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Zu warm? Beim Ironman ist ab einer Wassertemperatur von 24 Grad das Tragen eines Neoprenanzuges verboten.

© promo

Kolumne: Ich – Ironman (8): Froschmänner im Gleitflug

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Bei seinem ersten Training im Neoprenanzug fühlt sich das Kraulschwimmen leicht und unbeschwert an. Nur das An- und Ausziehen ist gar nicht so einfach.

Von wegen Egoveranstaltung: Wer glaubt, einen langen Triathlon allein bewältigen zu können, der geht schon vor dem Schwimmen baden. „Ihr braucht definitiv Hilfe beim Anziehen“, erklärt Neoprenanzugvertreter Andreas. Hinter ihm stehen zwei gefüllte Kleiderständer mit den neuesten Modellen. „Der passende Anzug ist in der Regel so eng, dass ihr da nicht allein reinkommt – oder ihn kaputtmacht“, warnt er und fuchtelt dabei mit einer kleinen Rolle herum. „Damit es besser flutscht, zieht ihr beim Anlegen bitte Gefrierbeutel über die Hände und Füße.“ Klar, denke ich, Kälteschutzanzug und Gefrierbeutel, das liegt nah.

Neoprenanzüge sind die Schwimmflügel der Triathleten. Für mindertalentierte Planscher wie mich ist der Anzug ein Heilsversprechen, weil er Auftrieb gibt und dadurch die Wasserlage verbessert – und natürlich die Schwimmzeit. Ein knappes Dutzend Triathleten hat sich zusammen mit mir zum Neopren-Testschwimmen in der Schwimmhalle im Ernst-Thälmann-Park angemeldet. Fast jede Woche gibt es in Berlin eine solche Veranstaltung, immerhin buhlen mehr als 15 Hersteller um die Triathleten.

Einige der anwesenden Sportsfreude sind vom Zeh bis zum Adamsapfel so glatt rasiert, dass sie schon vor der Anprobe aussehen wie lebende Neoprenanzüge. Ich wirke dagegen wie die weiche Seite eines Klettverschlusses.

Froschmänner machen den Michael-Jackson-Gedächtnis-Griff

Für 300 Euro lässt sich meine Körperoberfläche ohne Haarverlust glätten. So viel kostet das Einsteigermodell, das Außendienstler Andreas als erstes präsentiert: „Der Anfänger braucht am meisten Auftrieb, also ist bei diesem Modell das Neopren am dicksten.“ Niemand nickt, offenbar keine Anfänger dabei. Bei der Bestseller-Ausführung für 440 Euro fallen bereits Worte wie anatomischer Mehrbahnschnitt und Nanobeschichtung. „Wichtig ist, dass der Anzug im Schritt eng sitzt“, betont Andreas und macht dabei einen Michael-Jackson-Gedächtnis-Griff. „Dann sitzt er auch am Hals angenehm.“ Den Ferrari unter den Schwimmhilfen gibt es für filigrane 700 Euro. Mit nur zwei Millimetern ist das Neopren unter der Achselhöhle bei diesem Modell so dünn und dehnbar, dass der Schwimmer kaum noch Widerstand beim Armzug spürt. Aber wer sich preislich so verausgaben muss, will vorher sehen, was er davon hat.

Eine Bahn der Schwimmhalle ist extra für die Froschmänner reserviert. Im Rest des Beckens wird allerdings ohnehin mehr geglotzt als geschwommen, als ich mich mit eingetüteten Händen und Füßen minutenlang in das Talentfreimodell kämpfe. Den Reißverschluss am Rücken bekomme ich tatsächlich nicht allein geschlossen, so eng sitzt die dicke Pelle. Doch offenbar nicht eng genug. Beim Abstoßen vom Beckenrand flutet Wasser meinen Anzug. Noch auf der ersten Bahn fühle ich mich wie eine Wasserbombe. Als ich aus dem Becken steige, schießt mir das warme Wasser aus den Anzugbeinen. Dann folgt die nächste Wissenschaft: das Ausziehen. Eine Gratwanderung zwischen vorsichtigem Ziehen und ungeduldigem Rupfen, unter den besorgten Augen des Vertreters – immerhin ohne Gefrierbeutel.

Kraulschwimmen im Neoprenanzug fühlt sich leicht und unbeschwert an

Das Mittelklassemodell der Größe S sitzt deutlich besser. Die Arme und Beine von mir gestreckt, lasse ich mich mit geschlossenen Augen meditativ auf dem Rücken treiben und trichtere mir ein: Untergehen kannst du damit nicht. Untergehen kannst Du damit nicht. Das zu wissen, ist wichtig, wenn im Wettkampfgedränge Panik aufkommt. Nach vielen Trainingswochen in der Badehose fühlt sich das Kraulschwimmen im Neoprenanzug leicht und unbeschwert an wie ein Gleitflug. Im Kaufpreis inbegriffen ist also auch eine Portion Selbstbewusstsein.

Nach ein paar Bahnen steige ich beseelt und lächelnd aus dem Wasser. Triathlet Dirk, ungefähr 50 und im Ferrari am Beckenrand unterwegs, will mich anstacheln: „Los, wir stoppen mal, ob du damit die 1500 Meter unter 20 Minuten schwimmst.“ Ich suche noch nach einer Ausrede, da geht der kundige Vertreter dazwischen. Im 27 Grad warmen Wasser sei es mit dem Neoprenanzug so gut wie unmöglich, mit Volldampf auch nur 1000 Meter zu schwimmen. „Da verglühst du und kommst niemals an.“ Nicht umsonst seien Neoprenanzüge beim Ironman ab einer Wassertemperatur von 24 Grad verboten.

Allein schäle ich mich aus dem Anzug. Aber an meinem großen Wettkampftag werde ich das nicht so eng sehen. Da darf mir das Wetter gerne helfen.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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