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Blick über den Atlantik. Lange durften sich die deutschen Fußballer um Mesut Özil (l.) und Jerome Boateng nach dem Wunsch ihres Trainers nicht mit der WM beschäftigen, jetzt erlaubt Joachim Löw ihnen ein bisschen Träumerei.

© dpa

WM-Qualifikation geschafft: Ende einer Reise, Anfang eines Turniers

Nach der gelungenen Qualifikation richtet sich der Fokus der deutschen Nationalelf auf die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien – und auf eine kleine Revanche.

Wer schafft, soll auch genießen. Es rollte also ein Fass in die deutsche Kabine, gefüllt mit einem Erzeugnis Kölscher Braukunst, von dem Bayern gern behaupten, es sei so ziemlich alles, nur kein Bier. Dazu merkte der Münchner Philipp Lahm etwas irritiert an, das Fässlein sei gerade so groß „wie ein Maßkrug auf der Wies‘n“. Hätte man auch anders feiern können, diese vorzeitige Qualifikation der deutschen Nationalmannschaft für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien.

Neben Lahm saß jovial lächelnd der Bundestrainer. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, dass von ihm großzügig gewährte freie Wochenende zu einem späten und spontanen Oktoberfest in der Kölner Altstadt umzuwidmen. Joachim Löw schaute auf seine Uhr und verkündete: „Heute dürfen die Spieler ruhig ein bisschen feiern.“ Der Blick auf die Uhr war dabei so wichtig wie das unscheinbare Wörtchen „heute“, denn davon blieb um kurz vor Mitternacht nicht mehr viel übrig.

War ja schön und gut, dieser 3:0-Sieg gegen die Defensivspezialisten aus Irland. Aber auch erst das vorletzte Spiel der WM-Qualifikation. Eines steht noch aus, am Dienstag in Stockholm gegen die Schweden, „und mit denen haben wir ja noch eine Rechnung offen“. Joachim Löw hat nichts vergessen. Nicht dieses 4:4 nach einer 4:0-Führung vor einem Jahr in Berlin. Und erst recht nicht die anschließende Aufbereitung in der Öffentlichkeit. Das Schwedenspiel war vor allem dem an der Seitenlinie zaudernden Bundestrainer angelastet worden.

So viel zur Vergangenheitsbewältigung. Und was die Zukunft betrifft, wandelt Löw gern ein Prinzip des Urvaters aller Bundestrainer ab: nach der Qualifikation ist vor dem Turnier.

In Stockholm steigt zum Finale der Qualifikation zugleich das erste Vorbereitungsspiel für die WM. Über Monate und Wochen war es den deutschen Spielern strengstens verboten, über eine Reise nach Brasilien überhaupt nachzudenken. Jetzt, da die Qualifikation auch rechnerisch besiegelt ist, geht es um nichts anderes mehr. Für den November, wenn europäische Granden wie wahrscheinlich Portugal und Frankreich sich durch die Play-off-Spiele der acht besten Gruppenzweiten mühen müssen, hat der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff schon Tests in Italien und England terminiert. Wobei das mit den Engländern auch noch nicht hundertprozentig sicher ist. Ihnen gibt der 4:1-Sieg am Freitagabend über die lange Zeit aufmüpfigen Montenegriner zwar alle Möglichkeiten, aber es muss am Dienstag in Wembley schon ein Sieg gegen Polen folgen. Nur einen Punkt hinter England lauert die Ukraine, deren Qualifikationsfinale in San Marino vergleichsweise kommod ausfällt.

Die delikate Situation anderer Supermächte relativiert doch ein wenig die Kritik, der sich die Deutschen in ihrer Kampagne für Brasil 2014 häufig ausgesetzt sahen. „Vor 13 Monaten hat die Reise begonnen, heute haben wir sie zu Ende gebracht“, dozierte ein sichtlich zufriedener Löw. „Wir haben von Anfang an gezeigt, dass wir in unserer Gruppe das Maß aller Dinge waren. Acht Siege in neun Spielen – na, und das neunte hatten wir ja eigentlich auch schon gewonnen“, eben jenes gegen die Schweden.

Bevor nun am Montag mit reichlich Vorlauf die Arbeit für den kommenden Sommer beginnt, durften die deutschen Spieler nach der in Köln verrichteten Arbeit endlich ein bisschen von Brasilien erzählen. Von ihren Erwartungen und Erfahrungen, sie stehen denkbar diametral zueinander. Der Torhüter Manuel Neuer etwa bekannte, „dass ich noch nie in Brasilien war, ich bin wahnsinnig neugierig darauf, eine neue Kultur kennenzulernen“. Schnellstmöglich werde er das Gespräch mit den Münchner Kollegen Dante und Rafinha suchen, „wir müssen jetzt dringend mal einen brasilianischen Abend veranstalten“.

Thomas Müller über Brasilien: Copacabana? Wir wollen Fußball zu spielen."

Das mit dem brasilianischen Abend betonte Neuer bewusst ironisch. Nicht, dass der Bundestrainer dem Verdacht verfällt, die seligen WM-Qualifikanten würden nur ans Feiern denken. Und sein Münchner Klubkollege Thomas Müller antwortete auf die Frage, ob er sich denn auf die Copacabana freue, mit einer für ihn eher untypischen Humorlosigkeit: „Copacabana? Sorry, das interessiert mich nicht. Wir fahren dahin, um Fußball zu spielen.“

Auch Philipp Lahm kennt Brasilien nur aus den Erzählungen der südamerikanischen FC-Bayern-Fraktion. „Großartiges Land, fußballverrückt, ich freue mich“, sagte der Kapitän und wie schön es doch sei, „jede meiner Weltmeisterschaften auf einem anderen Kontinent zu spielen“. Wobei... kurzer Blick nach links ... „natürlich nur, wenn ich auch im nächsten Jahr dabei bin“. Joachim Löw deutete ein Nicken an, es stand in seiner Zurückhaltung nur für das Protokoll. Der Kapitän Lahm zählt zu den gesetzten Spielern für die WM. „Aber natürlich wird es auch Härtefälle geben“, sprach Löw, allein für das Spiel gegen die Iren hatte er verletzungsbedingt auf „acht, neun Spielern verzichten müssen, die sonst fest zu unserem Kreis gehören“. Aber darüber zu reden, sei jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt.

Das betrifft auch die Verhandlungen mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) über die Verlängerung seines nach der WM auslaufenden Vertrages. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bat um Geduld: „Wir haben am Dienstag noch ein Spiel, danach setzen wir uns zusammen und werden uns zu den spannenden Personalien klar äußern.“ Dazu gehört auch die Frage, ob Löws Assistent Hans-Dieter Flick nach der WM auf den vakanten Posten des Sportdirektors wechselt. Löw ist dafür, Niersbach ist dafür, Flick will – mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der DFB nach der Rückkehr aus Schweden ein komplettes Paket präsentieren.

Löw ließ sich am Freitagabend in Köln immerhin entlocken, die Gespräche seien recht weit gediehen und eine Einigung nah. Erst einmal aber gebe es Wichtigeres. Die Logistik für die Reise in das flächenmäßig fünftgrößte Land der Erde müsse auf den Weg gebracht werden, und das auf parallel laufenden Schienen. Für ein Mannschaftsquartier will der DFB sich erst entscheiden, wenn die WM-Auslosung am 6. Dezember im brasilianischen Kurort Costa do Sauípe Klarheit über Vorrundengegner und -spielstätten geschaffen habe.

Es heißt, der DFB favorisiere für seine WM-Expedition ein Anwesen in der Nähe von Salvador da Bahia im tropischen Norden des Landes. Diese Planung aber wäre hinfällig, sollten die Deutschen häufiger im vergleichsweise kühlen Süden spielen. In diesem Fall würde der DFB wohl in den Großraum Sao Paulo ausweichen. Und dann sind da auch noch die Unwägbarkeiten, was die termingerechte Fertigstellung einzelner Stadien betrifft. Jerome Valcke, Generalsekretär des Weltverbandes Fifa, hat gerade erst nachdrücklich auf verstärkte Anstrengungen bei der Arena da Baixada in Curitiba angemahnt, zudem sei der Rasen im Estadio Nacional von Brasilia in einem bedenklichen Zustand. Weitere Details sollen folgen. Für Ende Februar kommenden Jahres hat Valcke alle 32 Endrundenteilnehmer zu einer Informationsveranstaltung nach Florianopolis geladen.

Joachim Löw hat sich im vergangenen Sommer beim Confed-Cup ein Bild vor Ort gemacht und dabei die Erkenntnis gewonnen, „dass wir uns mit sehr speziellen Gegebenheiten arrangieren müssen. Ich kann nur Spieler gebrauchen, die die Bedingungen so akzeptieren, wie sie sind. Denn wer das nicht tut, hat schon verloren.“

Und nichts hasst der Bundestrainer so sehr wie verlieren, mal abgesehen von gewissen Unentschieden, aber das wird woanders und mit anderen zu klären sein. Am Dienstag in Stockholm mit den Schweden, bedauerlicherweise fehlt deren Lautsprecher Zlatan Ibrahimovic, denn der hat sich mit einer Gelb-Sperre abgemeldet. Vorher erzielte er noch schnell das den zweiten Gruppenplatz sichernde Tor zum 2:1 über Österreich. Für Zlatan Ibrahimovic gilt im letzten Qualifikationsspiel, was nach dem vorletzten für die Deutschen galt: Wer schafft, soll auch genießen.

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