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Ende einer Karriere: Ballack wurde in London geachtet, aber nicht geliebt

Die Man-Machine Michael Ballack hat seine Stiefel an den  Nagel gehängt. Leider hat er aber insgesamt dann doch zu wenig hinterlassen während seiner Zeit in London, sagt Titus Chalk. Aber er hatte auch seine großen Momente.

Man kann guten Gewissens sagen, dass Michael Ballacks Rücktritt in Großbritannien nicht wirklich zu einer Schockstarre geführt hat – und auch die Schlagzeilen im Sport wurden dadurch nicht beherrscht, so wie damals noch, im Frühsommer 2006, als er nach Chelsea wechselte.

Bestenfalls wird die Nachricht von Dienstag selbst in Teilen Westlondons mit einem Schulterzucken kommentiert werden.

Ballack war immer zu sehr ein Rätsel in seiner Zeit in England, als dass er große Zuneigung auf sich gezogen hätte. Man sagte, statt ein Spieler zu sein, den man liebte, war er ein Spieler, den man sich vornahm zu lieben.

Nachdem nun alle seine Ehrentitel aufeinander gestapelt, die Einsätze gezählt und die mitunter auch beeindruckenden Auftritte aufgezeichnet worden sind, wurde ihm auf ganz rationale Weise das irrationalste aller Liebesgefühle zuteil.

Man kann eben nicht beides gleichzeitig haben. Ballack war lediglich Hochachtung vergönnt.

Es war niemals klar, wie er nach Chelsea passen würde, wo Frank Lampard Chef im offensiven Mittelfeld einer alles erobernden Mannschaft war, die von Jose Mourinho aufgebaut  und dann an seine vier nachfolgende Trainer, unter denen Ballack an der Stamford Bridge spielte, weitergereicht worden war.

Von daher konnte er auch, obwohl höchst zuverlässig, wenn man ihn brauchte, nie wieder diese Verschmelzung von Würde und Magie hervorbringen, die seine Fans vom deutschen Kapitän erwartet hatten – einem Spieler, der nahezu in jedem zweiten Wettkampf für Bayern München ein Tor erzielte. Es steckte ganz sicher ein Ziel hinter all dem Tun von Ballack –  wie auch hinter seinen sehr bewussten und kaltblütigen Vereinswechseln – aber es war nicht immer einfach, es zu verstehen.

Mir persönlich fällt es schwer, die Erinnerung aus meinem Gedächtnis zu tilgen, als ich ihn 2010 dabei beobachten konnte, wie Chelsea ausgerechnet von Mourinho, der mit seinen Inter Milan-Leuten nach London zurückgekehrt war, im Achtelfinale der Champions League gedemütigt wurde. Von da an schien er ein Spieler zu sein, dessen echte Fähigkeiten durch eine Fassade ersetzt worden waren.

Durch beeindruckendes unverkünsteltes Posieren eher als durch Sturmläufe. Mit handfesten Eingriffen, wenn auch nie weit vom Mittelekreis entfernt. Mehr mit pompösem Gestikulieren als mit geschicktem, genauem Passspiel.

Er wurde zur Parodie seiner selbst – in einer Nation, die nur allzu glücklich war, das Stereotyp des effizienten Fußballers rauszukramen, wurde Ballack tatsächlich zu so etwas wie Kraftwerks titeltragender Man-Machine. Ein fußballernder Algorithmus, durchaus in der Lage zu ergiebigen Outputs, wenn man ihm zuvor die Inputs lieferte. Aber ein Mensch, dem es an echter Wärme, Spontaneität und Leidenschaft mangelte.

Warum freilich sollte ein Fußballer diese Werte an den Tag legen? Wenn doch seine Trophäensammlung mehr oder weniger beladen ist mit der Beute einer anständigen Karriere? Wenn es doch Cups und Titel gibt, auf die sich zeigen lässt (allerdings auch auf mehr Vizetitel, als Ballack lieb sein dürfte).

Vielleicht weil Fußball niemals nur eine Statistik sein wird. Eher wird es trotzig eine von Mythen umsponnene, mündlich überlieferte Geschichte bleiben ebenso wie es die Verbindung von vernünftiger, lebhafter Analyse ist. Eine Sammlung von „Ich war damals da, als…“, wieder und wieder erzählt, mit gedämpfter Stimme, über ein pappiges Bier gebeugt, vor leicht zu beeindruckenden Aposteln.

In Wahrheit konnte Ballack nur einen solchen Moment hinterlassen - und das war ein Moment der  Niederlage.

In diesem Moment, als er all seine Wut zusammennahm, um den Schiedsrichter Tom Henning Ovrebro zu beschimpfen – nachdem Barcelona 2009 das Champions League-Finale auf Kosten von Chelsea erreicht hatte, wurde Ballack eins mit jedem einzelnen Chelsea-Fan, der dabei war. Erst da, als die Ereignisse von den Gleisen wohl kalkulierten, abgeklärten Handelns abwichen, seinem mutmaßlichen Schicksal entgegen, wurde Ballack zu einem Menschen, der geliebt und umarmt wurde. Und es war ein Moment, der, kaum geboren, schon wieder in die Londoner Nacht entschwand.

Aus dem Englischen von Patricia Wolf.

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