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Gegengeschäft für Hauseigentümer: Wer Obdachlose aufnimmt, dem wird das Haus repariert

Damit die Opfer des Erdbebens endlich die Zeltlager verlassen, gibt es besondere Angebote für Hauseigentümer. Wenn sie Obdachlose für ein Jahr aufnehmen, wird ihr Haus repariert.

Es gibt bessere Gegenden als La Grenade, aber die Menschen hier oberhalb von Carrefour haben alle nicht viel. Die Häuschen sind einfach, Latrinengeruch weht den Hang hinauf. Das Eckhaus oben am Pfad zur steilen Straße ist frisch hellgelb und hellgrün gestrichen, hat ein neues Wellblechdach. Ebenso stolz wie grimmig steht Jean-Claude Deolus davor – dem 59-Jährigen gehört das Doppelhaus. Er ist hier im Viertel ein gemachter Mann, die Hilfsorganisation Care International hat sein Haus repariert und mit ein paar Verbesserungen beben- und sturmfest gemacht. Im Jargon der Helfer heißt das „retrofit“.

Dass die Nägel zentimeterlang aus dem Holzgestell ragen und nicht umgeschlagen wurden, sei für die Stabilität des Daches unerheblich, erklärt der im Sportstudio trainierte Medienmitarbeiter Seneq Pierre-Martelly, während er zwischen seiner Versace- und der Ray-Ban-Brille wechselt. Eigentlich nennt er sich nur Seneq Pierre. Dass er mit dem Präsidenten verwandt ist, soll nicht jeder wissen. Zu viele Leute erhoffen sich von seiner Bekanntschaft Vorteile. Das aber mag Michel Martelly nicht, das gäbe richtig Ärger, sagt Seneq Pierre. Beim Bauen in Haiti komme es darauf an, die Art und Weise möglichst wenig gegenüber dem Üblichen zu ändern, sagt er mit Blick auf die Unzulänglichkeiten. „Wir können den Menschen nicht

Für den Eigentümer (links) ist die Hilfe ein guter Deal. Weil er ein Jahr lang eine Familie aus einem der Lager aufnimmt, hat Care ihm sein kaputtes Haus saniert und gegen Stürme gesichert.
Für den Eigentümer (links) ist die Hilfe ein guter Deal. Weil er ein Jahr lang eine Familie aus einem der Lager aufnimmt, hat Care ihm sein kaputtes Haus saniert und gegen Stürme gesichert.

© Ingrid Müller

beibringen zu bauen wie in San Francisco.“ Die Bauvorschriften seien dafür da, Menschen zu retten, nicht Häuser. Insgesamt hat Care nach diesem Modell in dem Viertel 60 Häuser repariert. Insgesamt sieht das Programm den Wiederaufbau von 320 Häusern für je 700 bis 2200 Dollar vor. 

Er sagt, sie sind "wie eine Familie"

Als Gegenleistung für die Reparatur muss der Eigentümer sich verpflichten, für ein Jahr eine Familie aus einem der Zeltlager bei sich aufzunehmen. Deolus durfte sich, wie alle anderen auch, seine Mieter selbst aussuchen. Er hat sich für Fedilia Suffleurant, deren Mann und die drei Söhne entschieden. „Wir sind wie eine Familie“, sagt der Deolus lächelnd.

Seine Mieterin (40) kommt ursprünglich aus einem Ort drei Stunden entfernt, sie lebte nach dem Beben weiter unten in einem Camp. Beim Umzug musste sie ihre Registierungskarte als intern Vertriebene abgeben, damit sie nicht etwa doppelt Hilfe auch noch bei anderen kassiert. Ihre Kinder gehen erst seit dem Beben zur Schule. Sie verkauft „Bagay“, kleine Dinge, auf dem Straßenmarkt. Ihr Mann ist im Norden des Landes als Teppichverkäufer unterwegs, erzählt sie, während sie an ihrem ungewaschenen braunen T-Shirt zupft und auf den Boden schaut. Ihr Reich im Haus ist ein penibel aufgeräumtes Zimmer im hinteren Teil. Mehrere Kreuze und christliche Bilder hängen an der Wand, die Einrichtung ist spärlich. Trotz all der Tropenstürme in Haiti gibt es keine Regenrinne, sie haben improvisiert. Vor der Eingangstür ist ein kurzes verbeultes Stück Blech am Dachbalken angeknotet, um wenigstens dort nicht in Sturzfluten von oben zu geraten.

Auch Jean-Claude Deolus willigt ein, einen Blick in seine Wohnung zu werfen. Er zeigt ein weiteres Zimmer im vorderen Teil des Hauses. Eben erst waren in dem Zimmer eine junge Frau und ihre Tochter verschwunden, die offenbar gerade Prügel bezieht und schreit. Das sei Verwandtschaft, sagt der Deolus, und die beiden Frauen verlassen das Haus. Er präsentiert ein ärmliches, unaufgeräumtes Zimmer. Wohnt er wirklich selbst auch hier?

Die sanitären Einrichtungen in einem Nebengebäude will er partout nicht zeigen, öffnet dann aber doch die Tür zur Toilette - im Eingang steht ein Fernseher. Das sei seiner, den habe er schon immer gehabt, beginnt der ansonsten eher mundfaule Jean-Claude Deolus sofort eine Rechtfertigungsrede. Den sollten die Besucher offenbar nicht sehen.

Fürs nächste Jahr will er 500 Dollar Miete

Eine Frage noch: Fedilia ist im Januar eingezogen, Care hat mit der Reparatur des Hauses für ein Jahr die Miete bezahlt. Sie sagt, sie haben bisher nichts sparen können. Was wird im Dezember passieren, wenn die Miete fürs nächste Jahr fällig ist? „Natürlich kann sie bleiben“, sagt Jean-Claude Deolus: „Wenn sie die 500 US-Dollar Miete zahlt.“ Wenn sie das nicht kann? „Ganz klar: Dann wird sie gehen müssen“, sagt der Hausherr ungerührt. So ist das also mit der neuen Familie.

Die Blicke der beiden fallen auf Seneq Pierre-Martelly. Aber der wird ihnen diesmal nicht helfen. Care wird 2014 nicht mehr zahlen. Die Familien müssen sich Arbeit suchen und Geld verdienen. „Wir haben nicht die Leute, um die Menschen zu pushen, so schrecklich das ist“, sagt Care-Programm-Mangagerin Vera Kreuwels. Es gebe wegen der Langzeithilfe in Haiti längst eine „Kultur der Abhängigkeit“. Viele  Menschen sind nicht gewöhnt, für ihr eigenes Leben zu sorgen. „Die Gesellschaft zu ändern, dauert mehrere Generationen“, prophezeit  Vera Kreuwels.

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