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Die Cocktails des „P1“ sind bunt und im Stil der 60er Jahre illustriert.

© Schmankerl Time Maschine

Historische Speisekarten: Zeitreise durchs kulinarische München

Kriegskost, Kuheuter, Herz am Rost. Das Projekt "Schmankerl Time Machine" zeigt historische Speisekarten.

Die Abendspeisekarte des Münchner Schelling-Salons zieren ein Jüngling, der die Panflöte spielt, und eine hübsche Frau, die einen Korb voller Weintrauben auf dem Kopf trägt. Jugendstil-Motive. Als Speisen werden Herz am Rost und abgebräuntes Züngerl angeboten.

Vor mehr als hundert Jahren, im Kriegsjahr 1916, war diese Karte gültig, der Schelling-Salon hat bis heute überlebt. Die Gaststätte im Univiertel ist heute dafür bekannt, dass man dort Billard spielen kann.

Vom Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz, den es ebenfalls noch gibt, ist auch eine alte Speisekarte im Internet zu sehen. Im Jahr 1959 bestand das Tagesmenü in diesem Restaurant aus Lauchsuppe, Hühnermägenragout mit Salzkartoffeln und einem Dessert. Der annehmbare Preis: „DM 2.-“.

In einem gerade online gestellten Internetprojekt kann man sich jetzt auf eine Zeitreise durch die Geschichte der Münchner Gastronomie begeben: Speisekarten von 1855 bis in die 1980er Jahre sind dort anzuschauen, die Standorte der entsprechenden Restaurants werden auf einem Stadtplan eingeblendet. Historische Wirtshäuser, Bars und Schankhallen gehen digital – der Titel des Projekts lautet „Schmankerl Time Machine“.

Das Blättern am Computer ist amüsant und spannend, nicht nur für Münchner. Schließlich geben die Karten auch einen zeitgeschichtlichen Eindruck. Außerdem sind viele der Lokalitäten weit über Bayern hinaus bekannt als Institutionen, die auch von Preußen und anderen Ausländern gern besucht werden.

Ein Fall für die Wissenschaft

Der Bayerische Hof etwa, erste Münchner Luxushotel-Adresse, gab sich Ende der 1950er mondän und servierte zum Beispiel „Mixed grill à l’americaine“ für 5,50 D-Mark. Im Armbrustschützenzelt auf dem Oktoberfest wurde 1972 die Portion Schweinshaxe für sechs D-Mark serviert – und zwar aus dem Holzkohlenofen. Das wäre heutzutage allein aus Brandschutzgründen undenkbar.

Das Hofbräuhaus am Platzl gab es schon im Jahr 1905, da hieß es noch „Königliches Hofbräuhaus“. Verzehren konnte man dort unter anderem Hirn sauer oder gebraten für 40 und 50 Pfennige.

Hinter der „Schmankerl Time Machine“ steht ein fächerübergreifendes Forscherteam von der Ludwig-Maximilians-Universität und der Monacensia – das ist das Münchner Literaturarchiv –, die das Thema für bedeutsam halten: „Das interessiert viele Menschen in irgendeiner Form“, sagt Historiker Julian Schulz.

„Wo gab es früher welche Gasthäuser? Warum sind viele weg? Wie war es mit vegetarischer Küche?“ Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität ist Schulz zuständig für „digitale Geisteswissenschaften“. An dem Speisekarten-Projekt sind auch Informatiker, Statistiker und Kunstgeschichtler beteiligt.

Manch eine Überraschung entdeckt man in dem Material: Beim „Weißen Bräuhaus“ hinter dem Marienplatz im Tal etwa stand 1988 das legendäre Kuheuter auf der Karte, gebacken mit Remoulade und Kartoffeln, 9,90 D-Mark. Durch die vielen Jahrzehnte hindurch ziehen sich aber auch ewige Bestseller wie russische Eier, Tatar oder Königinpastetchen.

Auf der Karte des edlen Künstlerhauses am Lenbachplatz von 1912, dem Jahr, in dem die Titanic sank, ist eine Putte abgebildet, die mit einem Stock in einem rauchenden Kessel rührt. Zum Essen wurde der sicherlich höheren Schicht Kaviar auf Toast und Krebssuppe angeboten. 1968 war das Lokal schließlich ein Vorreiter mit „italienischem Eis“!

Speisekarten aus dem Krieg

Die Karten sagen auch einiges über die düsteren Zeiten deutscher Geschichte aus. Der „Kriegsspeisenkarte“ des Fraunhofer-Gartens von 1918 ist zu entnehmen, dass es vieles nur gegen die aus der Not eingeführten „Fleischmarken“ gab. Etwa Schweinsknöcherl oder Zwiebelfleisch.

Forscher Julian Schulz hat es besonders die Karte des berühmten Clubs „P1“ am Haus der Kunst angetan, wo der Promi-Faktor sehr hoch ist. Auf der Getränkekarte von 1960 findet sich die Karikatur eines fleißigen Barmixers, das P1 wird als „Das fidele Atelier“ angepriesen, auf der Karte in Form einer Malerpalette stehen Cocktails sowie „inländische“ und „ausländische“ Spirituosen.

Ein großes Geheimnis enthüllt die Sammlung nicht: von wem sie stammt. Die Geschichte ist unglaublich, aber wahr: „Wir wissen es nicht“, sagt Sylvia Schütz von der Monacensia. Der Karton mit den Karten wurde im Archiv in einer Ecke entdeckt. Kein Absender, keine Angaben, welcher Mitarbeiter ihn wann entgegengenommen hat. Auf jeden Fall war es ein Sammler, dem es Münchner Speisekarten aus mehr als 100 Jahren angetan haben. Im Internet sind sie hier zu finden.

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