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Nach dem Rückzug: Der Papst wird verweltlicht

Wenn der Katholizismus sich erneuern wollte, dann jetzt. Benedikt zwingt auf seine Weise dazu, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Und die sind unübersehbar: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.

Und ganz zuletzt die Himmelfahrt. Der Papst, dieser Papst, der erste deutsche seit 500 Jahren, verlässt den Vatikan im Flug. Dass es mit einem Hubschrauber geschieht, wird die gewollte Symbolik in den Augen der Welt nicht schmälern. Weit mehr als die 1,2 Milliarden gläubigen Anhänger des Katholizismus werden es sehen. Das ist gewollt. Denn der Papst, das Amt, soll – gleich welcher Mensch es bekleidet – eine Attraktion bleiben. Er ist es im weltlichen Sinn wegen des überbordenden, traditionsbeladenen Zeremoniells, und im geistlichen, weil das Oberhaupt dieser riesigen Glaubensgemeinschaft in seinem Da-Sein und So-Sein stets auch die anderen herausfordert. Das hat auch Benedikt XVI. getan. Aber noch mehr, und darum wird ihm Beachtung über die konkrete Zeit als Papst hinaus zuteil werden: Er hat das Papstamt durch einen Rücktritt revolutioniert. Denn das ist seine letzte große Botschaft: Seht her, der Papst ist auch nur ein Mensch.

Das Mysterium des Glaubens bleibt – der Mythos geht. Der Papst wird mit diesem Schritt verweltlicht, wie es nie zuvor der Fall war. Das ist das Historische an dem Rücktritt, der für sich schon ein historischer Akt ist, als demonstratives Eingeständnis eines Menschen mit Macht, nicht unfehlbar zu sein, sondern zu Teilen ohnmächtig der Organisation ausgeliefert, die ihn umgibt und tragen soll. Nun ist lange schon nicht mehr von der Unfehlbarkeit die Rede; das Dogma ist keine aktive Lehre mehr. Und genau das hat dieser Papst zwei Mal bewusst deutlich gemacht, zu Beginn und zum Ende. Zu Beginn, als er sagte, Gott habe sein Bitten nicht erhört, ihm diese Aufgabe zu erlassen, zum Ende mit seinem Eingeständnis, dass ihm die Kraft für diese Aufgabe fehle. Beides kann diese Kirche verändern.

Kann, wohlgemerkt. Denn wenn der Katholizismus sich erneuern wollte, dann jetzt. Der Papst ist es, der den ihm möglichen letzten und größten Einschnitt wagt, damit die Kurie innehält und aufgerufen wird, einen Status herzustellen: Wo stehen wir, wo wollen wir hin. Das ist auch theologisch. Benedikt zwingt auf seine Weise dazu, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Und die sind unübersehbar: So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Die katholische Kirche muss keine modernistische Reformbewegung werden, um doch anzuerkennen, dass sich so viel um sie herum verändert hat.

Und dass zwangsläufig verändern muss, wer das bewahren will, was ihm Wert erscheint. Traditionalismus aus 2000 Jahren ist kein Wert an sich. Der Wert der Kirche soll von alters her sein, dass sie dem Menschen dient, mitten im Leben, wie sie und er es erfährt. Sich davon abzuschließen heißt, Gefahr zu laufen, sich geistig und geistlich zur Sekte zu verengen. Das kann in diesen Zeiten, in denen Veränderungen rasanter sind denn je, auch schneller denn je geschehen.

Der Papst eröffnet, und sei es aus Schwäche, ein Fenster der Möglichkeiten. Eben nicht bloß für eine strukturelle Neugliederung des Machtapparats, sondern vielmehr für Kirche als sinnstiftendes Gemeinwesen eigener Art, das offen ist für Entwicklung und Veränderung. Diese Form der Verweltlichung des Innerkirchlichen kann – in intellektueller Spannung – einhergehen mit einer sehr bewussten Entweltlichung: indem der Papst seine Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ohne die üblichen politischen Konzessionen verbreitet. Das machte ihn einzig, das strahlte aus, weit über den Katholizismus hinaus. Und es wäre ein Segen.

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