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Koeln_Stadtarchiv

© dpa

Stadtarchiv-Einsturz: Das Kölner Beben

Historische Papiere im Wert von 400 Millionen Euro sind unter Schutt begraben. Und immer noch werden vor allem zwei Menschen vermisst. Etwas anderes allerdings wird allmählich offenbar: der Grund des Unglücks.

Am Karthäuserhof wird weitergearbeitet. Die Mittagspause ist beendet, die Männer mit den neongelben Schutzwesten über den schwarzen Overalls klettern wieder hinab in die Tiefe und werkeln weiter an dem, was künftig eine U-Bahn-Station im „Vringsveedel“, Ecke Severinstraße, werden soll. Der Bautrupp wirkt ein wenig bizarr, wenn man gerade aus dem etwa 300 Meter entfernten Gebiet kommt, an dem vorgestern noch das Gebäude des Historischen Stadtarchivs von Köln gestanden hat und heute nur noch ein Trümmerhaufen liegt, ein riesiger Trümmerhaufen.

Aber es muss ja weitergehen, vorerst, denn: „Der Bau sichert die verkehrstechnische Zukunft der Rheinmetropole und liefert zugleich faszinierende Einblicke in die Vergangenheit der Stadt“, so steht es zumindest am Bauzaun.

Der faszinierende Einblick ist jetzt erst einmal verschüttet. Und es ist auch am Tag nach dem Einsturz des 1971 erbauten Hauses und dem Zusammenbruch zweier Nachbarhäuser noch immer ungewiss, ob nicht nur Papier mit einem Versicherungswert von 400 Millionen Euro, sondern auch Menschen in den Steinen begraben wurden.

Weiträumig hat die Polizei das Gebiet abgeriegelt, nur vom Waidmarkt aus kann die versammelte Presse einen kleinen Einblick auf den Schuttberg nehmen. Der reicht aber, um zu ermessen, dass hier am Dienstagmittag eine gewaltige Katastrophe geschehen ist, als das Gebäude sich vornüberbeugte, in sich zusammenfiel, seine Bruchstücke dabei einen Krater rissen und sich in den darunterliegenden U-Bahnschacht ergossen.

Nicht auszudenken, wenn das Haus gut eine Woche vorher seine Standfestigkeit verloren hätte: Am 23. Februar stand an der Stelle, an der jetzt die Trümmer liegen, eine Tribüne, auf der hunderte närrische Kölner den Rosenmontagsumzug feierten.

Nun aber steht Gerd Buch vom Deutschen Roten Kreuz vor der Absperrung am Waidmarkt und erzählt, sichtlich um Sachlichkeit ringend, dass am Dienstagabend drei seiner Hunde aus der 17-köpfigen Staffel unabhängig voneinander an derselben Stelle angeschlagen hätten. „Die Tiere sind auf lebende Menschen trainiert“, sagt Buch, theoretisch sei wohl denkbar, dass sie die Witterung der Helfer aufgenommen hätten, „aber drei Hunde, unabhängig voneinander, an derselben Stelle …“, die Schlussfolgerung lässt er offen, „aber ich habe jetzt 16 Jahre Erfahrung als Hundeführer.“ Man ahnt, was ihn diese Erfahrung lehrt.

Am Mittwochnachmittag war die Zahl der vermissten Personen auf zwei gesunken, zwei Männer, die in einem der Nachbarhäuser wohnten, in zwei Dachgeschosswohnungen, „vielleicht melden sie sich ja“, sagt Buch, „und berichten, dass sie einen schönen Urlaub in Anatolien hatten.“

Das sind zwei Menschen, und etwas vage ist immer noch die Aussage, auf die sich die Feuerwehr stützen muss. Stephan Raphael, der Sprecher, sagt, dass ihm die Mitarbeiter des Archivs versichert hätten, dass das Haus rechtzeitig geräumt worden sei und dass „theoretisch keiner mehr von den herabfallenden Trümmern erschlagen worden ist“. Es ist dies Hoffnung versprühende Theorie.

Immer noch wird nach der Ursache des Einsturzes gesucht. Der Zusammenhang mit dem nahe gelegenen U-Bahn-Bau gilt als immer wahrscheinlicher. „In der benachbarten Baugrube für die U-Bahn-Erweiterung ist eine Öffnung entstanden“, sagt der Sprecher der Kölner Feuerwehr. „Und in diese Öffnung ist Erde nachgerutscht.“ Dadurch sei dem Historischem Archiv – binnen Minuten – der Boden entzogen worden und das Gebäude sei nach vorne in die Grube gekippt.

Am Morgen nach der Katastrophe an der Severinstraße kommt auch Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma, ein stämmiger Christdemokrat, zu diesem gigantischen Trümmerberg. Schramma war im Urlaub, hat es nicht eher hierher geschafft. Er hat das U-Bahn-Bauprojekt verteidigt, obwohl er es in den letzten Monaten leid geworden sein muss, Ärger hatte es gegeben wegen der Bauarbeiten, auch die Kosten waren gestiegen, von ursprünglich behaupteten 550 Millionen Euro auf beinahe eine Milliarde. So sehr leid, dass er nicht mehr über die U-Bahn reden wollte. Anfragen der Presse nach Gesprächsterminen ließ er ablehnen. An diesem Morgen nun sagt er etwas. Er sagt, dass er einen Weiterbau der U-Bahn „fast für unverantwortlich“ halte.

Später am Tag wird Schramma noch deutlicher: Er will einen sofortigen Baustopp. Sämtliche Bohr- und Erdarbeiten sollen so lange eingestellt werden, bis genaue Erkenntnisse über die Ursachen des Einsturzes vorliegen.

Doch bevor gründlich danach gesucht wird, bevor auch die Suche nach Menschen fortgesetzt werden kann und der Trümmerberg weggeräumt, muss erst die Grube zubetoniert werden, Unmengen von Beton müssen da rein, 1000 Tonnen bis zum Mittwochabend, denn das Grundwasser drückt die Grube nach oben, schwankender Grund, jederzeit kann der Schutt nachrutschen. Und der Beton muss sich dann erst noch verfestigen. Das kann Tage dauern. Kann es danach noch ein Überleben geben, wird der Hundeführer gefragt. „Es hat immer mal wieder Wunder gegeben“, sagt er. Es soll wieder nach Hoffnung klingen.

Zwischen der Unglücksstelle und der künftigen U-Bahn-Station Karthäuserhof steht in der Severinstraße die Kirche St. Johann Baptist. Sie steht jetzt wieder gerade da, 2004 hatte sich die Kirchturmspitze um 77 Zentimeter zur Seite geneigt, Folge des U-Bahn-Baus. Die Begradigung hatte eine Million Euro gekostet, aber die Skepsis der Anwohner hat sie nicht gemindert.

Die Severinstraße ist eine schmale Straße, sehr lebhaft, voller Geschäfte, und unter ihr haben sich die U-Bahn-Bauer durchgegraben. Es hat immer wieder Klagen gegeben, Zweifel, Proteste. Wegen des Geldes, das der Bau verschlang. Ein Bau, dessen Notwendigkeit nicht jedem Kölner einleuchtet.

Die vier Kilometer lange Strecke soll die Innenstadt mit den Villen der gehobenen Viertel Marienburg und Bayenthal verbinden, deren Bewohner eher selten öffentliche Verkehrsmittel nutzen.

Dass dafür die Severinstraße seit 2005 weitgehend lahmgelegt wurde, hat die Anwohner und Ladenbesitzer zusätzlich aufgebracht. Umsatzeinbrüche und Pleiten waren die Folgen. Dann kamen die Risse. Kleine Spalten in Hauswänden, in Kellern, an Tür- und Fensterrahmen. Claudia Prausse, Betreiberin eines Antiquariats am Chlodwigplatz am Ende der Severinstraße, fand die Risse im Mauerwerk des Türrahmens und im Keller. Für solche Fälle hatten die Verkehrsbetriebe eigens einen Betroffenenbeauftragten abgestellt. Und der bestellte die Ingenieurgesellschaft Zorn, die dann in einem aufwendigen Gutachten keinen Zusammenhang zu den Baumaßnahmen feststellte. „So ist es allen hier ergangen“, sagt Frau Prausse, „es sind immer nur abwiegelnde Sprüche gekommen.“

So ist es ja auch beim Archiv gewesen, zuletzt im Dezember 2008. Risse, Absenkungen, eine Meldung an den Vermieter und dann ein Gutachten des Inhalts, dass die Standfestigkeit des Gebäudes nicht beeinträchtigt sei.

Möglicherweise stimmt das, möglicherweise sind all diese Risse im Archivgebäude keine Ankündigungen des plötzlichen Erdrutsches vom Dienstag gewesen. Das ist jedenfalls das, was Experten heute sagen.

Die Anwohner hier zweifeln daran. Zu viel ist passiert in den vergangenen Jahren, zu viel hat sich angedeutet, als dass sie glauben könnten, der U-Bahn-Bau sei stets ungefährlich gewesen. St. Johann Baptist, die Risse in den Wohnhausmauern. Risse in den Wänden von St. Maria im Kapitol – der größten romanischen Kirche der Stadt. Ein abgesunkener Boden im Turmkeller des Rathauses, dort, wo Trauungen stattfanden. Der Raum wurde vorsichtshalber gesperrt.

Oberbürgermeister Fritz Schramma also denkt jetzt an einen Baustopp. Unverantwortlich, hat er gesagt, unverantwortlich, eine U-Bahn unter einem dicht bewohnten Gebiet zu graben. Das war es aber doch eigentlich immer. Am Mittwoch bleibt dem Heer von Helfern auf der Severinstraße nur die Hoffnung, dass zu der Unverantwortlichkeit nicht auch noch die Ungeheuerlichkeit hinzukommt, dass der U-Bahn-Bau Menschenleben gekostet hat. 

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