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„Hier Amt, was beliebt?“ Im Fernmeldeamt Körnerstraße in Charlottenburg, das Ende 1906 seinen Betrieb aufnimmt, arbeiten 500 Telefonistinnen auf zwei Säle verteilt. Um die Jahrhundertwende hat Berlin rund 50.000 Telefonanschlüsse. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs sind es bereits 150.000. Statistisch gesehen verfügen damit 4,05 Prozent der nunmehr 3,7 Millionen Berliner über einen Telefonanschluss.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Zauberhaft verbunden mit dem Fräulein vom Amt

Das Telefon befreit die Frau - die Vermittlerin im Fernsprechamt wird zum Traumberuf und Rollenvorbild. Am Schalttisch verbinden sie die Welt, aber sie selbst sollen ungebunden bleiben.

Bitte, meine Herren, bloß nicht romantisch werden! Die Damen in diesem Saal sind in der Regel nicht zu sehen, sondern nur zu hören. Aber man hüte sich davor, sein Herz an eine der freundlichen Stimmen zu verlieren. Der Hauptsaal des neuen Fernsprechamtes VI in der Körnerstraße 7-10 ist keine Heiratsvermittlung – im Gegenteil. Und das Glück, ein und dieselbe zum zweiten Mal an den Hörer zu bekommen, ist so selten wie das große Los in der Lotterie. 500 Fernsprechgehilfinnen arbeiten hier auf zwei Säle verteilt. Sie wirken Wunder mittels elektrischer Impulse, aber es bleibt keine Zeit für Gefühle.

"Wer beim Telephonamt tätig ist, schafft Zauberwerke, deren sich die Scheherezade nicht einmal zu schämen braucht", heißt es im Dezember 1906 in der Monatszeitschrift "Berliner Leben" im Kommentar zu diesem Bild. Die Damen "an ihrem Riesenzaubertisch haben sie eine große Macht. Sie beherrschen das Leben Berlins und können wie der Papst im heiligen Rom uns binden und lösen". Die ungewohnte Macht der Frauen ist begründet durch die technischen Unzulänglichkeiten des neuen Kommunikationsmittels: Die Qualität der ersten Fernsprechnetze lässt zu wünschen übrig, gerade Männern reißt bei langen Leitungen regelmäßig der Geduldsfaden. Unterstaatssekretär Paul Fischer aus dem Reichspostamt erklärt 1894 im Reichstag, man beschäftige bevorzugt Telefonistinnen: "einmal, weil durch die höhere Stimmlage des weiblichen Organs die Schallwellen leichter verständlich sind, und sodann, weil der Teilnehmer friedlich wird, wenn ihm aus dem Telephon eine Frauenstimme entgegentönt".

Die Telefonistinnen werden deutlich schlechter bezahlt als männliche Kollegen

Das Telefon fördert die Emanzipation. Das "Fräulein vom Amt" wird zum Traumberuf und Rollenvorbild. Die Reichspost stellt hohe Anforderungen: gute Schulbildung, gepflegte Umgangsformen und Fremdsprachenkenntnisse sind gefragt. Bezahlt werden die Telefonistinnen dennoch weit schlechter als ihre männlichen Kollegen, die bald nur noch die Aufsicht in den Vermittlungsstellen führen.

Die Zahl der Telefonanschlüsse in der Reichshauptstadt macht große Sprünge. Ende des Jahres 1904 zählt Berlin 61.885 Anschlüsse, fünf Jahre später sind es 112.225 - zu Beginn des Ersten Weltkriegs bereits 150.000. Statistisch verfügen damit 4,05 Prozent der mehr als zwei Millionen Berliner über ein eigenes Telefon. Immer mehr Gespräche gilt es zu vermitteln. Damit die Telefonistinnen nicht unnötig Zeit verplaudern, wird die "rasche Abwicklung des Verkehrs" streng überwacht: "Hier Amt, was beliebt?" – selbst der Toilettengang der Frauen ist reglementiert. Der Dauereinsatz mit Kopfhörern und Trichtermikrofon vor der Brust belastet die Gesundheit: Viele Fräulein klagen über Kopfschmerzen, nervöse Reizzustände und Hörschäden. "Wie beliebt?"

Stets freundlich soll es sein, aber ungebunden bleiben, das Fräulein vom Amt – um mögliche Versorgungsansprüche von Familienangehörigen auszuschließen. Gegen die arbeitsvertragliche Verpflichtung auf Ehelosigkeit regt sich Widerstand, die Frauen organisieren sich 1912 im "Verband der deutschen Reichs- Post- und Telegraphenbeamtinnen", der schnell zu einer mitgliederstarken Interessenvertretung heranwächst. Immerhin: Ab 1923 zahlt die Post beim Ausscheiden aus dem Dienst eine Abfindung, "Heiratsprämie" wird sie genannt.

Schließlich macht die Technik die Vermittlerinnen entbehrlich. Mit der Einführung der Wählscheibe verschwindet die Handvermittlung von Telefonaten ab 1926 allmählich. Die letzten "Fräulein vom Amt" werden im Mai 1966 von Bundespostminister Richard Stücklen in Uetze bei Hannover feierlich verabschiedet.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter: www.tagesspiegel.de/fraktur

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