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Gedenken an die Opfer von Duisburg: Platz für die Trauer

Sie waren gerüstet für einen Ansturm der Anteilnehmenden, der ausblieb. Ohnehin berühren am Samstag in Duisburg die kleinen Gesten, die alten Rituale am meisten. Die Feier für die Toten der Loveparade ist die Stunde der Kirchen und der richtigen Worte.

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Geht das? Kann man die Opfer einer Massenveranstaltung auf einer Massenveranstaltung betrauern?

Geplant waren die Trauerfeierlichkeiten für die 21 Toten der Duisburger Loveparade am Samstag als Event. Hundertschaften der Polizei waren in die Stadt eingerückt. Der Zugang zum Unglücksort wurde aus Sicherheitsgründen gesperrt. Der Gottesdienst in der Salvatorkirche wurde als Public Viewing im Stadion des MSV Duisburg und in zwölf Kirchen der Stadt übertragen. Erwartet wurden mehrere zehntausend Menschen. Die Polizeiführung sprach gar von hunderttausend, die avisiert waren.

Und dann ging das Leben in Duisburgs Innenstadt irgendwie einen ganz normalen samstäglichen Gang, und ins Fußballstadion, in dem Platz für 31 500 Besucher ist, kamen doch nur 2600 Menschen, um gemeinsam den ökumenischen Gedenkgottesdienst anzugucken. Und am Nachmittag trafen sich vielleicht noch einmal so viele Menschen zum Trauermarsch, der vom Hauptbahnhof zum Unglückstunnel führt. Schweigend zogen sie durch die Stadt. Ließen am Tunnel Luftballons steigen. Gingen noch mal hinein in den schwarzen Schlund, was die Polizei zuließ, dann löste sich auch diese Gruppe der Traurigen wieder auf.

Gleichgültigkeit sollte man aber nicht daraus lesen, in großer Zahl hatten die Menschen in der vergangenen Woche im Kondolenzbuch am Unglücksort Abschied genommen, es war in der ganzen Stadt eine Depression spürbar gewesen. Und möglicherweise hat Duisburg an diesem Samstag einmal genug von Gedränge.

Die Organisatoren der Kirchen, die Mitarbeiter der Düsseldorfer Staatskanzlei und auch die Duisburger Stadtverwaltung werden erleichtert sein. Noch am Donnerstag hatten Bürger vor dem Rathaus ihrer Wut Luft gemacht. „Wir haben die Schnauze voll“, skandierten sie. Manche haben im Vorfeld der Trauerfeier befürchtet, Wut und Trauer könnten sich erneut mischen und auf herbe Duisburger Weise zum Ausdruck gebracht werden.

Doch nichts dergleichen geschah. Die Angehörigen der Toten trafen sich am Vormittag ungestört in einem Kloster in der Nähe der Salvatorkirche am Burgplatz. Dort wurden sie vom Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, und vom Essener Bischof Franz-Josef Overbeck empfangen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff kamen hinzu, eine sehr persönliche und anrührende Rede soll laut einem Mitarbeiter der Kirche der Präsident bei seinem zweiten öffentlichen Auftritt gehalten haben. Nicht alle betroffenen Familien sind gekommen. Zwei Familien aus Gelsenkirchen haben am Samstag ihre Angehörigen beerdigt, andere lehnten die Einladung ab.

Um kurz vor elf führen Mitarbeiter der Stadt und Notfallseelsorger die Trauernden in die Kirche, in der Schweigen herrscht. Nur das ausklingende Läuten der Glocken begleitet das leise Rascheln der eintretenden Trauernden. Manche halten sich an den Händen. Viele haben den Blick gesenkt. Unwirklich laut klingt das Zuschlagen der Kirchentür.

Auf der anderen Seite des Mittelgangs sitzen mit starrer Miene Christian Wulff und seine Frau, Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Hannelore Kraft in der ersten Reihe, weiter hinten die Vertreter der Parteien. Die Kanzlerin schließt die Augen.

Die Bilder der Katastrophe waren überall in der vergangenen Woche. Wer wollte und wer es ertragen mochte, konnte sich hunderte Youtube-Videos anschauen. Doch eine Art Trauerhysterie blieb aus. Todes- und Abschiedszeremonien öffentlich zu feiern, ist spätestens seit dem Selbstmord des Fußballtorwarts Robert Enke in Deutschland eine Möglichkeit geworden. Dazu gehören Liveübertragungen im Fernsehen und Public Viewing, beides kann ein Gefühl von Gemeinsamkeit stiften.

Auch das Stadion, „wo sonst die Menschen spannende Fußballspiele verfolgen“, wie es Stadtdechant Bernhard Lücking in seiner Begrüßung ausdrückte, ist auf diese Weise gerüstet. Mehrere hundert Polizisten regeln den Publikumsverkehr, mehrere hundert Sanitäter stehen bereit und der Bierstand unterhalb der „Königs Pils Fankurve“ steht auch bereit. Bier wird allerdings nicht ausgeschenkt. Dafür liegt ein riesiges schwarzes Kreuz im Mittelkreis. Und für den Fall, dass doch mehr Menschen kommen würden, als ins Stadion passen, haben die Organisatoren auch noch zwei Leinwände aus der Zeit der Fußball-WM aufgebaut.

Doch es sind an diesem Tag die alten Rituale, die am meisten berühren. Es ist die Stunde der Kirchen, die der überforderten Stadt schon seit Tagen die Betreuung der Traumatisierten abgenommen haben. Notfallseelsorger waren es, die anstelle der Staatskanzlei persönlich die engsten Verwandten zur Trauerfeier einluden, Pressemitarbeiter der evangelischen Kirche, die den Presserummel um den Gottesdienst mit großer Professionalität in geregelte Bahnen lenkten. Und es sind die Repräsentanten der Kirche, die etwas zu sagen haben, die die Unsicherheit mit großer Sicherheit in Worte fassen können. „Wir möchten das Leben gern sicher steuern und haben es doch nicht im Griff“, sagt Bischof Franz-Josef Overbeck in seiner Predigt. „Trotz unserer Hoffnungen sind wir dem Schicksal oft hilflos ausgeliefert.“

Nach den Predigten zünden Notfallseelsorger, Sanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute für jedes der Opfer eine Kerze an. Das ist nicht pompös, das sind eher kleine Gesten. Doch sie sind nicht weniger eindrucksvoll. Quälend lange dauert es, bis 21 Kerzen auf dem Altar flackern. Und diese Langsamkeit ergreift auch die Menschen in den blauen Bankreihen im Stadion.

Die Atmosphäre hier draußen ist wesentlich ruhiger und berührender als es die Planung angenommen hatte. Wie benommen haben die Menschen den Predigten zugehört, jetzt erheben sich viele, als auch im Mittelkreis auf dem Kreuz 21 Kerzen angezündet werden. Viele weinen, die Seelsorger, die auch hier in großer Zahl vertreten sind, haben viel zu trösten. Harry, er sagt „Harry reicht“, ist 33, kommt aus Münster, ist ein Hüne mit Tattoos auf den mächtigen Armen und Piratentuch auf dem Kopf. Harry ist ein bisschen enttäuscht, dass so wenige Menschen ins Stadion gekommen sind. „Ich war auch auf dem Festgelände, hinter mir sterben die Menschen, ich tanze, das muss ich erst mal auf die Kette bringen.“ Harry bricht ab, es schüttelt den kräftigen Körper, die Lippen zittern, Harry weint. Neben ihm steht Detlef Stube aus Mönchengladbach. 50 ist er, trägt Glatze und einen langen schwarzen Ledermantel, auch er optisch eher ein Typ, den das Leben nicht schrecken kann. Stube hat ein kleines Plakat dabei, auf dem er seine Trauer niedergeschrieben hat. Er rollt es aus, er rollt es ein, immer wieder, aus, ein, „ich bin hier, um das zu verarbeiten, ich war mittendrin, mittendrin, hautnah, ich muss das verarbeiten, aber ich kann nicht.“ Er starrt auf den Rasen, wo jetzt auch die letzte Kerze leuchtet.

Hätte Hannelore Kraft etwas in der Hand, würden sich ihre Hände vermutlich auch darum krampfen. Aber sie steht ohne Halt vor der Trauergemeinde in der Salvatorkirche. Nach dem eigentlichen Gottesdienst hält die Ministerpräsidentin, deren Sohn auf dem Festival war, eine kurze Rede. Anfangs schafft sie es noch, diese patente Art in ihre Stimme zu legen, die ihr sonst eigen ist. „Viele Fragen, noch zu wenige Antworten“, stellt die Ministerpräsidentin fest. Und später: „Diese Fragen müssen und werden eine Antwort finden!“ Doch es ist keine politische Rede. „Ich fühle selbst, wie schwer es ist, sich nach einer solchen Woche wieder dem Leben zuzuwenden“, sagt Kraft und das ist offenbar mehr als demonstrative Empathie. Ihre Stimme bricht. In den vergangenen Tagen habe die Ministerpräsidentin viele Angehörige persönlich angerufen, es habe stundenlange Gespräche gegeben, sagt der Regierungssprecher später, fast entschuldigend.

Darf man davon sprechen, dass die Ministerpräsidentin auch im Stadion gewonnen hat? Oder davon, dass ihre Rede auch hier ankommt? Viele starre Gesichter lösen sich auf, die Tränen fließen. Auch bei Petra Weber, 47, Duisburgerin. Sie ist mit Freunden da, sie halten sich gegenseitig. „Es ist so furchtbar“, sagt sie, „so furchtbar, ich habe im vergangenen Jahr meine Tochter verloren, ich weiß wie der Tod schmeckt.“ Dann helfen die Freunde wieder. Die Feier ist zu Ende.

Duisburger Stadtdechant Lücking verabschiedet die kleine Gemeinde im Stadion, „lassen Sie uns zurückkehren in unsere Häuser, in unser Leben“, sagt er. Das dürfte nicht so leicht zu erfüllen sein. Auch wenn die Feierlichkeiten in Duisburg von sehr normaler Angemessenheit waren und damit ein würdevoller Abschied gefunden wurde.

In der nächsten Woche, das haben einige Lokalpolitiker angekündigt, ist es dann vorbei mit der Pietät. In dieser Woche hatten sich viele Beteiligte Stillschweigen auferlegt, aus Respekt vor den Angehörigen. Manche meinten das sicher ernst. Für andere war es eine wohlfeile Ausrede. Ab Montag dann, dass ist zu befürchten, wird das Hauen und Stechen eröffnet. Als Petra Weber das Stadion verlässt, stehen ihr immer noch die Tränen in den Augen. „Es ist keine schöne Zeit in Deutschland, ich bin doch nur zur Loveparade hingegangen, weil dort so viel Lebensfreude ist.“ Ein älterer Mann tritt hinzu und fängt an, auf Lehrer und Politiker als Schuldige zu schimpfen. Petra Weber schneidet ihm das Wort ab. „Morgen ist der Tag für Wut. Heute ist der Tag für Trauer.“

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