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Torwart geschlagen, gutes Gefühl. Kevin Boateng dreht schon jubelnd ab, während Victor Valdes noch zu verhindern versucht, was nicht mehr zu verhindern ist: Milans 1:0.

© Reuters

Barcelona verliert bei Milan: Die Erdung der Außerirdischen

Beim überraschenden 2:0-Sieg im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League setzt Milans Trainer Massimiliano Allegri den FC Barcelona mit zwei Viererketten geometrisch schachmatt.

Als der Reisebus des FC Barcelona unter Blaulichtbegleitung in Richtung Mailänder Innenstadt abbog, erregte er statt des üblichen Bewunderns nur höhnisches Gelächter. „Messi, wo warst du?“, wurde dem fotografischen Abbild des Argentiniers, das außen am Bus klebte, hinterhergerufen. Fotohandys wurden gezückt. Nicht, um ein berühmtes Monument festzuhalten, sondern um sich der Trophäe eines erlegten Wilds zu versichern.

Das 2:0 des AC Mailand im AchtelfinalHinspiel der Champions League gegen den FC Barcelona hat nicht die Welt verändert. Aber doch immerhin die Wahrnehmung auf bislang unerreichbar scheinende Protagonisten des Subuniversums Fußball. „Die Außerirdischen wurden auf der Erde festgenagelt“, jubelte die römische Tageszeitung „La Repubblica“.

Die Erdung der Extraterrestrischen erfolgte dank einer taktischen Meisterleistung von Trainer Massimiliano Allegri. Er verzichtete klugerweise auf die von Klub-Präsident Silvio Berlusconi vorgeschlagene Manndeckung gegen Messi. „Der Präsident ist ein Mann des Fußballs. Ich werde seine Vorschläge in Erwägung ziehen“, hatte Allegri diplomatisch bemerkt – und sich prompt dagegen entschieden. Statt der von Berlusconi angeregten Rückkehr in die schlechte alte Zeit des Catenaccio optierte er für zwei elastische Viererketten. Die erste, hintere hielt den FC Barcelona über weite Strecken der ersten Halbzeit fern vom eigenen Strafraum und ließ später kaum Bälle in ihren Rücken passieren. Die zweite, etwas weiter vorn postierte, versperrte aufmerksam die Kanäle, durch die gewöhnlich Barças Ballstaffetten zirkulieren. Der Ballverteiler Xavi Hernandez wurde dadurch zu ungewöhnlich vielen Fehlpässen gezwungen.

Die Folge war, dass Lionel Messi nicht über den Raum verfügte, um jene Tempo- läufe zu entwickeln, die seine stärkste Waffe sind. Damit hatte Allegri Barça geometrisch schachmatt gesetzt. Seine Spieler übertrugen diese Vorgabe fast ohne Transmissionsverluste auf den Rasen.

Nur eines gelang den Rossoneri bei ihrem Überraschungscoup nicht vollends: Die Ballgewinne wurden zu selten mit klaren Kontern abgeschlossen. Damit haderte denn auch Allegri: „Mit einem 3:0 hätten wir sie getötet. Jetzt müssen wir angesichts der hohen Zahl an Toren, die sie zu Hause produzieren, mindestens ein Tor selber schießen.“ Der Architekt des Erfolgs blieb auch in der Stunde des Triumphs realistisch. Fürs Viertelfinale qualifiziert ist Milan noch lange nicht. In drei Wochen folgt das Rückspiel im Camp Nou, und da sind die Barcelonesen noch immer für kleine Wunder gut.

Barcelonas Schmähungen ließen nicht lange auf sich warten. Milan habe nur eine „Lehrstunde Catenaccio“ gezeigt, formulierte Barças Abwehrmann Gerard Piqué. Natürlich hatte der große Favorit eine erdrückende Überlegenheit in Sachen Ballbesitz aufzuweisen, in San Siro waren es stolze 83 Prozent. Milans Defensive aber war alles andere als destruktiv. Mehr Kaltblütigkeit im Konterspiel hätte das Debakel für die Katalanen sogar noch schmerzhafter ausfallen lassen können.

Freilich profitierten die Mailänder auch von einer großzügigen Schiedsrichterentscheidung. Da waren Muntaris hoch erhobene Arme, an die der Ball prallte, bevor ihn Kevin-Prince Boateng zum wegweisenden 1:0 ins Tor wuchtete. Schiedsrichter Craig Thompson ließ Milde walten, weil ihm die Ballberührung nicht willentlich erschien.

Ob Silvio Berlusconi der verblüffende Coup seiner Fußballmannschaft die entscheidende Schützenhilfe vor den Parlamentswahlen gewährt? Fraglich, äußerst fraglich. Zwar widmete Trainer Allegri den Sieg artig „unserem Präsidenten“. Doch der Wahlkämpfer Berlusconi hatte einem Stadionbesuch den Auftritt bei einem Polittalk vorgezogen. Er hatte wohl selbst nicht an das fußballerische Mirakel von Mailand geglaubt. Und so entging ihm die Gelegenheit, sich inmitten seiner siegreichen Angestellten als Retter der Fußballnation feiern zu lassen.

Sein populistischer Riecher hatte ihn dieses Mal getrogen.

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