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Auf einen Käse mit Frau Antje. Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beim Kostproben auf der Grünen Woche.

© dpa

Start der Grünen Woche in Berlin: Beim Essen und Trinken ist kein Platz für Romantik

Kochbücher sind Beststeller, Kochshows Quotenhits. Die Menschen kochen und essen gern. Und das ist auch gut so, meint unsere Autorin: Denn je mehr Hobbyköche das Land hat, desto besser wird unser Essen.

Jeder tut es – mehrmals am Tag, manchmal auch in der Nacht. Man macht es zusammen oder allein, zu Hause oder unterwegs. Seit diesem Freitag kann man es wieder in ganz großer Gesellschaft erleben, auf der Grünen Woche in Berlin. Die Rede ist vom Essen.

Nichts ist den Menschen näher. Wer nicht isst, stirbt. Wer zu wenig isst, wird krank. Wer zu viel in sich hineinstopft auch. Essen ist aber weit mehr als nur Nahrungsaufnahme. Beim Essen werden Freundschaften geknüpft, Familiengeschichten ausgetauscht, manche Beziehung beginnt beim Essen, manche endet dort. Essen ist Geselligkeit und Hobby. Kochshows im Fernsehen garantieren hohe Einschaltquoten, Kochbücher sind Topseller, Köche wie Jamie Oliver Stars.

Wer 80 Millionen Menschen ernähren will, schafft das nicht mit Berghöfen à la Heidi

Doch wenn man über den Tellerrand hinausschaut, bleibt nicht viel von der heilen Essenswelt. Statt auf der grünen Wiese stehen die meisten Kühe im Stall, hochgezüchtete Milchmaschinen, die über 7000 Liter Milch im Jahr geben. Geflügelzüchter sperren Hühnchen zu Zehntausenden in den Stall. Die Gülle der Masttiere landet oft auf den Feldern und verseucht das Grundwasser.

668 000 Menschen arbeiten in der Landwirtschaft, weitere 550 000 in Lebensmittelfirmen. Wer 80 Millionen Menschen ernähren will, schafft das nicht mit Berghöfen à la Heidi und Lebensmittelmanufakturen, in denen der Altmeister die Rezepturen noch mit Hand anrührt. Für Romantik ist beim Essen und Trinken kein Platz. Es geht darum, die Kosten niedrig zu halten und die Gewinne hoch. Um jeden Preis? Das Ansehen der Bauern und der Lebensmittelmultis ist auf jeden Fall so angeschlagen, dass beide nun mit Imagekampagnen gegensteuern. Die Lebensmittelwirtschaft will den Verbrauchern jetzt besser erklären, wie unser Essen hergestellt wird, die Bauern inszenieren sich als Tierfreunde. Zum Kuscheltier wird das Schwein dadurch aber nicht. Spielzeug oder Massagebürsten in den Ställen lohnen sich nur dann, wenn man das Fleisch deshalb später teurer verkaufen kann.

Dennoch sind Tierschutzlabel eine gute Sache. Genauso wie die stärkere Überwachung von Antibiotika-Einsätzen in den Ställen. Und auch Brüssel macht Druck. Sechs Milliarden Euro bekommen die deutschen Bauern in diesem Jahr von der EU. Allerdings nicht mehr nur für die Pflege von Feld und Vieh. Ein Teil des Geldes ist an die Bedingung geknüpft, dass sich die Bauern mehr als früher um die Natur kümmern, Hecken und Uferpflanzen stehen lassen, in denen Wildtiere leben können. EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hatte sich noch mehr gewünscht, ist aber an den Agrarministern der Länder gescheitert.

Beim Essen und Trinken wird die Politik von den Konsumenten getrieben.

Dass sich etwas tut, liegt daher weniger an der Politik, sondern mehr an den Konsumenten. Den 20 000, die auch an diesem Samstag wieder in Berlin auf die Straße gehen werden, um gegen Genfood oder Massentierhaltung zu protestieren. Aber noch viel mehr an denen, die jeden Tag aufs Neue entscheiden, was in ihrem Einkaufskorb landet. Beim Essen und Trinken wird die Politik von den Konsumenten getrieben. Regionale Lebensmittel, Bio-Produkte – neue Gütesiegel und schärfere Richtlinien entstehen deshalb, weil diese Nahrungsmittel boomen.

Viele Köche verderben den Brei, heißt es. Wenn es um die Agrarwende geht, stimmt das nicht. Jeder Mensch, der sich mit Essen beschäftigt, sich an den Herd stellt und kocht, jedes Kind, das in der Schulküche lernt, woher die Zutaten für die Pizza kommen, ist ein Gewinn für die Gesellschaft.

Alle Artikel zur Grünen Woche unter www.tagesspiegel.de/themen/gruene-woche/

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