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Ich grüße Sie: Thomas Bach, unter Sportlern.

© AFP

IOC-Chef Thomas Bach: Rückzug ins Sportliche

Sotschi hat IOC-Präsident Thomas Bach als ersten Höhepunkt seiner Amtszeit gleich höchst umstrittene Spiele beschert. Der ehemalige Fechter gibt sich alle Mühe, die schwierige Mission zu bestehen – mal diplomatisch, mal kämpferisch.

Solche Momente gibt es auch: Thomas Bach, der emphatisch mit den Armen rudert, den Oberkörper vorschiebt, mit leuchtenden Augen in die Runde blickt. Er darf dann über das sprechen, worüber er am liebsten redet. Dass es jetzt endlich losgehe mit den Olympischen Winterspielen, dass der Tag gekommen sei, auf den die Athleten vier Jahre lang gewartet hätten. Sogar das Wetter ist schön: „Die Sonne scheint über den Spielen und über den Athleten.“ Diesen Satz hat sich Bach zurechtgelegt; er sagt ihn gleich zwei Mal in seiner Pressekonferenz zur Eröffnung der Spiele. Die meiste Zeit muss Bach allerdings erklären, warum er sich trotzdem freut.

Trotz Kostenexplosion, trotz Terror-Gefahr, trotz russischen Anti-Gay-Gesetzes. Wenn er über diese Themen spricht, macht sich Bach, der Fecht-Olympiasieger von 1976, auf dem Podium klein, als wolle er die Trefferfläche verringern. Seine Antworten auf Englisch werden von vielen deutschen „Ähs“ unterbrochen, der Rechtsanwalt wägt jetzt jedes Wort sorgsam ab. Manchmal geht er aber auch zum Gegenangriff über. Ob er nicht auch von den Athleten gehört habe, dass sie durch die Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur freien Meinungsäußerung irritiert seien, wird Thomas Bach gefragt. „Mir scheint es eher so, als wären viele Athleten verunsichert, weil sie sich vonseiten der Medien verpflichtet fühlen, kritische Äußerungen abzugeben“, behauptet der Mann, der als Aktivensprecher einmal den mündigen Athleten verkörperte.

Thomas Bach aus Tauberbischofsheim, am 10. September 2013 an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees gewählt, hat in Sotschi zum ersten Mal eine IOC-Session geleitet; es sind seine ersten Olympischen Spiele als mächtigster Mann im Weltsport. Diese Macht verleiht auch Verantwortung. Bachs Taktik besteht darin, den politischen Ansprüchen, die daraus erwachsen, mit einem Rückzug ins Sportliche zu begegnen. „Wir sind keine Weltregierung“, sagt der 60-Jährige. Aufgabe des IOC sei es, bei den Spielen die Beachtung der Olympischen Charta sicherzustellen.

Manche meinen, das sei für eine Organisation wie diese, bei der sich Staaten und deren Regierungen um die Austragung der Olympischen Spiele bewerben müssen, zu wenig. Andererseits muss Bach schon allein im eigenen Haus, dem IOC, eine territorial, kulturell und weltanschaulich ziemlich heterogene Gruppe dirigieren. Man darf wohl ungestraft behaupten, dass die westlichen Werte, die der neue IOC-Chef in Sotschi verteidigen soll, nicht jedem Mitglied des ehrwürdigen Gremiums ebenso sehr am Herzen liegen.

Thomas Bach will Olympia und IOC mit seiner "Agenda 2020" modernisieren

In Thomas Bachs olympischer Welt ist es schon ein Erfolg, wenn Athleten aller Länder in einem olympischen Dorf zusammenleben und sich im friedlichen Wettkampf messen. Das muss reichen. Mehr Vorstellungskraft entwickelt Bach, wenn es um die Zukunft des olympischen Sports geht. Da hat er unter dem klingenden Namen „Agenda 2020“ ein Bündel an Vorschlägen zusammengestellt, die das IOC und die Spiele modernisieren sollen. Dabei erweist sich Bach als zeitgemäßer Moderator; routiniert wie früher mit dem Florett hantiert er nun mit Vokabeln wie „offen“ und „transparent“.

Die im inneren Zirkel der IOC-Exekutive ausgearbeiteten Pläne präsentierte er erstmals auf der Session in Sotschi. Die Versammlung verlief ungewöhnlich meinungsfreudig, der neue Chef leitete mit großer Diskussionslust. „Ich hoffe, wir können dieses Momentum beibehalten“, zeigte sich Bach hinterher erfreut. Die Mitglieder, so sieht er das, sind bereit für Änderungen. Womöglich sind dann Winterspiele wie in Sotschi, die auch Bach als „Extravaganza“ bezeichnet, nicht mehr möglich.

Doch es nutzt nichts: Thomas Bach muss diese Spiele, die ihm als erster Höhepunkt seiner Amtszeit beschert wurden, jetzt über die Bühne bringen. Und er macht nicht den Eindruck, als wolle er von dieser Mission einen Zentimeter abweichen. Ob er denn nicht besorgt sei, dass der russische Präsident die Winterspiele für sich instrumentalisieren werde, fragte vor der Eröffnungsfeier ein amerikanischer Journalist. Nein, antwortete Bach, Putin dürfe bei der Eröffnungsfeier genau einen Satz sagen, mehr nicht. Der Wortlaut sei in der Olympischen Charta geregelt.

Und dann fügt er hinzu: Diese Regel sei nur einmal verletzt worden, nämlich 2002 vom amerikanischen Präsidenten in Salt Lake City. George W. Bush sprach damals von der stolzen Nation Amerika. Der ausgleichenden Gerechtigkeit halber wäre allerdings hinzuzufügen, dass auch Leonid Breschnew 1980 in Moskau zu viel sagte.

Dirk Schmidtke

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