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© dpa

Interview: "Für Rodelsiege müssen wir uns nicht entschuldigen"

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über das Medaillenzählen, Sport bei den Grünen und Claudia Pechstein.

Herr Vesper, wie viele Medaillen soll die deutsche Mannschaft in Vancouver holen?



Wir wollen den Titel als beste Nation verteidigen, ein Platz auf dem Podium ist das Minimalziel. Aber es wird schwerer als vor vier Jahren: Die Norweger haben nachgerüstet, Gastgeber Kanada hat sich viel vorgenommen, auch Österreich ist wieder im Kommen. Die USA und Russland dürfen wir auch nicht unterschätzen.

Wäre es nicht schöner, im Medaillenspiegel Zweiter zu werden, dafür aber eine Medaille im Eishockey zu gewinnen, als Erster mithilfe von vielen Rodelmedaillen?

Bei Olympia gibt es keine Medaillen erster und zweiter Klasse. Darum sollte man bestimmte Medaillen nicht abwerten. Natürlich ist Rodeln eine deutsche Domäne, aber dafür müssen wir uns doch nicht entschuldigen. Die Engländer freuen sich auch über ihre Bahnradmedaillen.

Wie oft haben Sie Rodelrennen gesehen?

Ich persönlich? Warum fragen Sie?

Weil Rodeln eher ein Fernsehsport ist, der vor allem von Deutschen betrieben wird.

Olympia ist eben vielfältig. Schauen Sie, ich hatte mein Schlüsselerlebnis beim Gewichtheben in Peking. Ich muss zugeben, dass ich mir vorher keine Gewichthebermeisterschaften angeschaut habe, aber dieser Wettkampf in der Halle mit all seinen Emotionen und dem Sieg von Matthias Steiner war ungeheuer spannend. Es hat geknistert; wie bei jedem Sport. Auch beim Rennrodeln oder im Bobsport.

Trotz der Technik, die deutsche Schlitten schneller macht als alle anderen?



Worauf wollen Sie hinaus? In jeder Sportart, in der Hilfsmittel benutzt werden, werden technische Grenzen ausgetestet - ob beim Radfahren, Ski oder Bob. Aber die Fahrleistung gehört immer dazu, ebenso die Weiterentwicklung der Geräte mit Hilfe der Sportler. Ein Schlitten läuft ja nicht von alleine.

Was können wir uns darauf einbilden, Rodel-Olympiasieger zu sein?

Das ist Teil des Auftritts Deutschlands in der Welt. Von sportlichen Leistungen gehen Vorbildwirkungen aus. Und der Medaillenspiegel gibt einen Eindruck vom Leistungsstand einer Sportnation.

Mögen Sie den Medaillenspiegel?

Ich mag meine Frau. Der Medaillenspiegel ist ein Fakt, der zu Olympia gehört. Natürlich schaue ich da jeden Tag drauf und freue mich über Erfolge.

Vorbilder und Medaillen – in der DDR hießen Sportler deshalb Diplomaten im Trainingsanzug…

Also bitte! Schauen Sie sich an, wie intensiv unsere olympischen Sportler trainieren. Dann werden Sie feststellen: Sie tun mehr als der durchschnittliche Fußballprofi, der hundertmal so viel Geld verdient. Dahinter steckt eigene Motivation, keine politische.

Und das Zählen von Medaillen.

Sie hätten recht, wenn wir uns auf wenige Sportarten konzentrieren und andere dafür vernachlässigen würden. Gerade das tun wir aber nicht. Wir sehen Spitzen- und Breitensport als Einheit unter dem Dach eines vereinigten Verbandes. Wir fördern den Sport nicht nur, um Medaillen zu gewinnen, sondern auch um eine sportfreundliche Gesellschaft zu etablieren.

Ihr Spitzensportkonzept fördert auch Disziplinen, denen die „Entwicklung zusätzlicher Medaillenpotenziale“ zugeschrieben wird. Das klingt nach Planwirtschaft.

Dass wir planen müssen, um Erfolg zu haben, ist doch eine Binsenweisheit. Erfolg hängt davon ab, ob man viele Talente hat, gute Sportstätten und charismatische Trainer. Deshalb sind wir noch lange keine Planwirtschaft. Unser Leitbild ist ein humaner Leistungssport, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
 
Was soll denn ein humaner Sport sein angesichts des Leistungsdrucks, der auch der Förderung zugrunde liegt?

Bereitschaft zur Leistung und Wille zum Erfolg gehören zum Leistungssport. Aber es ist eben nicht so, dass wir nur die erfolgreichen Verbände fördern, sondern auch jene mit Potenzialen und Wirkung im Jugendbereich. Wir wollen erfolgreich sein, aber nicht um jeden Preis. Weder um den Preis, dass Menschen dabei kaputtgehen, noch um den Preis inhumaner Methoden oder verbotener Substanzen.

Das Thema dieser Winterspiele ist bisher, dass Claudia Pechstein nicht teilnimmt.

Ja, das ist ziemlich absurd. Claudia Pechstein tut mir als Mensch leid. Aber nun würde ich mir wünschen, dass unsere Athleten in den Fokus rücken. Für viele von ihnen ist Olympia eine der wenigen Chancen, mit ihrem Sport bekannt zu werden.

Das gleiche gilt für die Münchner Bewerbung um die Winterspiele 2018. Umfragen belegen mangelnde Unterstützung vor Ort.

Einspruch, Euer Ehren! Die von Ihnen angeführte Studie eines erklärten Olympiagegners war ein nicht sehr aussagekräftiger Ausschnitt, erhoben in einer Zeit heftiger Angriffe. Und doch konstatierte sie eine Zweidrittelmehrheit der Befragten pro Olympia. Nach jüngsten Untersuchungen stehen bundesweit über 80 Prozent hinter unserer Bewerbung. Natürlich wollen wir die Zeit in Vancouver nutzen, um für München zu werben.

Herr Vesper, zuckt der Grüne in Ihnen, wenn sie von Bauernprotesten gegen Münchens Olympiabewerbung und vom befürchteten Naturverbrauch hören?

Der zuckt nicht, der treibt mich an. Ich nehme jede konstruktive Kritik und jede Anregung ernst. Dabei geht es natürlich nicht um Parteipolitik. Aber ich würde die Bewerbung definitiv nicht vertreten, wenn sie meinen grünen Grundüberzeugungen widerspräche. Das Gegenteil ist der Fall. München plant so nachhaltig wie möglich und baut wie keine andere Bewerbung auf vorhandenen Anlagen auf.

Wie fühlen Sie sich als Grüner, wenn Sie in Vancouver die Medaillen zählen?

Stellen Sie diese Frage auch einem SPD-Mitglied? Ich glaube, die Zeiten sind vorbei, dass man sich als Grüner für seinen Beruf rechtfertigen muss – außer, wenn ich ein Atomkraftwerk leiten oder die Raucherlobby vertreten würde. Und für mich als Grüner steht neben dem Umweltthema auch noch ein anderer Grundsatz im Sport: Transparenz.

Warum heißt es dann, dass jeder Brief, der Ihr Haus verlässt, erst mal zweimal gegengelesen werden muss?

Das stimmt nicht. Aber selbst wenn es so wäre – ein bisschen Sorgfalt schadet doch nicht. Beim DOSB sagt eben nicht der eine Hü und der andere Hott, und das ist gut so.

Inzwischen sagen alle das, was Präsident Thomas Bach sagt.

Nun mal langsam. Wir haben eine intensive Kommunikation nach innen und sprechen anschließend mit einer Stimme. Manche ärgert, dass das funktioniert.

Früher hat man gesagt, das Sportverständnis der Grünen sei Federballspielen ohne Zählen. Was ist es denn heute?

(lacht) Grünes Sportverständnis heißt nicht: Wir wollen nicht gewinnen. Unser Denken ist umfassend: Wir sind uns der Wirkung des Sports für die Gesellschaft, für Wertevermittlung und Erziehung, für die Gesundheit und Integration bewusst. Aber natürlich soll Sport auch Spaß machen. In diesem Land gibt es eine riesige Wintersportbegeisterung, auch bei mir.

Weil das Fernsehen jedes Wochenende Bob- und Skiweltcups überträgt.

Ich entnehme Ihrer Interviewführung, dass Sie keine Skifahrer sind. Meinen Sie, die Menschen seien so leicht zu steuern? Das Fernsehen würde das alles nicht übertragen, wenn es kein Interesse dafür gäbe.

Aber werden durch die stundenlangen Übertragungen nicht die Höhepunkte entwertet, sogar die Olympischen Spiele?

Wieso? Beim Fußball würde das niemand hinterfragen. Die Faszination für den Wintersport ist nun mal nicht auf Almbauern beschränkt. Auch dafür muss man sich nicht entschuldigen. Mancher Sommersport kann sich an der Präsenz der Winterdisziplinen ein Beispiel nehmen. Aber ich bin gar nicht so ein Fernsehgucker.

Weil Sie bei den Grünen sind?

Nein, weil ich drei kleine Kinder habe.

Das Gespräch führten Robert Ide und Friedhard Teuffel.

Michael Vesper, 57, war Gründungsmitglied der Grünen und zehn Jahre Minister in Nordrhein-Westfalen. Seit 2006 ist er Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes.

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