Land gibt es mehr Youtube-Nutzer als in der Heimat des Propheten Mohammed, wo jeden Tag 90 Millionen Videos abgerufen werden. Auf Facebook werden Korruptionsfälle teilweise detailgenau ausgebreitet und skurrile Fatwas wahabitischer Scheichs verspottet. Als Reaktion erließ Saudi-Arabien ein Gesetz gegen so genannte Cyber-Kriminalität, das derartige Onlinekritik unter Strafe stellt. Gleichzeitig wurden Menschenrechtler und Dissidenten serienweise mit Prozessen überzogen wegen „Unruhestiftung“, „Verleumdung des Königreiches“ und „Rebellion gegen die Autoritäten“.

Zwei Drittel der 28 Millionen Saudis sind jünger als 30 Jahre. Zwischen zehn und 15 Prozent sind arbeitslos, während ein Elf-Millionen-Heer billiger Migranten die Wirtschaft am Laufen hält. Die meisten von ihnen verdienen zwischen 300 und 500 Dollar im Monat, für die kein Einheimischer einen Finger krumm machen würde. In Teilen des Landes herrscht trotz des 730-Milliarden-Dollar Staatschatzes bittere Armut, in zahlreichen Städten katastrophaler Wohnungsmangel. Obendrein reist der seit einem halben Jahr rasant verfallende Ölpreis 2015 ein Rekordloch von fast 40 Milliarden Dollar in den Staatshaushalt. Die Schiiten im Osten des Landes, wo sämtliche Förderanlagen liegen, werden immer unruhiger. Nahezu jede Woche kommt es zu Schießereien zwischen Polizisten und Mitgliedern der Minderheit. Auch gegen politische Dissidenten geht die Führung seit einigen Jahren immer rabiater vor. Die öffentliche Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi vor der Al-Jafali-Moschee in Jeddah hat Saudi-Arabien weltweit in Misskredit gebracht. Im letzten Jahr wurden mehr als 80 Menschen öffentlich enthauptet, eine Praxis, die das Königreich auch im Januar demonstrativ fortführte.

Im Äußeren sieht sich Saudi-Arabien durch das „Islamische Kalifat“ einer schwer kalkulierbaren Bedrohung gegenüber -  zumal niemand weiß, wie viele Anhänger die Terrormiliz in der saudischen Bevölkerung wirklich hat. Offiziell kämpfen mindestens 2500 junge Saudis als Gotteskrieger in Syrien und Irak in den Reihen der ISIS-Brigaden, die sich über die sunnitischen Provinzen im Westirak auch der Nordgrenze des Königreichs nähern. Zudem praktizieren die neuen Fanatiker die gleiche fundamentalistische Islamdoktrin, wie sie ultrakonservative saudische Prediger seit Jahrzehnten mit milliardenschweren Missionsetats in aller Welt propagieren. Und so brauchte es erst eine wütende Gardinenpredigt von König Abdullah über „die Faulheit und das Schweigen“ der Klerikerkaste, bis sich der saudische Obermufti zwei Monate nach der Eroberung von Mosul schließlich bereitfand, den „Islamischen Staat“ öffentlich zu verurteilen und als „Feind Nummer eins des Islam“ zu disqualifizieren. Im Jemen hat Widersacher Iran mit dem jüngsten Staatstreich der schiitischen Houthis und dem Rücktritt von Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi erstmals seinen Fuß fest auf die Arabische Halbinsel. Und demnächst könnte sogar der größte aller saudischen Alpträume Realität werden – sollte sich Erzfeind Teheran nach drei Jahrzehnten Isolation durch einen Atomvertrag mit dem Westen international wieder salonfähig machen.

Der ehemalige Stotterer war wegen des bescheidenen Auftretens beliebt

Abdullah, der als junger Mann stotterte, kam 2005 nach dem Tod seines durch einen Schlaganfall gelähmten Halbbruders König Fahd auf den Thron, dessen Amtsgeschäfte er bereits seit 1996 geführt hatte. Schnell gewann er die Herzen der Bevölkerung, weil er persönlich sehr bescheiden auftrat. Er schuf die Anrede „Seine Majestät“ ab, hielt jede Woche eine Sprechstunde für einfache Leute in seinem Palast und verbot den Besuchern, ihm bei der Begrüßung seine Hand zu küssen. Insgesamt 13 Mal war er verheiratet, niemals jedoch mit mehr als vier Frauen gleichzeitig, wie es die Scharia vorschreibt. Namentlich bekannt sind sieben Söhne und 15 Töchter.

Abdullah verfolgt einen moderaten Modernisierungskurs und versuchte, das erzkonservative Königreich vorsichtig zu öffnen. Mehr als 100.000 junge Frauen und Männer konnten während seiner knapp zehnjährigen Amtszeit mit Regierungsstipendien im Ausland studieren. Der Monarch schränkt die Macht der Religionspolizei ein und berief zum ersten Mal mit Nora al-Fayiz eine Frau in die Regierung, die als Vize-Bildungsministerin für die Mädchenbildung zuständig ist. Zudem krempelte er den 21-köpfigen Rat der islamischen Rechtsgelehrten um, das mächtigste Instrument der frommen Hardliner. Erstmals sind nun auch die liberaleren islamischen Rechtschulen wieder vertreten. Parallel dazu startete er ein Ausbildungsprogramm für junge Juristen, um die extreme Willkür bei der Scharia-Rechtsprechung in Saudi-Arabien einzudämmen.

2009 weihte er die „King Abdullah University of Science and Technology  (KAUST)“ ein, die er mit einem Stiftungskapital von zehn Milliarden Dollar in die Liga der hundert besten Lehranstalten der Welt katapultieren will. Auch in anderen Teilen Saudi-Arabiens werden Hochschulen aus dem Boden gestampft. Nahe dem Flughafen von Riyadh entstand eine neue Frauenuniversität für 40.000 Studentinnen, die größte in der gesamten arabischen Welt. 120 Kilometer von Jeddah entfernt an der Küste des Roten Meeres gründete er die „King Abdullah Economic City“, in der einmal zwei Millionen Menschen leben sollen. 2003 berief er in den Shoura-Rat, dem vom König berufenen 150-köpfigen Parlament, erstmals 30 Frauen. Bei den kommenden Kommunalwahlen 2015 dürfen saudische Frauen zum ersten Mal in der Geschichte ihres Landes mit abstimmen. Dennoch blieb auch unter seiner relativ aufgeklärten Herrschaft das Autofahrverbot für Frauen in Kraft, ebenso wie die erzkonservativen Vormundschaftsregeln, die Frauen de facto im Status von Minderjährigen halten und vollkommen von der Autorität ihrer männlichen Familienmitglieder abhängig machen.

Die Untertanen wurden mit Geld ruhig gestellt

Während des Arabischen Frühlings stellte König Abdullah seine Untertanen mit zusätzlichen 130 Milliarden Dollar für Gehaltserhöhungen, neue Stellen und billige Wohnungskredite politisch ruhig. Dem abgesetzten tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali gewährte er Asyl. In Bahrain ließ er Truppen und Polizeieinheiten einmarschieren, um den dortigen sunnitischen Königshaus zu helfen, den Aufstand der schiitischen Mehrheit zu unterdrücken. Die Machtübernahme von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi in Ägypten, der den Muslimbruder-Präsidenten Mohamed Mursi mit Militärgewalt absetzte, unterstützt Abdullah mit Milliardensummen.

Der neue König Salman hat mit drei Ehefrauen eine Tochter und zwölf Söhne, von denen zwei in mittlerem Alter an Herzleiden starben. Sohn Prinz Sultan bin Salman flog 1985 als erster arabischer Astronaut mit der US-Raumfähre „Discovery“ ins All. Sohn Mohammed bin Salman wurde noch in der Nacht zu Freitag zum neuen Verteidigungsminister ernannt, dem wichtigsten Posten zur Absicherung der Königsmacht. In Jedda und Riyadh, den beiden größten Städten des Königsreiches, waren die Straßen den ganzen Tag über sehr ruhig, auch weil an Freitagen alle Geschäfte geschlossen sind und die Arbeit ruht. Selbst in den sozialen Netzwerken herrschte ein eher gedämpfter Ton. Manche erklärten eine dreitägige Twitterpause aus Respekt vor dem Verstorbenen. „Abdullah war nicht nur der König, er war auch wie ein Vater“, twitterte eine junge Frau aus Riyadh. Die Aktivistinnen für „Frauen am Steuer“ dagegen kommentierten den Tod des Monarchen lediglich indirekt mit den Worten „für alle Kreaturen – ob groß oder klein – von euch bliebt nichts übrig als eure Taten und euer Grab. Nur Gott existiert für immer.“ Abdullah habe das Land vorangebracht, wir verdanken ihm viel, urteilte dagegen ein wohlhabender Geschäftsmann aus Jeddah, dessen Familie eine der größten Baufirmen des Landes gehört und der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine so große Gesellschaft wie die saudische sei nun einmal schwer zu steuern. Der König habe sich vielleicht mehr Reformen gewünscht, habe aber nur so schnell vorangehen können, wie sie Gesellschaft mitziehe. Insgesamt befinde sich Saudi-Arabien auf einem guten Weg und brauche sich nicht um die Zukunft zu sorgen. „Ich bin absolut, dass der neue König nahtlos an die bisherige Linie anknüpfen wird.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false