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Wie auf der Psychocouch. Stefan Moses.

© Stephanie Pilick/dpa

Zum Tod des Fotografen Stefan Moses: Das Handwerk des Sehens

Stefan Moses war ein Jahrhundertfotograf. Mit Witz und Geduld fing er die Bundesrepublik in Bildern ein, ihre Schrecken, Wunder und Geistesgrößen. Ein Nachruf.

Sie sehen aus, als würden sie sich gleich in die Hose machen, die sächsischen Köchinnen der Nachwendezeit. So wie Jahrzehnte zuvor die Straßenbahnschaffnerinnen aus Köln und Ingeborg Bachmann in Bayreuth. Ja, bei ihm durften die Menschen, was die meisten Portraitfotografen hassen: lachen. Es wird ihnen nicht schwergefallen sein. Stefan Moses wusste sein Gegenüber zu kitzeln, mit seiner kindlichen Liebenswürdigkeit, seinen verschmitzten Augen, seiner Neugier auch.

Und seiner Geduld. Er arbeitete nicht in Sekunden, sondern Stunden, manchmal Jahren, wenn er etwa die Familie Enzensberger immer wieder besuchte. Nicht der eine entscheidende Augenblick hat ihn interessiert, sondern die vielen flüchtigen, die er zu Serien machte: Die Deutschen. Die großen Alten. Manuel, sein kleiner Sohn, dem er eins seiner ersten Bücher widmete. Intellektuelle vor C&A-Spiegel. Bevor er Schriftstellern oder Philosophen mit der Kamera begegnete, las er deren Bücher, er sah sich die Theaterstücke der Schauspieler an, besuchte die Ausstellungen der Künstler. Auch für die Sitzungen nahm er sich viel Zeit. Denn Menschenfotografie war für ihn „eine besondere Art Analyse: Man sitzt mit dem anderen auf der Psychocouch und beide knabbern aneinander. Da ist man doch auf wohlwollende Bereitschaft angewiesen.“

Er wollte Menschen bewahren, bevor sie verloren gehen

Er war ein Jahrhundertfotograf. Einer der ganz Großen unter den Portraitisten, der das deutsche Jahrhundert einfing, das 20., mit all seinen Irrtümern und Schrecken und Wundern und Geistesgrößen.

Schon früh wandte er sich den Emigranten zu. Denn das war es, was er generell als seine Aufgabe ansah: „Menschen bewahren, bevor sie verloren gehen.“ Wer Rose Ausländer mit ihren ausgebreiteten Armen auf ihrem Bett im Altersheim oder die kleine alte Käthe Kruse mit ihrer Puppe im Arm auf einem Baumstumpf sitzend gesehen hat, wird sie nie mehr vergessen. Viele seiner Schwarz-Weiß-Bilder, immer wieder abgedruckt, haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Das Ehepaar Reich-Ranicki beispielsweise, amüsiert auf der Bahnhofsbank.

Als Chronist wird er gern bezeichnet. Was für ein nüchterner Begriff. Stefan Moses war Poet, ein Menschenfänger. Seine Kamera war sein Schmetterlingsnetz, mit großer Leichtigkeit hat er, der durch die Welt lieber radelte als lief, sie geschwungen. Nur er selbst wollte sich nicht einfangen lassen. Es gibt nur ganz wenige Porträts von ihm, die meisten hat er selbst gemacht, hat sich versteckt.

Das Spielerische, seine Leichtigkeit wurzelt in der Schwere. 1928 im schlesischen Liegnitz geboren, wurde Moses als „jüdischer Mischling 1. Grades“ aus dem Gymnasium geworfen. Bei einer Kinderfotografin lernte er das Handwerk, das Sehen und vor allem den Umgang mit Menschen, egal wie klein oder groß. Und Menschen, allein, zu zweit oder in kleiner Gruppe, waren ihm immer das Wichtigste. Abgesehen von Katzen natürlich. Als Theaterfotograf in Weimar machte er weiter, bevor er sich, mittlerweile im Westen, wo er in München eine Heimat gefunden hatte, den Akteuren des „Kaschperltheaters“, das die Welt für ihn oft war, zuwandte – und den Vorhang lupfte.

Er verschenkte Fotos, als wären es Bonbons

Die Deutschen, die er portraitierte, stellte er auch gern auf eine Art Vorhang, eine breite graue Filzbahn. Rollmopspackerinnen und Saaldiener in den 60er Jahren. Dann fiel die Mauer, und Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums, schickte seinen Freund los, die Bewohner dieses Landes kurz vor dem Verschwinden festzuhalten. Eine geniale Idee. An der Ausstellung störte Moses allein die Größe der Abzüge, Fahnen gleich. Monumentalität war ihm so zuwider wie Aufsehen um seine Person.

Lieber verkroch er sich, um sich neue Geschenke auszudenken. Stefan Moses war einer, der mit vollen Händen gab. Er verschenkte Fotos, als wären es Bonbons, Musik, Blechspielzeug – Freude, Lob und Überschwang. E-Mails verweigerte er sich wie der ganzen, ihm verhassten digitalen Welt, er korrespondierte lieber. Per Postkarte und Fax, mit Schreibmaschine (mechanisch) und der eigenen Hand. Er malte und klebte, Collagen mit Oblaten.

Am Sonnabend ist er in seinem Schwabinger Haus gestorben, einem verwunschenen Ort mit großem Garten, in dem die Kapuziner explodierten, wie er einmal schrieb, und wo der Melancholiker sich schon lange mit dem Alter und dem Tod beschäftigte: „Man zerbröselt ja.“ Lebens-müde, so hat er sich gern gegeben, und trotzdem weitergemacht. Erst im vergangenen Jahr erschien ein neuer Band von ihm: Peggy Guggenheim in Farbe.

Sein Wunsch war es gewesen, aufrecht zu sterben, wie ein Baum. „Und gleich darauf zur Buche werden! Im Himmel, ach, und auch auf Erden, begießt mich bitte liebe Erben.“

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