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Videoserie: Unterwegs durch Birma (1/6): Ernten mit Sichel und Joch

Über vier Jahre ist es inzwischen her, dass Anfang Mai 2008 der Zyklon Nargis über das Irrawaddy-Delta in Birma hinwegfegte. Bis heute haben sich die Bauern nicht von den Auswirkungen des verheerenden Wirbelsturms erholt, doch neue Anbautechniken und Reformen sollen Besserungen bringen.

Der Schlamm unter den Füßen der vermummten Frau schmatzt bei jedem Schritt, bis fast zu den Knien stehen die Bauern in Birmas Irrawaddy-Delta in ihrem Reisfeld, um die Setzlinge auszubringen. Die Sonne scheint schon früh unbarmherzig vom Himmel. Die Menschen versuchen, sich mit Strohhüten, Schals und Lappen um die Hände vor den gleißenden Strahlen zu schützen. Sie sind schon mit dem ersten Licht auf den Beinen, denn gegen halb zehn ist es so heiß, dass es selbst mit diesem Schutz auf dem Feld nicht mehr auszuhalten ist. An den Enden der langen Saatreihen hockt je eine von ihnen, sie hütet Stock und Leine. Das ist ihre Markierung, damit die Pflanzen später in geraden Reihen stehen. Dann ist der Ertrag reicher, als wenn sie sie kreuz und quer verteilen. Sie wollen mehr ernten, damit alle satt werden – und sie einen Überschuss erwirtschaften, den sie verkaufen und so endlich etwas Geld in die Kasse bekommen können. Die Regierung will das Delta wieder zur Kornkammer des Landes machen und den Reis von dort exportieren, wie Präsident Thein Sein im Frühjahr bei einem Besuch in seiner Heimatregion erklärte.

Mehr als vier Jahre ist es inzwischen her, dass Anfang Mai 2008 der Zyklon Nargis über das Irrawaddy-Delta hinwegfegte und es mit Salzwasser überflutete. Wer dort hin will, muss immer wieder Checkpoints passieren. Bis heute haben sich die Bauern nicht von den Auswirkungen des verheerenden Wirbelsturms erholt, der rund 130 000 Menschen das Leben kostete. Wenn die Bauern von Nargis und seiner Wucht erzählen, versuchen sie gesammelt zu wirken, aber ihre Augen verraten, wie aufgewühlt sie in ihrem Innern noch sind.

Mit jeder Ernte wird der Ertrag besser, aber sie haben noch zu kämpfen. Der Anbau sichert ihr Leben, er hat Vorrang. Der Aufbau vieler zerstörter Hütten musste warten, viele Familien mussten zusammenwohnen. Derweil schickten einige Dörfer bereits Abgesandte in Projekte der birmanischen Hilfsorganisation Metta, um neue Anbautechniken zu lernen und resistentes Saatgut herzustellen. Zwei Drittel aller Beschäftigten in Birma arbeiten in der Landwirtschaft.

Auf der Musterfarm im Delta werden auf mit Holzkohle versetzter Erde sattgrüne Setzlinge gezogen. Wenn sie groß genug sind, verfrachten sie die zarten Pflanzen in kleine Holzkörbe und bringen sie zum Feld. Die meisten Farmer sind größere Pflanzen gewöhnt, ihnen fällt das Hantieren mit den kleinen Pflänzchen nicht leicht. Die Metta-Leute sagen: Ungeschulte Bauern schaffen ein Feld pro Tag, geschulte vier. Hier auf der Farm lernen sie auch, dass der eine oder andere Schädling nützlich sein kann und sie weniger oder keine Pestizide brauchen, wenn sie die Natur für ihre Zwecke einsetzen. Kaufen sie keine Pestizide, sparen sie Geld. Der örtliche Chef erklärt das an einem Beispiel: Durch die Katze gibt es kein Problem mit Ratten, doch für das Überleben der Katze sind auch Ratten nötig – aber eben nur einige wenige.

Auch die Ernte ist mühsam. Viele Bauern schneiden den Reis mit einer kleinen Sichel, nicht einmal eine Sense haben sie. Die Ernte wird zu Büscheln zusammengebunden, die die Männer mit einem Joch über den Schultern zum Trockenplatz bringen. Auch das ist schweißtreibend, noch dazu in Gummistiefeln. Sind die Körner zu feucht, wird es nichts mit dem Saatgut. Auch gedroschen wird hier noch von Hand. Wenn sie gutes Saatgut produzieren, wird die nächste Ernte besser. Mancher vom Wirbelsturm gebeutelte Bauer hofft nach den ersten Erfolgen mit den neuen Methoden schon auf traumhafte Erträge, doch die meisten sind schon froh, wenn sie endlich so viel produzieren, dass sie einen Überschuss verkaufen können. Bei vielen reicht die Ernte gerade mal für sie selbst.

Etwas weiter entfernt ist eine Gruppe unterwegs aufs Feld. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Großfamilie, entpuppt sich als ein Bauer mit seinen Angestellten. Pro Tag erhält ein Erntehelfer umgerechnet rund einen Euro. Wenn der Reis reif ist, müssen die meisten Bauern bisher schnell ernten und rasch verkaufen. Sie könnten erheblich mehr einnehmen, wenn sie ihre Ware erst kurz vor der nächsten Ernte anböten, doch für Saatgut, Dünger und Pestizide haben sie Kredite aufgenommen, deren Rückzahlung mit der Ernte fällig wird – wenn die Preise niedrig sind. Wenn sie später zurückzahlen wollen, fordern die Geldverleiher hohe Verzugszinsen. Präsident Thein Sein hat Reformen verkündet, aber selbst er verschwieg jüngst nicht, dass die Bauern auch im vergangenen Jahr wegen „unzureichender“ Hilfe der Regierung finanzielle Probleme hatten.

Richard Licht

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