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Wolfsburg ist Deutscher Meister

© dpa

Deutscher Meister: Wolfsburger Wahnsinn

Riesenparty in der norddeutschen Provinz: Der VfL Wolfsburg ist zum ersten Mal in seiner Geschichte Deutscher Meister. Nach dem 5:1 über Werder Bremen versinkt die kleine Stadt in Grün-Weiß. Und die Fans versöhnen sich mit dem scheidenden Meistertrainer Felix Magath.

Sebastian Boenisch bewies ein gutes Gespür für den Moment. Der Verteidiger von Werder Bremen hatte sich den Fuß verdreht, er krümmte sich am Boden, doch dann robbte er im Sitzen über die nahe Seitenlinie. Boenisch wollte dem Finale wenigstens noch ein würdiges Finale bescheren. Die letzten Sekunden waren von den Fans des VfL Wolfsburg bereits heruntergezählt, auf der Anzeigetafel stand das Endergebnis von 5:1 und 90:00, das Spiel war eigentlich zu Ende. Aber mit letztem Einsatz bescherte Boenisch dem Schiedsrichter die Möglichkeit, noch einmal anzupfeifen – um gleich danach wieder abzupfeifen. Es war das Signal für die große Meisterparty. Wolfsburg feiert, den Bayern bleibt nur Platz zwei.

Dass es in und um Wolfsburg herum an diesem 23. Mai 2009 eine riesige Sause geben würde, hatte sich schon früh angedeutet, obwohl Wolfsburgern anfangs ein bisschen die Füße gezittert hatten. Doch nach fünf Minuten legte sich ihre Nervosität. „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie unter Druck in der Lage ist, sehr gute Leistungen zu zeigen“, sagte Wolfsburgs Trainer Felix Magath. Die dilettantischen Abwehrbemühungen der Bremer hatten dabei durchaus beruhigende Wirkung auf den VfL. Ein Fehlpass von Petri Pasanen leitete die Führung des VfL, nach Sebastians Prödls missglückter Abwehr staubte Zvjezdan Misimovic zum 1:0 ab. Der Druck wich aus dem Kessel.

Der Rest war schönes Beiwerk. Grafite erhöhte auf 2:0 und leitete wiederum nur zehn Minuten darauf das 3:0 ein: Prödl lenkte die Hereingabe des Brasilianers ins eigene Tor. Werder wirkte drei Tage nach dem verlorenen Uefa-Cup-Finale müde und träge, vor allem in der Defensive. Für das Spiel nach vorne konnten sich die Bremer zumindest noch begeistern. Und weil auch die Wolfsburger nach dem 3:0 die Verteidigung nicht mehr ganz so ernst nahmen, wurde es trotz fehlender Spannung zumindest noch ein recht munterer Nachmittag. Diego, der sein letztes Spiel für Werder bestritt, verkürzte vor der Pause nach einem Doppelpass mit Claudio Pizarro auf 1:3. „Auswärtssieg!“, rief der Anhang der Bremer.

In der zweiten Halbzeit hatte Werder sogar noch ein paar gute Gelegenheiten; die Tore aber machten die Wolfsburger: Grafite traf mit seinem 28. Saisontreffer zum 4:1, sein Sturmkollege Edin Dzeko erzielte den 5:1-Endstand. Mit zusammen 54 Toren in einer Saison sind Grafite und Dzeko nun das erfolgreichste Sturmduo der Bundesligageschichte. „Die Meisterschaft und der Rekord – Wahnsinn!“, sagte der 23 Jahre alte Dzeko, der trotz der großen Erfolge dazu tendiert, den Verein zu verlassen. Sein Partner Grafite dagegen will in  Wolfsburg bleiben.

Die emotionalen Höhepunkte spielten sich zu diesem Zeitpunkt längst auf den Rängen ab. Zehn Minuten vor dem Ende besann sich das Publikum darauf, wem sie die große Party eigentlich zu verdanken hatte. Ein mächtiger Chor erhob sich von den Rängen: „Felix Magath, du bist der beste Mann!“ Vor drei Wochen noch, nach den ersten Gerüchte von Magaths Wechsel nach Schalke, war der Erfolgstrainer des VfL noch von den eigenen Fans ausgepfiffen worden. Im Angesicht des Triumphes aber, der ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte, gab es die große Versöhnung.

„Wir hatten nicht die beste Mannschaft“, sagte Magath, „aber wir haben den besten Fußball gespielt. Deshalb sind wir verdient Meister geworden.“ Dass der VfL den Titel holen würde, galt lange als Ding der Unmöglichkeit. In der Winterpause lag die Mannschaft noch auf Platz neun, aber in Wolfsburg haben sie bewiesen, dass sie auch unmögliche Dinge möglich machen können. Nach dem Spiel lieferten sie ein weiteres Beispiel dafür. Die Fans aus der Nordkurve waren mit dem Schlusspfiff auf den Platz gestürmt, und fast rührend wirkten die Aufrufe der Stadionsprecher, das Spielfeld doch bitte wieder zu verlassen. Sie schafften es, unter anderem dank der Drohung von Nationalspieler Marcel Schäfer: „Sonst rückt die DFL die Schale nicht raus.“

Eine halbe Stunde dauerte es, bis die Zeremonie überhaupt beginnen konnte. Die Wolfsburger Spieler besorgten sich inzwischen die Fahnen ihrer Heimatländer, die sie sich um die Schulter oder die Hüften banden. Sebastian Schindzielorz, der auf seine alten Tage von Felix Magath noch ein paar Einsätze in der Bundesliga geschenkt bekommen hatte, bewies noch einmal, wie ungewohnt es für ihn ist, sich jetzt Meister nennen zu dürfen. Nachdem er seine Meistermedaille bekommen hatte, stieg er gleich wieder vom Siegerpodest hinunter, obwohl oben seine Kollegen warteten. Ein Diener von der DFL musste Schindzielorz erst darauf hinweisen, wo er hingehört.

Josué, Wolfsburgs brasilianischer Kapitän, küsste die Meisterschale, bevor er sie in den Himmel reckte. Danach war der Wahnsinn offiziell freigegeben. Ein letzter Wettkampf wurde an diesem Nachmittag noch ausgetragen: Wer würde es schaffen, dem Meistertrainer die Meisterbierdusche zu verpassen? Sascha Riether und Christian Gentner spurteten wie die Irren auf Felix Magath los, kurz vor dem Ziel rutschten sie auf den Konfettistreifen aus und purzelten auf den Rasen. Alexander Esswein staubte ab. Vier Mal war er in der Saison eingewechselt worden, am Ende aber hatte auch Alexander Esswein noch seinen großen Auftritt.

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