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Reportage: Die Firma der Mutter der Frau des Königs in spe

Am 29. April ist in England königliche Hochzeit. Bemerkenswert dabei: Die Frau, die den Prinzen bekommt, entstammt einer Party-Dynastie! Ein Besuch in der Heimat der Middletons.

Anderthalb Stunden südwestlich von London, wo die Landstraßen immer schmaler werden und die Anwesen größer, wo Englands Hügel sich gefällig wellen, spritzt Schlamm an den Unterboden. Plötzlich ruckelt der Wagen. Ein Fasan ist unter die Räder gekommen.

Kate Middleton ist weit weg. Sie tauft heute in Wales zusammen mit ihrem Prinzen ein aufblasbares Rettungsboot, weshalb in ihrem Heimatdorf Bucklebury, in den Hügeln von Berkshire, die Polizei nur lässig ihre Runden fährt.

Man muss hier ein paar Tage verbringen, um zu verstehen, was es heißt, in dieser Gegend und dieser Gesellschaft aufzuwachsen. Kate Middletons außergewöhnliches Talent für Hochsprung fiel schon in der Schule auf, nach ihrer Hochzeit am 29. April mit dem Prinzen William von Wales wird sie irgendwann einmal als Königin das höchste Amt des Landes besetzen. Nach Hause kommen hieß für Kate Middleton lange einbiegen in diese zweireihig eichengesäumte Avenue, mit maximal 30 Meilen die Stunde vorbei an dem Schild mit dem springenden Hirschen: Achtung, Wildwechsel. Doch die begehrteste Jagdtrophäe von ganz Bucklebury war in den letzten neun Jahren sie selbst.

Eine Party für’s Volk soll die Hochzeit zwischen ihr und Prinz William auch werden, das haben sie als Erstes verkündet und den Termin zu einem nationalen Feiertag erklärt. Das freut vor allem die Eltern der Braut, deren Versandhandel „Party Pieces“ Kindergeburtstage, Hochzeiten und andere Feiern mit Papptellern, Wimpeln, Flaggen und Fahnen ausstattet. Eine gute Party? „Das ist eine,“ sagt John Haley, „bei der ich dabei bin.“ Mit der königlichen Hochzeit kann also kaum noch etwas schiefgehen. Denn Haley ist eingeladen, wenn auch nur am Morgen in die Westminster Abbey. Er führt das „Old Boot Inn“, den angesagtesten Pub der Gegend. Schon 1997 hat Andrew Lloyd Webber hier in einer Zeitungskritik die Küche gelobt. Haley ist hibbelig, 55, direkt, schnell, gutes Karma, und immer auf der Suche nach dem nächsten Witz. Er ist seit langem mit den Middletons befreundet. Erst kam Carole Middleton öfter mit ihrer Tochter her. Dann kam die Tochter öfter mit ihrem königlichen Freund. Seitdem kommen immer wieder Journalisten auf ein Bier.

Mittags erklären alte Ehepaare ihren Enkeln in aller Ruhe, was eine Hypothek ist. Die Gespräche mäandern von den Skiferien in Aspen zum täglichen Ausführen der Hunde. Wenn man den Pub verlässt, riecht man den Rest des Tages würzig nach dem Holzfeuer im Kamin. Am Abend ist John Haley noch unruhiger geworden, als er es sowieso schon ist. Er hat keine Ahnung, was er dem Paar schenken soll. „Was würden Sie denn schenken?“ Haley parkt seinen Körper kurz auf einem Barhocker, seine Knie schnappen auf und zu. Seine Freundin Pamela versucht, Bilder für die neue Webseite zu machen.

Ihr Blitz friert also ein: Das flackernde Feuer in dem Kamin, vor dem Kate und William sich gelegentlich wärmten. Klick. Ihr Freund John mit einem Glas in der Hand. Klick. Ein paar frühe Stammgäste mit John vor der Tür zum Herrenklo. Klick. Und jetzt noch Brian, los, lächeln, die Prinz-William-look-alike-Tresenkraft verlegen grinsend hinter den Zapfhähnen. Klick.

John Haley verschwindet kurz, um seine Blutdruck-Pillen zu nehmen. Dann klappt er einen Laptop auf. Er hat sich überlegt, Interviews nur noch gegen Geld zu geben, auch wenn er heute für den Tagesspiegel eine Ausnahme macht. Aber weil ABC News 500 Pfund für die lokale Charity bezahlte, hat Haley ihnen erzählt, dass er noch nicht weiß, was er zur Hochzeit anziehen soll. Der aufgekratzte Haley ruft seine Stammgäste zusammen, Landgestalten, die Solvenz ausstrahlen, die Hände in die Taschen ihrer Cordhosen gerammt. Das Understatement gehört zur Inszenierung des lässigen Geldes, nach deren Regeln die Cordhosen verschossen sein müssen, die Schuhe ausgelatscht und die Autos auf dem Parkplatz draußen schlammbespritzt. Sie alle müssen jetzt das Interview auf Haleys Laptop ansehen. Ha, was für eine Show! Wie sie den John von nebenan immer gegen die anderen berühmten Gäste geschnitten haben!

Da kann Kate doch nichts gegen haben, oder? fragt er nachher besorgt in die Stille. Nein, man ist sich einig. Da kam sie gut bei weg. Er hat eigentlich nichts gesagt. Und es gab 500 Pfund für einen guten Zweck.

Geld ist in dieser Gegend nicht das Problem, aber immer ein Thema.

In Kates Welt hat alles ein Preisschild. Die englische Boulevardpresse ruft ständig die Zahlen auf: 780 000 Pfund für ein Apartment für Kate in Chelsea, Familienurlaub in der Karibik in einem Haus für 20 000 Pfund die Woche, in Schottland für 5 000 Pfund die Woche, die College-Gebühren für die Kinder irgendwo zwischen 13 000 und 19 000 Pfund, und dann ist da die Backstein-Villa, die Kates Eltern vor 16 Jahren für 300 000 Pfund gekauft haben sollen, und die jetzt weit über eine Million wert sein soll. Das alles wird mit einem Partyversand verdient?

Die Boulevardjournalisten beißen sich an der Gesellschaftsform des Unternehmens „Party Pieces“ die Zähne aus, an dieser Konstruktion, die es den Middletons erlaubt, keine Bilanz veröffentlichen zu müssen. Haben sie also geerbt, haben sich alle gefragt und auf die Millionäre in der Ahnenreihe von Kates Vater Michael verwiesen. Oder ist der Handel mit den über 200 000 Kundenadressen so lukrativ? Wieso kommen bei den paar Angestellten und den Pfennigartikeln so viele Millionen herum? Kleinlich rechnen die Beobachter die Lebenshaltungskosten der Middletons aus, als gönnten sie Kates Mutter Carole Middleton, – einer ehemaligen Stewardess! – ihren wirtschaftlichen Erfolg nicht. Die Hochzeit, wurde gespottet, sei ihre erste Feier, für die die Middletons nicht selbst die Luftballons liefern. Der Humor der Nachbarn ätzt.

Hier haben alle mehr, als sie sollen. Die Weiden sind mit brusthohen Gattern gesichert. Die Vögel singen, die Zäune sind in exzellenter Verfassung. Zu den Häusern führen lange Auffahrten. Es macht einen Unterschied, ob diese eine Teer- oder eine Kiesauffahrt ist. Die Häuser liegen oft so weit an deren Ende, dass ihre Bewohner die Türen getrost offen stehen lassen. Das Knirschen der Kiesauffahrten ersetzt die Klingel. Es spielt eine Rolle, wie alt das Geld der Familien ist. Das Leben, sagen sie, spielt sich hier hinter den Hecken ab. Man lädt sich ein. Runde Spiegel hängen in den Ausfahrten zur Straße, damit die Leute auch sicher wieder in die Welt hinaus finden.

Sie jagen dann durch die schmalen, oft einspurigen Landwege mit den hohen Hecken rechts und links wie Jack Nicholson durch das Labyrinth in „Shining“. Sie preschen mit ihren Landrovern um uneinsehbare Kurven, dass die Vögel aus den Hecken auffliegen. Nur an ausgewählten Kreuzungen stehen Schilder. Denn die Einwohner wissen ja, wo es langgeht. Die es nicht wissen, haben hier eigentlich nichts zu suchen.

Die Middletons brauchen nur sieben Minuten Autofahrt bis zum „Old Boot Inn“. Er liegt praktischerweise auf dem Weg zu „Party Pieces“, ihrem Papp-Imperium. Täglich, hört man über Kates Mutter, fährt sie diesen Weg hinauf zur Child’s Court Farm.

Für Besucher ist es in etwa so, als würde man sein Buch selbst bei Amazon abholen. Es ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen, dass jemand der detaillierten Wegbeschreibung Richtung Yattendon folgt, um die Pakete ohne Versandgebühren abzuholen. Meist sind es Leute aus der Nachbarschaft, sie können dann scharf links abbiegen in den unausgeschilderten Weg, einen Hügel hinauf, links liegt dann eine Tannenschonung und oben am Hang erscheint ein Hof. Moos liegt auf den Dachschindeln, alte Ställe ducken sich in durchfeuchtetes Gras. Das Holz ist grün gestrichen, als wollte man selbst den Schuppen noch eine Tarnfarbe verpassen.

Der hintere Teil des Hofes wird noch als Bauernhof betrieben. Ein Trecker rattert. Nur etwa 20 Autos verraten, dass hier irgendwo auch deren Fahrer unterwegs sein müssen. Ein Pfeil, ein Schild: „Customer Collection“, eine Tür, ein kleiner Tresen. Hinter Jalousien, im ehemaligen Kuhstall, wird nur noch eine einzige Kuh gehalten: Die Cash Cow der Middletons. „Party Pieces.“

Ein gedrungener Mitarbeiter auf Socken steht von seinem Platz auf und dreht sich zur Tür. „Sie sind zufällig in der Gegend?“ Er schiebt das Paket herüber mit der Berliner Adresse darauf. Nur seine Augen lachen. Im Raum sitzen vielleicht 15 Menschen an Computern. Nackte Holzbalken stützen das Dach, Internetleitungen empfangen Bestellungen aus der ganzen Welt. Ein Laden würde sich nicht lohnen hier draußen, sagt der Mitarbeiter. Nur zehn bis 20 Leute in der Woche holen ihre Pakete selbst ab. Meist Mütter aus der Gegend, die die Geburtstage ihrer Kinder ausstaffieren.

Wenn einem ein Engländer dann höflich eine gute Reise wünscht, weiß man, dass es Zeit ist, zu gehen.

In den Zeitungen wurde Kate vorgeworfen, dass sie nie einen richtigen Job gehabt habe. Dass ihr Leben eine einzige Party sei. Dabei war Party ihr Geschäft, und das ihrer Familie. Sie hat zuletzt offiziell für die Firma ihrer Familie gearbeitet, genau wie Kates Mutter Carole das tut, ihre kleine Schwester Pippa und der kleine Bruder James, der eine angeschlossene Firma für Kuchen-Backmischungen gegründet hat.

Und das ist der Familienstruktur der Royals ja erstaunlich ähnlich. Die nennen sich selber auch nur markig „The Firm“. Alle Familienmitglieder arbeiten für diese Firma. Bei den Royals sind das die Queen und Prinz Charles und die beiden Prinzen William und Harry.

Beide Firmen liefern Unterhaltung für’s Volk. Nur mit verschiedenen Mitteln: Die königliche Familie sorgt für zeitlose Bilder von Schlössern, perfekten Hüten, nationalen Traditionen, stilvollen Feiern und tragischen Familienschicksalen, sie sorgt für Bilder von Kronjuwelen, Zucht und Zepter. „Party Pieces“ liefert dagegen das Pendant in Pappe. Die Krone: 40 Pence. Das Papp-Schloss: 15,99 Pfund, die Kutsche als Essenstablett: 75 Pence. Ringe für die Schatzsuche: 24 Stück für 2,99 Pfund. Merkwürdigerweise gibt es in dem Paket von 24 Plastikringen einen, der genau wie Lady Dianas Verlobungsring aussieht. Den echten trägt seit einer Weile Kate.

Offenbar funktionieren beide Geschäftsmodelle nach zuwiderlaufenden Prinzipien. Während die Queen, Vorsitzende der „Firma“, für Interviews nicht zur Verfügung steht, ihre Existenz so zeitlos ist, dass sie sich zu den Belangen des Alltags nicht äußern muss, garantieren „Party Pieces“, dass E-Mails in den normalen Geschäftszeiten innerhalb von zwei Stunden beantwortet werden.

Das Königshaus sucht nach Haltung. Die Middletons bloß nach einer Marktlücke. Die Faszination der Royals funktioniert über die Distanz, „Party Pieces“ liefern ihre Pfennigartikel direkt nach Hause. Dann kann jedes Mädchen einmal Prinzessin sein. Am Tag nach der Party sind die Sachen Altpapier.

Das hält der Adel für vulgär. Prinz William lebt schließlich in einer Welt, in der die wichtigen Privilegien gar nichts kosten. Die Tatsache, dass sie keinen Preis haben, macht sie nicht wertlos, sondern im Gegenteil unbezahlbar. Es gibt nur ein Original. William ist mehr als ein Pappkamerad.

Ihre Welten überschnitten sich, als Kate Middleton an der schottischen Universität St. Andrews 2002 an einer Wohltätigkeits-Modenschau teilnahm und in einer Art durchsichtiger Gardine über schwarzer Unterwäsche den Catwalk entlanglief. Damals hing an Kate selbst ein Preisschild. Es ist überliefert, dass William für seinen Sitzplatz in der ersten Reihe 200 Pfund bezahlte, weshalb er einen exzellenten Ganzkörpereindruck von seiner Zukünftigen gewinnen konnte, sich umdrehte und seinem Freund zuflüsterte: „Wow. She is hot.“

Kate wird am 29. April ein für alle Mal ihre Papp-Kopien gegen die Originale tauschen: Ring. Schloss. Kutsche. Krone.

Nichts ist ja gewöhnlicher als der englische Mädchentraum, eine Prinzessin sein zu wollen. Andererseits verstehen die Engländer auch den Prinzen, der sich nach einem normalen Leben sehnt. William hat nur widerwillig gelten lassen, dass er ein Prinz ist. Er will beim Militär nicht anders behandelt werden als die anderen. Er wollte an seiner schottischen Uni, bitte, bitte, ein normaler Student sein. Wie William von seinen Besuchen im Supermarkt Tesco’s schwärmen konnte! Da war der Mann schon bald 30.

Unterdessen wird auf der Webseite von Kates elterlicher Firma beinahe täglich das Sortiment erweitert. Neue Bilder werden hochgeladen. Inhalte eingestellt. Von außen sieht es manchmal aus, als wollten die Middletons die Royals ein bisschen piesacken. Letzteren war wichtig, dass die Middletons aus der Hochzeit kein Geschäft machen. Als Kate im Dezember in einem Blog erzählte, wie sehr sich jedes Mädchen wünsche, eine Prinzessin zu sein, und dass alle Prinzessinnen am liebsten Partys feiern, da wurde sie von den Royals zurückgepfiffen. Der Eintrag verschwand.

Nach den Gesetzen der Facebook-Generation schrecken die Middletons nicht davor zurück, ihre Person in den Dienst des Geschäftes zu stellen: Da ist ein Foto von Kates Bruder James im Indianerkostüm, daneben schwärmt er von seinen eigenen Kindergeburtstagen. Die Middletons zelebrieren im Netz das charmante Familienunternehmen. Sie personalisieren ihr Geschäft. Auf der Webseite geben User ihrer Überzeugung Ausdruck, dass Kate eine umwerfende Frau ist, und dass auch Stewardessen einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das Geschäft profitiert von der Liebe, empörten sich die Königstreuen. Aber warum eigentlich nicht?

Normalerweise kauft das Volk bei königlichen Hochzeiten eigens hergestellte Motivtassen mit maskenhaften Porträts, hergestellt in China. Aber warum sollte die eingefahrene Memorabilien-Industrie irgendwie besser sein als „Party Pieces“ aus der Grafschaft Berkshire? Bei dieser Hochzeit liegt die Sache anders: Die Eltern der Braut verkaufen ja selbst. Passenderweise Party-Zubehör. Wimpel, Flaggen, Pappteller. Ganz zufällig natürlich haben sie jüngst das neue Thema „The British Street Party“ in ihr Programm aufgenommen: Die Servietten und Union-Jack-Wimpel waren sofort ausverkauft. Offenbar sind diese Produkte die wahren Souvenirs: Jeder kann etwas haben von den Middletons. Es kommt quasi direkt von der Braut.

Nur im „Bladebone Inn“ verkehren die Middletons nicht, obwohl der Pub in Bucklebury noch näher an ihrem Haus liegt als das „Old Boot Inn“. Er bietet den Einwohnern eine weitere Gelegenheit, vor einem Kaminfeuer und an einen Tresen gelehnt lang gehegte Meinungen zu ventilieren. Etwa diese kurze: „OTT.“ Over the top. Schwer übertrieben.

Oder diese längere: „Die Queen muss sich doch fragen, wen heiratet ihr Enkel, diesen Niemand aus ...“ – es kommt jetzt heraus wie ein wieder hervorgewürgtes Stück Brot: „... Bucklebury“. Der Sprecher schnauft im Gedanken an Niemande von Nirgendwo.

Niemand jedenfalls hat Simon Kelly, Punk-Fan und Wirt eingeladen. Und das, obwohl der Fleischer, der Postbote, und sogar der Besitzer des Gemüseladens mit seiner „wirklich schrecklichen Frau“ eingeladen sind. Es ist ganz klar: Hier trinkt das andere Lager. Hier überwiegen die Kritiker.

„Also für mich – ich habe zwei Töchter – ist das Bemerkenswerteste, dass Kate es geschafft hat, acht Jahre nicht zu arbeiten“, sagt er. „Wenn man mich fragt, ist das, was sie in den letzten Jahren nach ihrem Studium gemacht hat, Stalking.“

Wieder an der frischen Luft sieht man gegenüber vom Pub „L Interiors“ liegen. Weil hier auf dem Lande Stil so wichtig ist, ist Linda Tillotson so wichtig. Sie ist aus dem schicken Londoner Bezirk Notting Hill ihrer betuchten Kundschaft hinterher auf’s Land gezogen und hat hier vielen Häusern ihren Up-to-date-Country-Stil verpasst. Ihre Kunden suchen Luxus mit lokalem Bezug.

Denn der sei gefragt hier in Berkshire. „Barkshire“ sagt sie, so, als würde hier ständig jemand bellen. Und so ist es ja auch. „Die Leute kommen aus London hierher, kaufen sich ein paar Hühner und einen schwarzen Labrador und spielen Landleben.“ Das war die letzten Jahrzehnte schon schick, aber jetzt passt es auch noch in die Öko-Welle. Es gebe kaum noch Häuser unter einer Million Pfund.

Der Bedarf der Leute nach Inneneinrichtung, Vorhangstoffen, Polsterung, Wohlfühl-Nippes ist immens. Jetzt leben sie schon auf dem Land, da wollen sie auch die passenden Kissen dazu. Nichts gegen einen Volvo voller verschlammter Gummistiefel, aber zu Hause brauchen die Leute das Beste. Die Häuser waren ja ein Grund, hierher zu ziehen.

Tillotson zieht hinter einem Spiegel ihren letzten Coup hervor: Ein weißes, glitzerndes Hirschgeweih. Ihre neueste Eingebung: Das Geweih aus dem lokalen Tierpark hat sie bleichen lassen. Dann ließ sie die Spitzen mit Swarovski-Kristallen besetzen. „Stellen Sie sich das mal auf einem Kaminsims vor!“

Extrem frech fand sie es, als die „Vanity Fair“ aus den Staaten bei ihr anrief, sie, die Einrichterin, die ja alle diese famosen Häuser von innen gesehen hat. Sie wollten wissen, wie Caroles Abendgesellschaften so sind, als wäre nicht Diskretion ihre Geschäftsgrundlage. Natürlich hat sie nicht gesagt, dass sie mit ihr zu tun hat.

Sie überlegt zur Zeit, wie viel Geschäft sie vor der Hochzeit noch mit Dekoartikeln machen kann. Wie viele Wimpel soll sie ordern? Wie groß ist der Bedarf? Tillotson kann nicht abschätzen, ob jetzt nur die 2000 Leute aus Bucklebury kommen, um den Tag mit einem Fest auf der Straße zu begehen, oder etwa 10 000, die die Massen in London umgehen wollen. Alles scheint möglich. Und brauchen sie eventuell Polizeischutz?

Die Betreiber des örtlichen Tierparks, des „Bucklebury Farm Park“ hatten ein Fest geplant, bei dem nur Leute mit einem Wohnsitz in Bucklebury Einlass bekommen sollten. Aber das fanden die anderen elitär. Lieber sähen sie ein Fest auf der gemeinsamen Wiese, wo auch das Sommerfest im August stattfindet. Es soll da zum Beispiel ein Entenrennen geben. „Carole will das auch,“ sagt Tillotson. Carole Middleton hätte gerne, dass da ein Fest für alle stattfindet.

Carole! Diese ehemalige Stewardess, die „toilet“ statt „lavatory“ sagt und in der Öffentlichkeit Kaugummi kaut! Sie habe ihre Möbel gekauft, war eine der snobistischen Bemerkungen über die Familie. Wo man seine Möbel doch erbt!

Aber Carole wird, wenn Kate irgendwann Königin wird, die neue Queen Mum sein. Sie wird Teil der Familie sein. Teil der „Firm“. Teil der Nation. Da können alle noch so lange betonen, dass ihre Vorfahren im Bergwerk gearbeitet haben.

Die Windsors interessieren sich für Herkunft. Die Middletons für die Zukunft. Nur deshalb sind sie ja in wenigen Generationen aus dem Bergwerk aufgestiegen.

„Man muss sich immer vor Augen halten,“ sagt Tillotson, „es sind jetzt nur noch diese acht Wochen.“ Ein kleines Fenster. Das Theater wird dann wieder aufhören. Die Niemande von Nirgendwo in Bucklebury können sich dann wieder ihrem nichtigen Leben widmen.

Was aber macht das Leben im ländlichen Bucklebury aus, wenn die Aufmerksamkeit erlischt?

In der stillsten Stille im dunkelsten Dunkel der englischen Landschaft, in den Hügeln von Berkshire an der Kirche St. Mary rollt der Wagen knirschend an den Straßenrand. Glasklar stehen die Sterne am Himmel. Nicht einmal das Rauschen der M4 ist zu hören, die in anderthalb Stunden nach London führt. Bis um kurz vor acht an diesem wie an jedem Donnerstagabend ein Wagen hält, der Motor wird abgestellt, die Lichter gehen aus. Ein älteres Ehepaar arbeitet sich über den Friedhof mit den windschiefen Grabsteinen in Richtung Kirchturm vor. Es windet sich hinauf in den Turm. Es gehört zu den „Bucklebury Bell Ringers“, zuständig für das Läuten der acht Glocken, die älteste von 1610. Jeden Donnerstag ist ihr Übungsabend.

Würde John Durham nicht die Glocken läuten, er würde den neuen nationalen Feiertag, die freien Tage im April, für einen kleinen Kurzurlaub außer Landes nutzen. So aber hat er in den historischen Registern nachgeschlagen und eine Läute-Variation erfunden, die noch keiner je geläutet hat. Und ihr einen Namen gegeben, den noch keiner je verwendet hat: „The Chapel Row Delight Major“.

Drei Stunden lang werden sie am Hochzeitstag dieses Stück läuten. Acht Mann, jeder am Seil einer Glocke, den Schwung und den Gegenschwung steuernd. Konzentriert. Nacheinander. Auf Kommandos in einer Reihenfolge. Der Klang wird über die Hügel wandern. Nur Chris Maslen, der seit 13 Jahren hier am Tau zieht, kann nicht mit an seinem Strang ziehen, denn der ist in der Westminster Abbey zur Hochzeit eingeladen.

„Die Glocke macht die Arbeit“, sagt Durham. Wer die Technik des Glockenläutens beherrscht, kann in allen Gemeinden vorsprechen und beim Läuten assistieren. Viele in Bucklebury haben es irgendwann einmal versucht, aber dann wieder sein gelassen, erzählen sie. Was daran liegt, dass es viele Monate braucht, diese Kunst zu lernen. Es braucht Regelmäßigkeit. Disziplin. Zeit.

Glockenläuten vererbt sich gewissermaßen in den Familien, wie Geld oder Bildung, Regierungszepter oder Kronen. Rosamunds Bruder jedenfalls läutet die Glocken in Westminster Abbey.

Glocken, erklärt Durham, während er die Seile herablässt, kann man nicht im Ton und nicht in der Lautstärke variieren. Man kann nur ihre Geschwindigkeit verändern. Man muss sie anschwingen, die Glocke, und dann den Vor- und Rückschwung dirigieren.

John Durham ruft die Kommandos. Und da sausen die Taue vom Gewicht der schwingenden Glocke gezogen in ihr Loch in der Decke, man muss sie aufhalten und gleichmäßig herunterholen. Bucklebury hat jetzt einen Klang. So wird es sein, am 29. April, drei Stunden lang. Die Taue werden in ihr Loch in der Decke rasen, sich um das Schwungrad der Glocke winden, wieder heruntergezogen werden. Drei Stunden lang werden die Bucklebury Bell Ringers konzentriert geradeaus gucken. Und dann werden sie nach getaner Arbeit eine hölzerne Gedenk-Plakette in Auftrag geben mit den Namen der Läutenden, der gespielten Tonfolge und dem einmaligen Anlass: Die königliche Hochzeit.

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