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Brüder, zur Sonne: Wie DDR-Bürger Urlaub machten

Die Sommerferien in Berlin haben begonnen. Bei vielen werden da auch Erinnerungen an frühere Urlaube wach - zum Beispiel an die Sommerfrische an der Ostsee oder ans Ferienheim im Harz.

Von Anna Sauerbrey

Das Urlaubsgefühl stellte sich auf dem Bahnsteig im thüringischen Meuselwitz ein. Oma und Opa warteten schon mit dem Handkarren für die Koffer, als der Zug der Deutschen Reichsbahn hielt, und sahen zu, wie Erika Buch und ihre Familie aus dem Wagen kletterten. Dann ging es zu Fuß in das Eisenbahnerhaus der Großeltern. Schon Wochen vorher hatten die drei Jungs, Peter, Arno und Tilo, einen Brief an die Großmutter geschrieben: „Liebe Oma, besorge bitte weißes Fett.“ Denn für die Jungs hieß Urlaub in den 60er Jahren: Omas knusprige Pfannkuchen. Es bedeutete, mit der Schaufel im Wald die Mäuse ausgraben, vom Rand der stillgelegten Sandgrube springen und Oma beim Einwecken helfen. Urlaub war, wenn Opa ein Kaninchen schlachtete, man den ganzen Tag draußen war und erst zum Abendessen sonnenverbrannt und schmutzig wieder nach Hause kam.

Erika Buch war bis zu ihrer Pensionierung Lehrerin für Deutsch, Russisch und Geschichte in Dresden, ihr Mann arbeitete als Techniker am Institut für Kernphysik. Zwar bewarb sich die Großfamilie jedes Jahr um eine Gewerkschaftsreise, doch nur alle drei bis vier Jahre bekam sie einen Platz. Urlaub in der DDR, das hieß für die Buchs wie für viele andere Familien Urlaub im eigenen Land. Und häufig auch: Urlaub bei der Verwandtschaft.

Man kam wohl eine Weile ganz gut miteinander aus. Der häufigste Satz auf DDR-Postkarten, sagt Jürgen Hartwig, sei: „Wir haben es gut getroffen.“ Hartwig muss es wissen. 90 000 Karten umfasst seine Sammlung, aus der auch die Karten auf dieser Seite stammen. Gemeinsam mit zwei Partnern publiziert er sie im Internet, im virtuellen DDR-Postkartenmuseum.

„Ihre Attraktivität als Reiseland“, so steht es im offiziellen „Reisebuch DDR“ des VEB Tourist-Verlag von 1982, „verdankt die DDR drei Eigenheiten: Erstens besitzt sie in ihren Städten touristische Anziehungspunkte allerersten Ranges. Zweitens verfügt sie über viele, in ihren Reizen einmalige Landschaften. Drittens ist es die beachtliche Wirtschaftskraft der DDR, die nach dem Umfang ihrer industriellen Produktion zu den führenden Ländern der Welt gehört.“

Doch wie so oft in der DDR wollten Anspruch und Wirklichkeit auch in Sachen Urlaub nicht recht zusammenpassen, ging die Rechnung schließlich nicht mehr auf. „Visafrei nach Hawaii“, war 1989 auf Transparenten zu lesen, die Demonstranten bei den Montagsdemonstrationen durch Leipzig trugen.

Die Reisefreiheit gehörte neben dem Ruf nach freien Wahlen zu den zentralen Forderungen der Bürgerbewegung. Zwar gab es in der DDR mit der Ostseeküste, den Seenlandschaften und den Mittelgebirgen Urlaubsregionen, die auch heute, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, bestehen. Doch dem kleinen ummauerten und umzäunten Land fehlte es an exotischen Alternativen. Hinzu kam: Wohin es gehen sollte, entschieden oft andere.

In der Planwirtschaft reiste man staatlich organisiert und subventioniert. Die größten Reiseanbieter der DDR waren der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Jugendorganisationen und vor allem die Betriebe. Ende der 80er Jahre vermittelten letztere 3,3 Millionen Urlaubsreisen, der FDGB 1,8 Millionen, alle in eigene Ferienanlagen. Private Unterkünfte gab es kaum.

Die Urlaubsplanung begann meist mit einem Antrag. In der Schule von Erika Buch hingen zu Anfang des Jahres Listen mit den für die Schule verfügbaren Plätzen am Schwarzen Brett aus. Immer bewarben sich mehr Kollegen, als es Möglichkeiten gab. Auswahlkriterien waren die Arbeitsleistung, die familiäre Situation, wie häufig man schon eine Reise bekommen hatte und wie aktiv man in Gewerkschaft und Betrieb war. Bekam man eine Reise, erhielt man einen „Ferienscheck“, der Unterkunft und Vollpension an einem bestimmten Ort garantierte.

Besonders groß war der Komfort in den Ferienheimen der Betriebe und der Gewerkschaft nicht. Auch sie waren Teil der DDR-Mangelwirtschaft. „Liebe Mutti. Sind gut mit dem Auto angekommen. Wohnen im 7. Stock, Verpflegung ist sehr wenig, sogar den Malzkaffee muss man selber zahlen“, heißt es auf einer Postkarte aus dem FDGB-Erholungsheim Ernst Thälmann in Rheinsberg. Vor den Gaststätten standen die Urlauber in der Schlange. Der DDR-Schriftsteller und Satiriker Matthias Biskupek erinnert in einer Erzählung an das Frühstücken in drei Schichten. „Der dritte Durchgang fand Weißbrotscheiben und manchmal ein halbes hartes Ei vor. Große ekelbraune Kaffeeinseln hatten sich in die Tischdecken gefressen.“

Wer weniger straff organisiert Urlaub machen wollte, ging campen. Ab Mitte der 60er Jahre nahm der Individualtourismus zu, da immer mehr Menschen ein eigenes Auto besaßen. Hinten am Trabi hing ein Klappfix, ein Campinganhänger, aus dem sich ein Zelt entfalten ließ. Es bot laut Bedienungsanleitung Platz für vier schlafende Urlauber oder, tagsüber, einen Tisch, zwei Sitze und zwei Propangasplatten. Ein Feuerlöscher wurde serienmäßig mitgeliefert.

Wie noch geurlaubt wurde, lesen Sie auf der nächsten Seite.

In das sozialistische Ausland reisten nur wenige Menschen. 1988 fuhren 200 000 Personen in die Sowjetunion, nach Ungarn und in die CSSR je rund 100 000. Die Plätze für Auslandsreisen wurden, auch aus politischen Gründen, begrenzt. Visumsfrei ging es zwischenzeitlich nach Polen, in die Tschechoslowakei und nach Ungarn. Als in Polen aber die Solidarnosc-Bewegung immer mehr Anhänger fand, wurde 1980 der Reiseverkehr wieder eingeschränkt. Selbst in die Sowjetunion wurden nur wenige Reisen genehmigt, meist Gruppenreisen, bei denen die Stasi mitfuhr.

Inge Winterfeld wurde 1973, im Jahr der Weltfestspiele, für eine Jugendreise in die UdSSR ausgewählt. Sie war damals 21 Jahre alt. „Für die Reise habe ich mir extra eine Super-acht-Kamera gekauft“, erinnert sie sich. Auf den wackeligen Bildern dominiert eine Farbe: Rot. Es sind die Tage um den Ersten Mai. Vor dem Hotel blühen rote Tulpen, und Inge Winterfeld hält die Kamera auf das Meer von roten Fahnen bei der Parade zum Tag der Arbeit. Die Reise ist straff durchorganisiert, gleich nach dem Frühstück werden die jungen Leute in einen Reisebus getrieben. Dass sie sich ein eigenes Bild vom Leben beim großen Bruder machen, ist nicht erwünscht. Individuell in die Sowjetunion reisen konnte man nur nach Genehmigung einer taggenauen Reiseroute, ein Verfahren, das nur wenige nutzten.

Wer individuell ins Ausland reiste, hatte außerdem ein Geldproblem. Ausländische Währungen erhielt man nur begrenzt, zu überleben erforderte daher einige Kreativität. Später arbeitete Inge Winterfeld im Reisebüro der Interflug und bekam hin und wieder Freiflüge. Die Familie reiste nach Bulgarien. Dort überließen Bekannte von Bekannten ihnen zwei Zimmer, im Austausch gegen BHs und Nachthemden, Salami und Fleischkonserven aus der DDR. Auch die eigene Verpflegung brachte die Familie im Koffer mit. „Abends haben wir unsere Büchsen gegessen“, erinnert sich Inge Winterfeld. Die knappen Devisen sparte die Familie, um Dinge zu kaufen, die es wiederum in der DDR nicht gab, einmal sogar einen Ölradiator.

Fuhr man hingegen organisiert in den Urlaub, war Geld kein Problem. Die Urlauber selbst trugen nur ein Drittel der Kosten, den Rest stifteten Staat, Gewerkschaft oder Betrieb. „Man konnte sich den Urlaub immer leisten, ohne das ganze Jahr darauf zu sparen“, sagt Erika Buch. Nur 30 bis 35 Mark kosteten zwei Wochen Urlaub mit Vollpension pro Person die Lehrerin, die rund 1000 Mark im Monat verdiente.

Der Urlaub für jedermann spielte eine wichtige Rolle in der sozialistischen Logik und war in der Verfassung verankert. In Artikel 25 hieß es: „Körperkultur, Sport und Touristik als Elemente der sozialistischen Kultur dienen der allseitigen körperlichen und geistigen Entwicklung der Bürger.“ In Artikel 34: „Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Freizeit und Erholung.“ Die sozialistische Gesellschaft, die auf dem Weg zum Kommunismus um Produktivitätssteigerung rang, brauchte motivierte und erholte Arbeiter. Auch warb der Staat mit den Reisen um die Zuneigung seiner Bürger. Totalitarismusforscher und Historiker rätseln seit Jahrzehnten, was der DDR ihre enorme Stabilität verlieh. Ein Grund ist sicher die Konsum-, Wohlfahrts- und Sozialpolitik der Ära Honecker, zu der ein möglichst attraktives Urlaubs- und Freizeitangebot zählte. „Gewollt war weniger die individuelle Selbstverwirklichung in der Reise, sondern die staatlich gelenkte Maßnahme der Erholung“, schreibt die Historikerin Heike Wolter.

Ein kurioser Auswuchs der systemstabilisierenden Urlaubspolitik war die Flotte der DDR-Kreuzfahrtschiffe, denen der Historiker Andreas Stirn seine Dissertation gewidmet hat. Ein Schiff für die Arbeiterklasse sollte die MS „Völkerfreundschaft“ sein, eine Belohnung für alle, die sich um den Sozialismus verdient machten. Das erste der insgesamt drei Kreuzfahrtschiffe, die „Völkerfreundschaft“, ging 1960 unter lauter propagandistischer Begleitmusik auf Reise.

An Bord der „Völkerfreundschaft“ und ihren Nachfolge- und Bruderschiffen „Arkona“ und „Fritz Heckert“ umwehte die Passagiere ein Hauch von westlichem Luxus. Die Gäste tafelten Südfrüchte, Wild und Geflügelleberpastete. Auch die Routen waren ungewöhnlich. Die Schiffe kreuzten auf der Ostsee, fuhren aber ebenfalls durch westliche Hoheitsgewässer und legten anfangs sogar in Häfen des nichtsozialistischen Auslands an.

Dieser Luxus kostete: eine zweiwöchige Ostseereise 800 Mark pro Person, 3000 Mark eine Kubafahrt. Für verdiente Arbeiter sollten die Reisen subventioniert werden, allerdings aus den Betriebsprämienkassen, die bei kleineren Betrieben nie ausreichten. Somit blieben die meisten von der Kreuzfahrt ausgeschlossen, die „Völkerfreundschaft“ begründete ihren Ruf als „Bonzenschaukel“.

Ohnehin war es mit einigen besonders luxuriösen Aspekten der Kreuzfahrt – den Westlandgängen – ab Mitte der 60er Jahre vorbei, nachdem mehrere Passagiere von Bord geflohen waren. Insgesamt 225 Republikfluchten im Rahmen von Kreuzfahrten zählt Andreas Stirn. Der promovierte Kunststoffchemiker Harald Gümbel etwa sprang 1964 vor der algerischen Küste von Bord der „Fritz Heckert“ und schwamm sechs Stunden lang zum Festland. Einfacher gestaltete sich die Flucht vor der Insel Fehmarn. Dort begleiteten häufig Boote des westdeutschen Grenzschutzes die Kreuzfahrer. Die Beamten standen an Deck und forderten die Passagiere durch Schwimmbewegungen mit den Armen zum Sprung auf. Um Fluchtversuche zu unterbinden, reisten offizielle und inoffizielle Mitarbeiter der Stasi mit, die an kritischen Passagen der Reise die Reling überwachten, Kabinen durchsuchten und in Gesprächen mit den Urlaubern versuchten, potenzielle Republikflüchtlinge auszumachen.

Nicht nur auf den Kreuzfahrtschiffen waren politische Kontrolle und politische Erziehung üblich. Noch heute erinnert sich Erika Buch mit Grausen an ein Jugendlager, das sie als Lehrerin in den 70er Jahren begleitet hat. In den großen Ferien schob das pädagogische Personal der DDR Dienst in Ferieneinrichtungen für Jugendliche, bei Erika Buch war das meist das Jugendlager einer Dresdner Baumschule, deren Betriebsleitung es mit der politischen Erziehung nicht so ernst nahm. Einmal aber wurde sie für ein zentrales Pionierlager eingeteilt. „Dort ging es militärisch zu“, erinnert sie sich. Jeden Morgen mussten sich die Jugendlichen zum Appell melden, die Fahne wurde gehisst, eine Rede gehalten und ein politisches Lied gesungen. Selbst bei glühender Hitze sollten die Kinder beim Ernst-Thälmann-Denkmal im Lager Mahnwache halten.

Dennoch, Postkartenforscher Jürgen Hartwig ist überzeugt, dass sich die Bedürfnisse und Klagen der Urlauber in West und Ost kaum unterschieden: „Das Wetter, das war das Wichtigste.“

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