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Nach der Halbfinale-Niederlage: Joachim Löw ist noch nicht am Ende des Weges

Natürlich ist das 0:1 im Halbfinale gegen Spanien bitter. Tagesspiegel-Experte Stefan Hermanns aber glaubt, dass die deutsche Mannschaft immer noch viel erreichen kann bei dieser WM. Selbst wenn es nicht der Titel ist.

Seit vier Jahren trainiert Löw nun das deutsche Team, er weiß um die Erwartungen an das Amt und die Zumutungen, die mit ihm verbunden sind. Während der Halbfinal-Niederlage gegen Spanien konnte man ihm den Druck vom Gesicht ablesen. Ein Bundestrainer von heute ist eine öffentliche Person, bei der selbst die Frage wichtig ist, ob er sich die Haare färbt. Löw, der Fußballfachmann, ist den weichen Themen lange Zeit ausgewichen, vor dem Halbfinale aber hat er vergleichsweise ausführlich über seinen blauen Glückspulli referiert. Löw ist hier längst nicht so verbohrt wie sein Vorgänger Jürgen Klinsmann; er bedient mit einem kleinen Scherz auch mal die Bedürfnisse der Öffentlichkeit nach Unterhaltung.

Verbindlich im Umgang, unnachgiebig in der Sache: Als die Öffentlichkeit im Frühjahr mit Macht die Rückholung des alten Haudraufs Torsten Frings verlangte, hat sich Löw genauso darüber hinweggesetzt wie bei der Bürgerinitiative zur Begnadigung von Kevin Kuranyi. Stattdessen hat er Miroslav Klose und Lukas Podolski, zwei kriselnden Helden des 2006er Sommermärchens, sein Vertrauen geradezu aufgezwungen. Selten wurden eine Nationalmannschaft und ihr Trainer mit so viel Skepsis zu einer WM begleitet wie diesmal. Im Nachhinein aber muss man trotz des gestrigen Spiels zugeben: Löw hat richtig gehandelt.

Wer war noch mal Torsten Frings? Das ist ja das eigentlich Erfreuliche an der erfreulichen Entwicklung der Nationalmannschaft: dass sie nicht dem Zufall entspringt (oder einem günstigen Spielplan wie 2002), sondern dem Plan folgt, den der verantwortliche Trainer schon vor Monaten ausgetüftelt hat und an dem er sklavisch festhält – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung.

Löw entscheidet weder aus dem Bauch noch nach Sympathie. Er entscheidet nach fachlichen Kriterien, sozusagen streng nach Plan, auch wenn auf dem Platz der gegensätzliche Eindruck entsteht: Die deutsche Mannschaft lebt und hat bei dieser WM ihre Lust an der Kreativität ausgespielt. Für Löw ist Kreativität ohne Ordnung nicht möglich. Dass er beide Prinzipien miteinander versöhnt hat und die Ordnung vor lauter Kreativität nicht störend auffällt, ist seine große Leistung.

Die Nachricht, dass Joachim Löw gegen Spanien wieder seinen Glückspullover tragen wird, war vor dem Halbfinale fast bedeutsamer als die Frage, ob Piotr Trochowski den gesperrten Thomas Müller ersetzen wird oder doch Toni Kroos. Mit seiner Vorliebe für das Übersinnliche ist der Fußball immer noch ein sehr archaisches Gewerbe. Aber die positive Entwicklung der Nationalelf ist weder Hexenwerk noch wie 2006 das Resultat metaphysischer Kräfte. Jürgen Klinsmann hat sein Team vor allem mit der Macht der Motivation nach vorne getrieben – weil er bei der Qualität seiner Spieler keine andere Wahl hatte. Löw hingegen hat einen jungen, lernwilligen Kader, weil er einen jungen, lernwilligen Kader haben wollte. Er führt ihn durch Kompetenz, seine einzige Obsession ist die Obsession für den Fußball.

Der selbst ernannte Projektleiter Klinsmann hatte schon nach zwei Jahren das Gefühl, seine Mittel ausgereizt zu haben. Der Prozesstrainer Joachim Löw aber muss selbst nach vier Jahren noch nicht am Ende seines Weges sein. Kompetenz wirkt, auch nachhaltig.

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