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Nach dem Aufstieg: Hertha ist plötzlich erwachsen

Die Saison in der Zweiten Liga hat Hertha BSC und seine Fans geerdet. Von der Erfahrung des Aufstiegs profitiert eine Mannschaft mit einer neuen Mentalität.

Als das große Ziel erreicht war, beschlichen Michael Preetz doch noch ernste Zweifel am Zusammenhalt der Mannschaft. Der Manager von Hertha BSC flog gerade vor der Berliner Fankurve durch die Luft. Ein paarmal ging das so, auf und nieder, immer wieder. Bei der letzten Landung in den Armen der Berliner Spieler aber hatte Preetz „ein bisschen Sorge, dass sie mich nicht mehr auffangen“. Am Ende ist es doch gut gegangen. Preetz bekam wieder festen Boden unter den Füßen und konnte die Feierlichkeiten zum fünften Aufstieg der Vereinsgeschichte unbeschadet an Leib und Seele fortsetzen.

Auch der Verein Hertha BSC steht nach der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga wieder auf festem Grund, nachdem das Jahr in der Zweiten Liga ein Drahtseilakt in luftiger Höhe war. Der Verein hat sich vor einem Jahr für volles Risiko entschieden und ist bis an seine finanziellen Grenzen – vielleicht sogar darüber hinaus – gegangen, um den Schaden aus der vergangenen Saison zu reparieren. Die Lizenz für die Erste Liga wird Hertha aber erhalten, lediglich einen Vertrag muss der Verein bis zur endgültigen Erteilung am 1. Juni noch nachreichen. Dies werde in den nächsten Tagen geschehen, sagte Hertha-Geschäftsführer Ingo Schiller.

Aber es war bezeichnend, dass Herthas Präsident Werner Gegenbauer sich nach dem 1:0-Sieg in Duisburg eher innerlich freute. Seine Erleichterung schien größer zu sein als seine Freude. Auf die Frage, was ihm bei Vollzug des Aufstiegs durch den Kopf gegangen sei, antwortete Gegenbauer: „Das war Vergangenheitsbewältigung.“

Erst allmählich wichen bei Hertha die Verklemmungen, die der Klub in den vergangenen Tagen exzessiv gepflegt hatte. Trainer Markus Babbel hatte schon vorab verkündet, dass seine Spieler die vorgeschriebene Nachtruhe in jedem Fall einhalten müssten, und als die Mannschaft nach erfolgreichem Abschluss ihrer Mission vor der Kurve tanzte, sah es so aus, als würde es in der Duisburger Arena die erste trockene Aufstiegsfeier der Fußballgeschichte geben. Erst nach einer Karenzzeit schleppte Zeugwart Hendrik Herzog einen Alukoffer mit einer Art alkoholischer Notration an.

Die Spieler ließen sich davon in ihrer Ausgelassenheit nicht beirren. Trainer Babbel wurde von Peter Niemeyer und Christian Lell aus 0,33-Liter-Fläschchen biergeduscht, bei Präsident Gegenbauer war es später immerhin Champagner, und Patrick Ebert gelang mit einer No-Look-Bierdusche die heimtückischste Attacke des Abends. Mit der Linken drückte er Gegenbauer an seine Brust, mit der Rechten entleerte er seine Bierflasche über dem Haupt des Präsidenten. „Das haben wir uns verdient“, sagte Mittelfeldspieler Peter Niemeyer über den Ausbruch der Anarchie. „Wir haben harte Arbeit geleistet.“ Auch nach Abpfiff. Bis um 1 Uhr nachts feierten die Spieler im Hotel noch zusammen, „in gediegener Runde“, wie es Niemeyer nannte. Der Trainerstab und Michael Preetz saßen noch länger zusammen, ein übermüdeter Markus Babbel sagte am nächsten Tag, er verrate nicht, wer als Letzter ins Bett gegangen sei, „ich war es jedenfalls nicht“.

Die Feier, aber noch mehr der Aufstieg hat Hertha mehr Mühen gekostet, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. „Es ist eine enorme Last von jedem Spieler abgefallen“, sagte Stürmer Pierre-Michel Lasogga. Nicht nur Lasoggas Bilanz fällt mit zwölf Toren hervorragend aus, auch Hertha kann auf beeindruckende Zahlen verweisen, von denen vor ein paar Wochen – vor dem Auswärtsspiel beim inzwischen abgehängten Konkurrenten Bochum – kaum jemand zu träumen gewagt hätte. „Es ging auf einmal ganz schnell“, sagte Niemeyer. Schon am viertletzten Spieltag haben die Berliner den Aufstieg perfekt gemacht, und wenn sie die drei ausstehenden Spiele (gegen 1860 München, in Aue und gegen Augsburg) gewinnen, hätten sie auch noch den Punkterekord der Zweiten Liga geknackt. Der beste Zuschauerschnitt der Zweitliga-Historie ist dem Klub schon jetzt sicher.

Auf den Anzeigetafeln in der Duisburger Arena wurde den Zuschauern schon seit einer Viertelstunde nur noch „eine angenehme Heimreise“ gewünscht, da stimmten die Berliner Fans Frank Zanders Vereinshymne an: „Nur nach Hause geh’n wir nicht.“ Knapp 3000 Hertha-Anhänger hatten sich an diesem Montag auf dem Weg ins Ruhrgebiet gemacht, einige Hundert empfingen das Team am Dienstag am Flughafen Tegel und beim Auslaufen auf dem Trainingsgelände. „Der ganz große Schwung ist von unseren Anhängern ausgegangen“, sagte Preetz. Am Freitag gegen 1860 sollen wieder 70 000 Zuschauer ins Olympiastadion kommen, das Saisonfinale gegen Augsburg ist längst ausverkauft. Das Berliner Publikum hat das Jahr in der Zweiten Liga einfach zu einem besonderen gemacht.

Der Zwangsaufenthalt in der Zweitklassigkeit hat nicht nur Herthas Fans, sondern möglicherweise den ganzen Verein neu geerdet – vor allem aber die Mannschaft könnte von der ungewohnten Erfahrung auch langfristig profitieren. Sie hat als Team zusammengefunden und dem nicht unerheblichen Druck standgehalten. „Die Jungs haben’s mental angenommen“, sagte Markus Babbel. Danach sah es vor einem Jahr nicht unbedingt aus. In der Stunde seines Triumphes erinnerte Herthas Aufstiegstrainer noch einmal explizit daran, in welch desolatem körperlichen Zustand er die Mannschaft vorgefunden hatte. „Markus Babbel hat die Mannschaft geformt“, sagte Manager Preetz, „er hat ihr Disziplin gegeben.“

Am Ende kam es genau so, wie es Babbel wieder und wieder vorhergesagt hatte: Für den Erfolg ist weniger die Qualität des Kaders entscheidend als dessen Mentalität. Hertha mag fußballerisch nicht immer überzeugt haben; im Laufe der Rückrunde aber hat die Mannschaft erheblich an Stabilität zugelegt und ihren Auftrag mit Souveränität und Entschlossenheit erledigt. Es war, als wäre sie plötzlich erwachsen geworden. „Unsere Stärke war, dass wir in den wichtigen Momenten gezeigt haben, was wir können“, sagte Lasogga.

Natürlich ist das auch eine Frage der Qualität. Hertha hat sich die teuerste Mannschaft der Zweiten Liga geleistet – eine Garantie, sich damit auch den Aufstieg zu erkaufen, war das nicht. „Es wurde immer gesagt, dass wir die Bayern der Zweiten Liga sind“, sagte Niemeyer. „Aber wenn man in die Erste Liga schaut: Da ist Bayern auch nicht Erster.“

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