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Demonstrationen von Befürworters und Gegnern der staatlichen Krankenversicherung begleiten die Verhandlungen am Obersten Gerichtshof.

© AFP

Gegenwind für "Obamacare": US-Gesundheitsreform beschäftigt den Obersten Gerichtshof

Die dreitägige Anhörung vor dem Supreme Court der USA über die Verfassungsmäßigkeit der 2010 verabschiedeten Gesundheitsreform hat eine überraschende Wende genommen.

Ein Großteil der US-Medien hält es für möglich, dass die Obersten Richter die Pflicht zur Krankenversicherung, die als größte Errungenschaft der Obama-Präsidentschaft gilt, mit einer 5-zu-4-Mehrheit ablehnen.

Mit dem Urteil wird Ende Juni gerechnet. Die Medien schließen jedoch aus der Art, wie die neun Richter die Kläger und die Verteidiger am Montag, Dienstag und Mittwoch befragten, dass fünf von ihnen Bedenken gegen die zentrale Bestimmung haben, wonach jeder Amerikaner eine Versicherung haben oder eine Strafabgabe bezahlen muss. Zuvor hatten die meisten Rechtsexperten prognostiziert, dass die Richter die Reform für verfassungsgemäß erklären und allenfalls einzelne Bestimmungen infrage stellen. Sie stützten diese Annahme auf ihre Analysen, wie die Richter in juristisch ähnlich gelagerten Fällen geurteilt hatten.

Die „New York Times“ schreibt, die Zurückweisung des Gesetzes sei „eine reale Möglichkeit“. Die „Washington Post“ analysiert, die Mehrheit der Richter klinge „zutiefst skeptisch“. Die Anhörung sei „wohl die bedeutsamste, seit das Gericht den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2000 zwischen Bush und Gore entschieden hat“. Das „Wall Street Journal“ kalkuliert, bei der Entscheidung werde die ideologische Spaltung zum Tragen kommen. Die vier von republikanischen Präsidenten ernannten Richter Samuel Alito, John Roberts, Anthony Scalia und Clarence Thomas würden gegen die Reform urteilen, die vier von Demokraten ernannten Richter und Richterinnen Stephen Breyer, Ruth Bader Ginsburg, Elena Kagan und Sonia Sotomayor dafür. Den Ausschlag werde Anthony Kennedy geben. Er hatte bei der Anhörung gesagt, der staatliche Zwang, eine Krankenversicherung abzuschließen, gehe „einen Schritt weiter als das, was wir in früheren Fällen für zulässig befunden haben“. Viele Medien spekulieren, ein Urteil, das Obamas zentrales Projekt mitten im Wahlkampf als verfassungswidrig zurückweist, könne ihn die Wiederwahl kosten.

Obamas Gegner für die Wahl in diesem Jahr:

Klage hatten 26 republikanisch regierte Bundesstaaten und mehrere Wirtschaftsverbände eingereicht, teils mit der Begründung, dass Regierung und Parlament Bürgern nicht vorschreiben dürfen, ein Produkt (eine Krankenversicherung) zu kaufen, das sie nicht freiwillig erwerben wollen; teils unter Verweis darauf, dass die Reform „Medicaid“, die Gesundheitsversorgung Armer, neu regele und den Bundesstaaten Kosten aufbürde. In den ersten Instanzen war die Reform teils bestätigt, teils zurückgewiesen worden.

Obamas Wiederwahl - steht sie auf der Kippe?

Am Montag hatten die Richter diskutiert, ob die Strafabgabe eine Steuer darstelle. Dann dürfen Gerichte erst entscheiden, sobald die Steuer erhoben wird, und das wäre erst 2015 der Fall. Am Dienstag ging es um zwei Kernfragen: Fallen Gesundheitswesen und Krankenversicherungsmarkt unter die „Interstate Commerce Clause“? Der Kongress ist nur zuständig, wenn es um Wirtschaftsfragen geht, die nicht innerhalb eines Einzelstaats geregelt werden können. Und: Darf der Kongress Bürger zum Abschluss einer Versicherung zwingen?

Die Regierung Obama argumentiert, das Gesundheitswesen sei ein nationaler Markt in Schieflage, weil jene Bürger, die sich nicht versichern, dennoch behandelt werden müssen, und sie damit die Kosten, wenn sie nicht zahlen, der Allgemeinheit aufbürden. Die Versicherungspflicht diene dem Schutz der Mehrheit. Richter Alito wandte ein, mit der Begründung könne der Kongress jedem vorschreiben, eine bestimmte Menge Broccoli zu kaufen. Richter Scalia ergänzte: Nach unserer Verfassung hat die Regierung nur eng begrenzte Macht über die Bürger. Wenn sie Versicherungen vorschreiben darf, wo gibt es überhaupt noch Grenzen?

Zwei Richter halten ihre Entscheidung womöglich noch offen. Der Vorsitzende John Roberts sagte, jeder Mensch sei irgendwann auf Gesundheitsversorgung angewiesen. US-Medien werteten das als Hinweis, dass er die Reglementierung per Gesetz eventuell für zulässig halte. Anthony Kennedy fragte intensiv nach, ob das Gesundheitswesen ein Markt wie jeder andere oder eher ein Sonderfall sei.

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