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Chinas Kopisten: Stadt der Fälscher

Meisterwerke für alle: 8000 Künstler malen im südchinesischen Dafen im Akkord Ölbilder nach – und beherrschen damit den Weltmarkt

Wer behauptet, die Mona Lisa sei unverkäuflich, der lügt. In Dafen kostet sie 80 Dollar, wobei der Preis je nach Verhandlungsgeschick noch gedrückt werden kann. Grobe Faustregel: Nimmst du 100 Stück, bekommst du die Hälfte Rabatt.

In den Gassen zwischen Busha Road und Shenhui Highway reiht sich ein Geschäft ans nächste, auf Plastiktischen stapeln sich die alten Meister: Picasso, da Vinci, van Gogh und Klimt, hier ein Renoir, dort ein Monet. An manchen Tagen liegt Farbgeruch in der Luft, der kommt aus den oberen Stockwerken. Dort werden die Klassiker gemalt.

Vor 20 Jahren stand hier ein Dorf, heute arbeiten in Dafen, einem Stadtteil der südlichen Metropole Shenzhen, geschätzte 8000 Maler. Sie haben sich darauf spezialisiert, berühmte Kunst möglichst originalgetreu zu kopieren: Fünf Millionen Gemälde verlassen jedes Jahr den Ort, die meisten werden in die USA, nach Westeuropa oder Russland exportiert. Das kleine Dafen deckt 60 Prozent des weltweiten Bedarfs an kopierten Ölbildern.

Michael Wolf hat auf einer Party im nahe gelegenen Hongkong von diesem Ort erfahren. Dort lebt der deutsche Fotograf seit 17 Jahren. Ein Mann erzählte ihm, er verdiene sein Geld mit der massenhaften Verschiffung kopierter Kunst. Wolf war baff und ist hingefahren.

Die meisten Nachahmungen werden später Wände von Hotels und Restaurants dekorieren, in Filialen amerikanischer Supermarktketten kann man sie als Privatkunde kaufen. Vor Ort in Dafen bestellen Touristen Einzelexemplare, die Kopisten besitzen Sammelbände mit Arbeiten namhafter Künstler. Einfach durchblättern, auf das gewünschte Bild tippen, die Größe der Leinwand auswählen. Es gibt erfahrene Maler, die als Vorlage nicht mehr als eine zerknickte Postkarte benötigen.

Das Geschäft ist großteils legal, weil offiziell bloß Werke kopiert werden, die älter als 50 Jahre sind. Damit besteht kein Urheberschutz mehr. Die Nachahmungen zeitgenössischer Kunst, die ebenfalls angeboten werden, existieren für die Behörden nicht. Auch die Regierung in Peking ist stolz auf Dafens Erfolgsgeschichte, sie hat den Ort zur „kulturindustriellen Modell- Basis“ erklärt. Neben Malern haben sich Rahmenbauer und Transportfirmen angesiedelt, ein Kaufhaus für kopierte Kunst hat eröffnet. Es heißt „Dafen Louvre“. Am östlichen Rand steht eine vier Meter hohe Steinstatue: eine Hand, die gen Himmel zeigt, mit Pinsel zwischen den Fingern.

Van Goghs „15 Sonnenblumen“ ist unter Kopisten besonders beliebt, weil zur Fertigstellung nur 400 Pinselstriche nötig sind. Die klaren Konturen ermöglichen außerdem Arbeitsteilung: Einer ist bloß für die Blüten zuständig, den Rest malen Kollegen: einer die Platte, einer die Vase und ein weiterer die gelbe Wand. So schaffen sie 20 van Goghs pro Tag. In Dafen kann ein Maler monatlich 500 Dollar verdienen, als Absolvent einer renommierten Hochschule mit zweijähriger Ausbildung etwas mehr.

Michael Wolf wollte den anonymen Künstlern ein Gesicht geben. Er hat sie in ihrem Viertel an Plätze geführt, die er für geeignete Kulissen hielt, und sie dort mit ihren Werken in Szene gesetzt. Die Maler waren stolz, sagt Michael Wolf. Und noch stolzer, als sie erfuhren, dass die Fotos in einem Bildband veröffentlicht werden sollen. Hinterher hat der Deutsche ihnen die Gemälde abgekauft. Die waren alle bezahlbar.

„Real Fake Art“ ist bei Peperoni Books erschienen und kostet 40 Euro. Einige Bilder sind bis Donnerstag bei 25 books, Brunnenstr. 152, zu sehen (werktags 10-19 Uhr).

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