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Die Wulaia-Bucht in Feuerland bot dem britischen Naturforscher Charles Darwin auf seiner Expeditionsreise mit der HMS „Beagle“ 1833 ausreichend Schutz vor den Unbilden der Natur.

©  Reinhart Bünger

Chile und Argentinien: Immer gegen den Wind

Kap Hoorn – da denkt man an schwere See und gesunkene Schiffe. Touristen fahren auf der "Stella Australis" dorthin. Sturm, Eis und Kälte kommen ihnen gerade recht.

Wasser, Wind und eisige Kälte: Mit 112 Stundenkilometern fegt der Sturm Wasser des Südatlantiks bis auf das fünfte Deck der „Stella Australis“. Tiefhängende Wolken verwandeln Kap Hoorn in ein graues Irgendetwas. Hier muss es sein, das Ende der Welt. Berlin ist 14.000 Kilometer weit entfernt. Vage ist auf dem Felsen das Denkmal für die vielen umgekommenen Seeleute zu erahnen.

Erst vor wenigen Monaten hatte ein Orkan die stählerne Silhouette des stilisierten Albatros zerbrochen. Wohl nirgendwo auf der Welt ist der Mensch den Naturgewalten so extrem ausgesetzt. Die kalte Luft aus der Antarktis prallt auf die wärmere aus dem Süden. Und der Atlantik vermischt sich hier in starken Strömungen mit dem Pazifik.

Ersehnt, sagenumwoben, gefürchtet – doch genau besehen ist die Südspitze Südamerikas nicht mehr als ein Punkt auf der Weltkarte. Wären da nicht die Geschichten der Seeleute, die mit ihren Großseglern immer wieder die Position 55° 59' südlicher Breite und 67° 17' westlicher Länge zu umrunden suchten. In gebührendem Abstand, versteht sind. Nicht immer gelang das. Die „Orangie Boom“, erste auf der Liste der Schiffbrüche um Kap Hoorn, erwischte es 1642 in der schweren See. Zuletzt sank dort, im April 1929, der deutsche Dreimaster „Pinnas“.

Die Winde haben seitdem nichts an Heftigkeit verloren. Nur ängstliche Kapitäne mit schlecht ausgebildeten Mannschaften wählen lieber den längeren Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung, um ihre Ziele an der Westküste Amerikas zu erreichen, lästern Kap Hoorniers.

"Alle wollen nach Santiago", sagt Maria

Wasser, Inseln, Berge, das ist Feuerland. Die fünftägige Kreuzfahrt durch die Fjorde Feuerlands beginnt in Punta Arenas, ganz im Süden Chiles. Hier kutschiert Taxifahrerin Maria die Passagiere vom Flughafen zum Check-In-Terminal im Hafen. „Alle wollen nach Santiago“, sagt Maria.

Die legendäre Magellanstraße, die den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, liegt zu ihrer Linken. „Es ist einfach langweilig in Punta Arenas. Meistens regnet es. Und wenn es doch einmal über 20 Grad sind, glauben alle es sei Sommer. Doch das ist nur zwei Tage im Jahr so.“ Also will sie auch weg? „Nein, ich nicht, ich bin privilegiert“, lacht Maria. Sie sei ja über die interessanten Gespräche mit Touristen mit der Außenwelt verbunden.

Die „Stella Australis“
Die „Stella Australis“

© promo

Die „Stella Australis“ ist ein für das Fahrtgebiet Patagonien gebautes Expeditionsschiff, das zu fünfzig Prozent aus Fenstern zu bestehen scheint. 210 Passagiere kann es aufnehmen. Auf diesem Törn sind 14 Nationen vertreten, wie sich in der Vorstellungsrunde zeigt. Mehrheitlich kommen die Reisenden aus den USA, aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Noch irgendwelche Fragen? „Ja, wie ist das mit dem Internet?“, will ein Mann wissen. Die Antwort der Reiseleitung ist unmissverständlich: „Wir sind am südlichen Ende der Welt, und da ist ja wohl klar, dass es hier kein Wifi gibt.“

Ein Bordradio mit fünf Musikprogrammen muss reichen zur Zerstreuung. Beim Einschlafen erinnert Scott McKenzies Gassenhauser „If you're going to San Francisco...“ eher unfreiwillig an alte Goldgräberzeiten, die der Kap-Hoorn-Fahrt – von Argentinien an die Westküste der USA – einen Boom bescherte.

Vor rund einhundert Jahren war die Gegend noch komplett von Gletschereis bedeckt

Peter feiert mit seiner Frau auf der Reise Silberne Hochzeit. Beide kommen vom Bodensee. In der ersten Nacht haben sie die Vorhänge in ihrer Kabine gar nicht erst zugezogen. „Der Bordscheinwerfer schien so schön auf die schneebedeckten Kuppen der Anden“, erzählt Peter am Morgen. Von einem Frühstücksbuffet mit frisch gebrühtem Kaffee und Orangen konnten Seefahrer früherer Zeiten nur träumen. Nach wochenlangem Kreuzen gegen den Wind grassierten oft Mangelkrankheiten wie Skorbut. Und die kleinen Pflaster, die man sich heute gegen Seekrankheit hinter das Ohr kleben kann, gab es damals auch noch nicht.

Die erste Erkundungsfahrt steht am Vormittag an. Die „Stella Australis“ ankert in der Ainsworth-Bucht. An deren Ende liegt der Marinelli-Gletscher, der mächtigste Gletscher Feuerlands. Nacheinander geht es vom Heck aus gruppenweise beherzt in die Schlauchboote: Treppe-Gummireling-Boot. Am Kiesstrand angekommen, werden die Schwimmwesten mit Steinen vor dem Wegwehen gesichert.

Vor rund einhundert Jahren war diese Gegend noch komplett von Gletschereis bedeckt. Im südpatagonischen Eisfeld wurde in den vergangenen Jahrzehnten kein Gletscher beobachtet, der geblieben oder gar gewachsen ist. Diese Zeitzeugen des Weltklimas verlieren mehr oder weniger schnell an Masse: Die Temperaturen sind im 20. Jahrhundert um etwa ein Grad Celsius gestiegen. Deshalb kehrt vielerorts nun langsam das Leben zurück. Auf blankem Stein geben Flechten neuer Vegetation eine erste Grundlage.

"Das trostloseste und ödeste Land, das ich je sah"

Donnerndes Spektakel. Der Pia-Gletscher löst sich im Meer in seine Bestandteile auf.
Donnerndes Spektakel. Der Pia-Gletscher löst sich im Meer in seine Bestandteile auf.

©  Reinhart Bünger

„Der Marinelli-Gletscher hat sich in den letzten 100 Jahren um 15 Kilometer zurückgezogen – rund 150 Meter jedes Jahr“, sagt Expeditionsleiter Mauricio Alvarez. Zwar sind gigantische Trinkwassermengen Patagoniens noch im Eis gebunden. Doch wie dieses kristallklare Schmelzwasser zur Geldquelle werden könnte, wird in Chile und Argentinien bereits durchgerechnet. Beide Länder – durch die Anden getrennt – teilen sich Feuerland.

Zu Gletschern gehören auch Erde und Steine, die Moränen bilden. „Gletscher sind wie Bulldozer“, sagt Alvarez, „sie transportieren bei Abschmelzen Sedimente an andere Orte. Und: Geschmolzenes Eis bildet in Hochtälern Seen.“ Nach einer strammen Wanderung auf einen der Hügel endet der Ausflug in der Ainsworth-Bucht. An der provisorischen An- und Ablandestelle erwartet die Passagiere heiße Schokolade – oder ein Scotch auf Gletschereis. „Äußerst zivilisiert“, kommentiert ein Engländer, der seinen Drink lieber ohne Gefrorenes ordert: „Ich will mir den Whisky nicht verderben!“

Die Expeditionsschiffe dürfen nicht alle Fjorde befahren, die hier in Feuerland Tausende von Kilometern Küsten bilden. Das Biosphärenreservat soll bleiben, wie es vor 2000 Jahren war. Die Eismassen und die hier heimischen Feuerland-Indianer bleiben dabei unersetzlich.

"Diese Wilden sind hässlich und haben einen unerträglichen Geruch an sich"

Die Yámana zum Beispiel – einer der fünf Stämme die dieser Region mit ihren Feuern den Namen gaben – lebten seit mindestens 7000 Jahren zwischen dem Beagle-Kanal und Kap Hoorn. Sie waren Nomaden, die vor allem in ihren Kanus auf dem Wasser lebten, weil es dort eben wärmer ist als an Land. Auf kleinen Feuerstellen in der Bootsmitte brieten sie Fische. Die großgewachsenen stämmigen Menschen hatten ihre Körper zum Schutz gegen die Kälte mit Tierfetten eingerieben und hängten sich Felle von Robben und Guanacoe-Lamas um.

Die Weißen verachteten sie. „Diese Wilden sind hässlich und haben einen unerträglichen Geruch an sich“, notierte der französische Expeditionsleiter Louis-Antoine de Bougainville im 18. Jahrhundert nach einem Besuch Patagoniens, und der britische Seefahrer und Entdecker James Cook schrieb 1769 über die Yámana: „Sie sind das vielleicht armseligste Volk, das es dieser Tage auf Erden gibt.“ Die vorgefundenen Landschaften benotete Cook mit einem ähnlichen Superlativ: „Das trostloseste und ödeste Land, das ich je sah.“

Helmut aus Kiel ist anderer Meinung. „Ich bin total eingenommen von der Landschaft. Jetzt am zweiten Tag fühle ich eine Ruhe in mir.“

Wie auf Bestellung reißt der Himmel plötzlich auf

Weshalb unternehmen Menschen eine Reise in diese kargen Landschaften? „Ich wollte die Gletscher sehen, solange sie noch da sind“, sagt Peter, Rechtsanwalt aus Malibu in Kalifornien.

Eben ist ein Außenposten der chilenischen Marine durch eines der Panoramafenster zu sehen: Hier muss sich jedes Schiff bei der nordwestlichen Einfahrt in den Beagle-Kanal melden. Auch der einsame Segler, der in seinem Katamaran in einer Nische an einer steilen Granitwand den Regen abwettert.

Im Nordwestarm des Beagle-Kanals soll gleich die „Allee der Gletscher“ aus dem Nebel auftauchen.  Wie auf Bestellung reißt der Himmel plötzlich auf. Blau glitzernde Eismassen. Sie haben eine Struktur wie Baiser. Die Stewards reichen Quarkkeulchen und Käseplatten. Sanft schieben sich die Gletscherzungen von der Gebirgskette ins Meer. „Very peaceful", sagt Peters Frau Rena.

Ein Aufenthalt im Freien könnte gefährlich werden

Verwunschen wirkt der magellansche Urwald.
Verwunschen wirkt der magellansche Urwald.

© Stella Australis/Promo

Am nächsten Morgen regnet es wieder in Strömen. Die Wulaia-Bucht wird angesteuert. Hier befand sich eine der größten Siedlungen der Yámana-Indianer. Charles Darwin ging auf seiner Weltreise mit der HMS „Beagle“ 1833 an dieser Stelle an Land. Nun steht Philippe aus dem Expeditionsteam vor den Reisenden. „Wir wollen Ihnen das wahre Patagonien zeigen“, sagt der 32-Jährige.

Auf der Wanderung durch den magellanschen Urwald deutet Philippe hier auf Torfmyrte, dort auf chilenische Scheinbuchen. Ihre Kronen sind zerzaust. Sie haben vor den Stürmen kapituliert. Ein kleines, feines Museum in der Wulaia-Buch – beheimatet in einem ehemaligen Funkposten der Marine – zeigt, was und wem Darwin in dieser Bucht noch begegnet sein mag.

Am Nachmittag wird es Zeit für den Höhepunkt der Reise: Kurs auf Kap Hoorn. Um 18 Uhr soll es zu sehen sein. Rund 800 Schiffe liegen am Kap auf dem Meeresgrund. Mindestens 10000 Seeleute fanden hier ihr nasses Grab.

Schemenhaft kommt Kap Hoorn in Sicht

Gegen 17.30 Uhr bläst es schon ganz ordentlich. Die Außendecks werden geschlossen. Ein Aufenthalt im Freien könnte gefährlich werden. Commandante Adolfo Navarro lässt von Hand steuern. Einen Autopiloten hat das Schiff nicht. Die Brücke greift zur Orientierung auf papierne Seekarten zurück. Der Kurs wird mit Bleistift eingetragen – der lässt sich später wieder ausradieren.

Nun kommt es schemenhaft in Sicht: Das 1616 entdeckte Kap Hoorn ist ein 425 Meter hoher, fast senkrechter Felsabbruch. Zu erkennen sind das Denkmal für die ertrunkenen Seeleute, eine Kapelle, ein Leuchtturm. Die Position zum Ausbooten ist um 18 Uhr 05 erreicht: 55° 56’ südlicher Breite, 67° 12.9' westlicher Länge.

Wenn nur der Wind nicht wäre. Durchschnittlich sind es 55 bis 65 Knoten. Damit ist die „Stella Australis“ einem orkanartigen Sturm ausgesetzt – mit extrem hohen Wellenbergen. Die Wellenkämme werden überall zu Gischt zerblasen. An ein Aussteigen ist nicht zu denken. „Die Chancen stehen bei jeder Fahrt fifty- fifty“, sagt Navarro und lässt beidrehen. Maximal 35 Knoten Wind sind vor einem Landgang erlaubt. Im Dezember sind die Anlandungsmöglichkeiten am größten.

Passagier Helmut ist arg enttäuscht.  „Schade, schade, schade“, sagt er, „aber die Natur kann man nicht zwingen. Wenn der Kapitän ein wenig gekreuzt wäre – vielleicht wäre es dann doch möglich gewesen.“ Und tatsächlich. Zehn Minuten später flaut es wieder ab, die Sonne strahlt mit Helmut um die Wette. Er hat eine Idee. „Ich werde die Bilder vom Kap einfach nachträglich in meinen Film hineinschneiden und dann sagen: ,So wäre es gewesen.’ Ist dann ja nicht gelogen.“

Tipps für die Kreuzfahrt nach Kap Hoorn

ANREISE

Über Santiago de Chile bis/ab Punta Arenas oder über Buenos Aires bis/ab Ushuaia.

DIE SCHIFFE

Die „Via Australis“ und „Stella Australis“ sind moderne Expeditionsschiffe mit 64 bzw. 100 Außenkabinen, Fitnessraum, Restaurant, Bar und Lounge.

DIE TOUR

Zweimal wöchentlich für vier Nächte ab Punta Arenas oder für drei Nächte ab Ushuaia.

TERMINE UND PREISE

Beste Reisezeit ist der Dezember. Die Saison dauert vom September bis April. Preise pro Person von circa 1111 US-Dollar (Nebensaison) bis circa 4150 US-Dollar (Hauptsaison). Exkursionen, Essen und Trinken an Bord sind inbegriffen.

FILM

„Der Perlmuttknopf“, der chilenische Dokumentarfilm von Patricio Guzman über Natur und Geschichte West-Patagoniens läuft zur Zeit in Berliner Kinos.

LITERATUR

Bruce Chatwin: In Patagonien. Reise in ein fernes Land. Rowohlt Taschenbuch 1984.

Ursula Feldkamp (Hg.): Rund um Kap Hoorn. Mit Frachtseglern zur Westküste Amerikas. Hauschild Verlag 2003.

Stefan Zweig: Magellan. Der Mann und seine Tat. Fischer Taschenbuch 1983.

AUSKUNFT

Im Internet: australis.com oder bei Akzente Reisen, Telefon: 092 32 / 99 66 88

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