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Ein Greenpeace-Aktivist entert die Bohrplattform des russischen Energiekonzerns Gazprom und klettert die Steilwand hoch. Er und seine Mitstreiter wurden anschließend von russischen Kampfschwimmern gefangen genommen.

© REUTERS

Update

Protest im Polarmeer: Russland wirft Greenpeace Piraterie vor

Seit Donnerstag hielt die Küstenwache 30 Aktivisten auf ihrem Eisbrecher „Arctic Sunrise“ gefangen. Am Dienstag erreichte das abgeschleppte Schiff den Militärhafen in Murmansk. Nun wurden die Umweltschützer in verschiedene Untersuchungsgefängnisse gebracht.

Russland will 30 Greenpeace-Aktivisten, die vor einer Woche im russischen Nordpolarmeer gegen die geplante Ölförderung des Energiekonzerns Gazprom protestiert haben, vor Gericht stellen. Die Aktivisten sind nach Angaben der Umweltorganisation nach stundenlangen Verhören in verschiedene Untersuchungsgefängnisse gebracht worden. Die 30 Besatzungsmitglieder der „Arctic Sunrise“ seien inzwischen formell für 48 Stunden festgenommen worden, teilte Greenpeace am Mittwoch mit. Weder Diplomaten noch Anwälte hätten Zugang erhalten.

Die Ermittlungsbehörde in Moskau bestätigte die Festnahmen. Drei russische Crewmitglieder seien befragt worden, sagte Behördensprecher Wladimir Markin russischen Agenturen zufolge. Die ausländischen Aktivisten würden jedoch erst vernommen, wenn sie mit Dolmetschern und Anwälten gesprochen hätten.

Die russische Justiz ermittle wegen „bandenmäßiger Piraterie“, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Die im Nordpolarmeer festgenommenen Aktivisten hätten die russische Hoheitsgewalt verletzt und die Umweltsicherheit in der Region gefährdet, teilte die Ermittlungsbehörde in Moskau am Dienstag mit. Die Umweltschützer weisen die Vorwürfe strikt zurück und werfen den Behörden illegales Vorgehen vor. „Das ist völlig unverständlich“, sagte Greenpeace-Mitglied Iwan Blokow der Agentur Interfax. Für Piraterie sieht das russische Gesetz bis zu 15 Jahre Haft vor. Eine ähnlich dramatische Zuspitzung hat Greenpeace nicht mehr erlebt, seit der französische Geheimdienst 1985 das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior" in Neuseeland versenkt hatte.

Der Machtkampf zwischen den Umweltschützern und der russischen Küstenwache begann am vergangenen Donnerstag. Greenpeace hatte seinen Eisbrecher „Arctic Sunrise“ ins russische Nordpolarmeer gesteuert, obwohl die zuständigen russischen Behörden die Passage verboten hatten. Greenpeace argumentiert, dass ihr Schiff alle Voraussetzungen für die Passage erfülle. Und tatsächlich gilt im internationalen Seerecht die Regel, dass das Befahren der Hochsee von keiner staatlichen Behörde behindert werden darf.

Am vergangenen Donnerstag erreichte das Greenpeace-Schiff die Gazprom-Ölplattform Prirazlomania in der arktischen Pechora See. Nach Greenpeace-Angaben hätten die Umweltschützer dann fünf Schlauchboote zu Wasser gelassen, die einige Aktivisten zur Öl-Förderplattform bringen sollten. Im August 2012 hatte Greenpeace die Plattform schon einmal für mehrere Tage besetzt. Damals gehörte auch Greenpeace-Chef Kumi Naidoo zu den Besetzern. Dieses Mal erreichten nur zwei Aktivisten die Plattform. Unter ihnen Sina Saatola, die auf der Greenpeace-Plattform mit folgender Begründung für ihren Protest zitiert wird: „Diese rostige Öl-Plattform wartet nur auf eine Katastrophe.“ Sie sei Hunderte von Kilometern von Notfall-Schiffen oder unabhängigen Beobachtern entfernt, „aber direkt neben einem empfindlichen arktischen Ökosystem, in dem Eisbären, Walrösser und seltene Seevögel leben“, meinte sie. Saatola und ihr Kollege wurden von der Küstenwache verhaftet, die anderen Schlauchboote abgedrängt.

Die „Arctic Sunrise“ habe dann wieder Kurs auf internationale Gewässer genommen, berichtet Greenpeace weiter. Dort habe die russische Küstenwache das Schiff dann gestürmt. Zuvor sei das Greenpeace-Schiff beschossen worden, sagten die Aktivisten, bevor die Küstenwache sie festnahm und sie daran hinderte, weiter über ihre Lage zu berichten. Rund 30 Aktivisten waren von den russischen Sicherheitskräften seither auf dem Schiff festgehalten worden. Das Schiff wurde von einem Schlepper in den Hafen von Murmansk gebracht und liegt seit Dienstagvormittag dort im Hafen. Am Dienstag sind nach Greenpeace-Informationen die konsularischen Vertretungen informiert und auf das Schiff eingeladen worden, um mit den Aktivisten, die aus sieben verschiedenen Ländern stammen, zu sprechen. Deutsche sind nicht darunter.

Die russische Küstenwache hat die "Arctic Sunrise" von Greenpeace erst gestürmt und dann vier Tage lang in den Militärhafen von Murmansk geschleppt. Das Foto zeigt die Ankunft im Hafen.
Die russische Küstenwache hat die "Arctic Sunrise" von Greenpeace erst gestürmt und dann vier Tage lang in den Militärhafen von Murmansk geschleppt. Das Foto zeigt die Ankunft im Hafen.

© AFP

Greenpeace-Direktor Kumi Naidoo sagte: „Unsere Aktivisten haben nichts getan, was das Vorgehen der russischen Behörden rechtfertigen könnte.“ Greenpeace habe bisher keine Information darüber erhalten, auf welcher rechtlichen Grundlage das Schiff gekapert worden sei. Die Aktivisten hätten zunächst keine Gelegenheit bekommen, mit Anwälten oder Botschaften Kontakt aufzunehmen. „Unsere Aktivisten motiviert die Überzeugung, dass es notwendig ist, die Arktis vor verantwortungsloser Ölförderung und dem Klimawandel zu bewahren“, fügte Naidoo hinzu. Er verlangte die „sofortige Freilassung der Aktivisten“.

Am Dienstag haben 40 russische Umweltorganisationen in einem offenen Brief an den Präsidenten Wladimir Putin ebenfalls die Freilassung der Greenpeace-Aktivisten gefordert. Die Organisation hat mehrere Seerechtsexperten beauftragt, die rechtliche Lage zu überprüfen. Stefan Kirchner, Rechtsprofessor an der finnischen Universität Lapplands, schreibt in seinem Kurzgutachten, die russischen Behörden hätten offenbar eine Reihe ihrer internationalen Verpflichtungen nicht erfüllt. Russland habe kein Recht, um die Öl-Plattform Prirazlomania eine „exklusive Drei-Meilenzone“ auszuweisen. Das internationale Seerecht sehe eine solche Regelung nicht vor. Kirchner hält es auch für unrechtmäßig, die Aktivisten festzuhalten. „Der gewaltsame Einsatz der Küstenwache gegen den friedlichen Protest von Greenpeace war unangemessen“, schreibt er.

Zudem würden den verhafteten Aktivisten auf dem Schiff ihre fundamentalen Menschenrechte verweigert, wie beispielsweise das Recht, anwaltlichen Beistand zu verlangen. Die niederländische Regierung hat von Russland eine Erklärung gefordert – und bisher offenbar noch nicht bekommen.

Greenpeace wehrt sich seit fast zwei Jahren mit spektakulären Aktionen gegen Pläne von Ölkonzernen, in der empfindlichen arktischen Tiefsee Öl zu fördern. Ein Unglück wie beispielsweise die Explosion und Ölpest im Golf von Mexiko vor drei Jahren hätte in der Arktis jahrzehntelange dramatische Auswirkungen. Denn dort ist es für Erdöl abbauende Bakterien viel zu kalt. Zudem liegen nahe der Förderplattform nach Greenpeace-Angaben drei Naturschutzgebiete, die nach russischem Recht geschützt seien. Rund 3000 Kilometer arktische Küste könnten von einer Ölpest dauerhaft betroffen sein, argumentieren die Umweltschützer. In der Arktis streiten sich sämtliche Anrainerstaaten darum, wer die dort vermuteten Bodenschätze ausbeuten darf, wenn das See-Eis wegen des Klimawandels weiter schmilzt.

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