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Auswärtsfahrt mit den Fans von Hertha BSC: Die Jungs vom Bahnhof Zoo

Ein Spiel hat neunzig Minuten? Nicht, wenn Hertha BSC auswärts spielt. Dann sitzen hunderte Hertha-Fans schon mittags im Zug. Sie trinken, singen und foppen den Wolfsburger Brezel-Verkäufer

Guten Morgen, du Keim!“, schallt es über den Bahnsteig am Bahnhof Zoo. Es ist recht früh am Morgen, kurz nach neun Uhr, Wochenende. Zehn Jungs stehen mit Bierflaschen neben dem Gleis, einer trägt einen blau-weißen Schal um den Hals. Auswärtsfahrt mit Hertha BSC nach Wolfsburg, nach „Westdeutschland“, wie man in Berlin so gern sagt. Die erste Flasche geht schnell auf dem Bahnsteig runter, dann ertönt die Durchsage: „Vorsicht bei Einfahrt des Zuges!“ Sekunden später rollt der Regional-Express ein, prall gefüllt mit Hertha-Fans. Wir steigen mit ein. „Prost, du Vogel!“ Na dann: Prost.

Der Bahnhof Zoo ist seit Generationen wichtigster Treffpunkt der Hertha-Fans. Zu DDR-Zeiten fuhren sie erst zum Bahnhof Friedrichstraße und deckten sich im „Intershop“ mit billigem Schnaps ein, getrunken wurde ab Bahnhof Zoo gemeinsam im Interzonen-Zug. Vor der „McDonald’s“-Filiale am Zoo sind auch die Fanbusse immer abgefahren, auch die der Hertha-Frösche. „Die Bullen sind uns über die Avus bis zum Grenzübergang Dreilinden hinterhergefahren“, erinnert sich einer beim Bier in der Regionalbahn. „Die durften ja nicht in den Osten, also haben wir an der Grenze immer lachend durch die Heckscheibe gewunken.“ Ach, schön war die Zeit. Noch’n Bier?

Heute kommt die Bundespolizei mit, 40 Mann sind im Zug, alle tragen Brustpanzer und Schlagstock. „Psst, nimm den Typen mal auf“, zischt ein Polizist, der Kollege nickt – und filmt einen Jungen mit gegeltem Haar und hochgestelltem Polo-Kragen, der versucht, sich mit rechten Liedern Respekt zu verschaffen. Auch das ist Alltag bei jeder Auswärtsfahrt.

In der Regionalbahn sitzen an diesem Morgen 400 Fans, nahezu alle zwischen 18 und 35 Jahre alt. Manche sind Beamte, andere Studenten oder arbeitslos, viele saßen schon mal im Gefängnis, an Rechtfertigungen ist kein Mangel: („Der ist mir vor die Faust gelaufen, war’n Unfall“). Man nennt sich beim Spitznamen: Porno, Atze, Apfel. Nicht schlimm, der Stadionkumpel ist eh nur eine Wochenendaffäre.

Tausende machen sich am Wochenende auf den Weg ins Parallelleben, das der Allgemeinheit verborgen bleibt. Von Bremen fahren Fans nach Schalke, von Hamburg nach Nürnberg, von München nach Stuttgart. Kreuz und quer reisen sie mit wehenden Schals aus dem Fenster durchs Land, alle mit dem gleichen Ziel: den Anpfiff im Stadion zu erleben und nicht in der „Gefangenensammelstelle“ einer Polizeiwache in der Provinz.

Halbkriminelle Anekdoten weiß im Zug jeder zu erzählen. Als Hertha BSC in Mailand spielte, hat ein Fan in der Nacht ein Blaulicht auf dem Dach seines Neun- Mann-Busses befestigt, als er durch Österreich raste. „Kannste eigentlich keinem erzählen“, flüstert einer und grinst. Oder die Auswärtsfahrt ins Rheinland: Da wollten sie einen Popcorn-Automaten an der Raststätte Garbsen mitgehen lassen, der passte nur leider partout nicht in den Fanbus.

Überhaupt scheinen Fans im Suff die Leidenschaft zu haben, möglichst sperrige Gegenstände in ihren Bus zu schleppen. Bielefelder Anhänger scheiterten einst beim Versuch, eine mannshohe Porzellan-Kuh aus einer Raststätte zu stibitzen, Glatteis erschwerte den Transport. Schalker Anhänger wiederum hatten sich in einen Glücksspielautomaten verguckt und ließen erst ab, als ein Mitarbeiter der Raststätte erläuterte, dass der Automat im Bus wegen fehlender Stromzufuhr nicht spielbereit gewesen wäre. In der Fansprache heißen all diese Aktivitäten: „Tankstellenüberfall“, in der Regel begnügen sich die Anhänger aber auch mit der Entwendung von Getränken, Zeitschriften und Schokoriegeln.

„Es ist ein ständiges Kräftemessen mit der Polizei“, sagt einer. Die Polizisten legen die Regeln aus, die Fans wollen sie ein bisschen brechen. Doch die Polizei kennt die Tricks, und sie kennt ihre Klientel. In der Regionalbahn fahren zwei Männer mit, die kein Bier trinken, festes Schuhwerk tragen und in der Seitentasche ihrer weiten Hose eine Polizeiweste verstecken. Gestatten, die Spezialbeamten der „Ermittlungsgruppe Hooligan“. Als ein paar Fans vom Bahnsteig pinkeln, schicken die Zivis die Bundespolizei hin: Anzeige, Verschmutzung von Bahnanlagen, 15 Euro Strafe, ein Anfängerfehler.

Wolfsburg, am frühen Nachmittag. Ein lautes „Hahohe!“ ertönt bei Einfahrt des Zuges. Die Fahrt war kurz, was allerdings nicht heißt, dass weniger getrunken wird. Viele Anhänger gehen in der Innenstadt noch in die Kneipe, wenn die Polizei nichts einzuwenden hat. Es kann nämlich durchaus vorkommen, dass die Zivilbeamten sagen: „Schön, dass ihr hier seid. Aber ihr habt Platzverbot, ab zum Stadion!“ Und es geht noch rigider: Als Hertha im Frühjahr in Bukarest spielte und neun Berliner via Budapest anzureisen planten, fingen zwei Zivilbeamten die Fußball-Touristen am Flugschalter in Berlin-Schönefeld ab. Die Herthaner lauschten zunächst routiniert der sogenannten Gefährderansprache („Sie vertreten die Interessen der Bundesrepublik im Ausland, benehmen Sie sich“), dann aber zeigten die Beamten auf einen der Anhänger: „Für Sie ist die Reise beendet, Sie haben Ausreiseverbot.“ Von „Repressalien“ sprechen Fans gerne, Ermittler bevorzugen hingegen das konstruktive Wort: „Prävention“ Einer der Spezial-Polizisten ist auch in Wolfsburg dabei, man kennt und grüßt sich. Tachchen, wie geht’s denn so?

In den Stadien ist es schon seit Jahren ruhig. Es gibt kaum Krawalle, meist nur das übliche Gestänker. Mal sind die Veralberten die anderen Fans, mal die Ordner im Gästeblock, mal ist Herthas Manager Dieter Hoeneß an der Reihe. An diesem Wolfsburger Nachmittag muss nur der Brezelverkäufer leiden, der sich in der Gästekurve auf Zuruf mit seinem großen Korb durch die Reihen kämpft. Die vermeintlichen Kunden erweisen sich allerdings als allzu wählerisch, ein typischer Dialog: „Ich hätt’ gern ein Bier“ – „Sie sehen doch, dass ich nur Brezeln hab’“ – „Ich will aber ein Bier“ – „Sehr witzig“. So geht das den ganzen Nachmittag.

Unten sitzt der Vorsänger des Hertha-Gästeblocks auf dem Zaun, mit einer Flüstertüte in der Hand. Er singt durch, der Block zieht mit. Neunzig Minuten zählt nichts anderes als Fußball. Kein Büroalltag, keine Sorgen. Fußballfans sind Nostalgiker und Romantiker. „Weißt du noch, als wir das erste Mal in Wolfsburg waren? Mensch, damals: Zweite Liga. Als die Tribünen noch Rasenhügel waren?“, erzählt einer wehmütig auf dem Marsch zurück zum Bahnhof. 0:0 endete das Spiel. Auch das kann Alltag einer Auswärtsfahrt sein. Arm an Spannung.

Am Wolfsburger Bahnhof gibt es noch einmal Ärger. Das liegt am neuen Hauptsponsor von Hertha. Die Bahn hatte einen „Entlastungszug“ versprochen, es wartet jedoch die normale Regionalbahn. Dreieinhalb Stunden Gebummel über die Dörfer – oder eine Stunde im Schnellzug? „Wir fahren Intercity“, der Spruch macht die Runde. Am Ende steigen 100 Hertha-Fans in den Schnellzug nach Berlin. Der Schaffner mault, die Fahrgäste schauen starr aus dem Fenster, die Polizei fährt mit und akzeptiert die Schwarzfahrer. Die Fans sind so schneller zu Hause, das bedeutet auch für die Beamten: eher Feierabend.

„Bis in zwei Wochen“, grüßen sich die Fans zum Abschied. Die Polizisten lächeln nur müde. Sie wissen aus Erfahrung: Wahrscheinlich sieht man sich schon am Sonntag auf der Fahrt zum Hamburger SV.

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