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Zimmer in einer klassischen Jugendherberge.

© Mike Wolff

Jugendherbergen werden zu schick: Billighotels verlangen ein Ende der staatlichen Privilegien

Der staatlich privilegierte Herbergsverband DJH modernisiert seine Häuser, es entstehen Herbergen für Hipster in Szene-Kiezen. Die Konkurrenz der privaten Billighotels fordert ein Ende der Förderung. Das träfe aber auch das gute alte Schullandheim, das fast jeder von Klassenreisen kennt.

Berlin - Der Lärm der nahen Stadtautobahn ist nicht zu hören, stattdessen Vogelzwitschern und das Schnaufen vorbeilaufender Jogger. Berlins älteste bestehende Jugendherberge liegt im Stadtteil Hermsdorf, inmitten von Einfamilienhäusern, einem Wald und sumpfigen Wiesen. Wolfram Weidemann leitet das Haus seit 1987, da war die Herberge schon mehr als 30 Jahre in Betrieb. Bis heute sind es vor allem Schulklassen, 15- bis 18-Jährige, die von hier aus Berlin und das Umland entdecken. „Die wollen natürlich auch mal zur Warschauer Straße, um Party zu machen - gut, dass wir keine Schließzeiten mehr haben“, sagt Weidemann und lacht.

Wolfram Weidemann leitet seit 1987 die DJH Jugendherberge "Ernst Reuter" in Berlin-Hermsdorf.
Wolfram Weidemann leitet seit 1987 die DJH Jugendherberge "Ernst Reuter" in Berlin-Hermsdorf.

© Mike Wolff

Auch der Speiseplan hat sich während seiner Dienstzeit verändert. Seine Frau, zuständig in der Küche, muss sich immer mehr auf die jungen Gäste einstellen. „Vegetarisch, vegan, laktosefrei, halal für Muslime - machen wir alles“, erzählt Weidemann. Hagebuttentee und Muckefuck war gestern, heute gibt es sechs Teesorten und frischen Bohnenkaffee.

Außerhalb der Küche ist aber noch vieles beim Alten. Die letzte Renovierung ist schon etwas länger her, in den Etagenbädern haben Generationen von Schulklassen geduscht. Die Zimmer sind klein, recht düster und manchmal holzverkleidet. Bohnerwachs liegt nicht in der Luft, aber hin und wieder der Geruch von Jugendlichen, die ein paar Nächte bei geschlossenem Fenster im Sechserzimmer verbracht haben. Trotzdem: Das Haus sei immer gut besucht, sagt Weidemann. 22 Euro ist der günstigste Übernachtungspreis in der Hauptsaison. Als kleinste Jugendherberge der Stadt zählt das Haus 111 Betten, es gibt nur ein Einzelzimmer. „Bei uns übernachten ganz sicher keine Tagungsgäste“, sagt Weidemann.

Tagungsgäste in Jugendherbergen - das ist nur einer der Punkte, die Oliver Winter ärgern. Winter ist Vorstandsvorsitzender der A&O-Hostelkette, das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) ist ihm ein Dorn im Auge. Auf sein Betreiben hin prüft die EU-Kommission seit Kurzem, ob die Bundesregierung im Falle der Jugendherbergen gegen das Beihilferecht verstößt und den Wettbewerb verzerrt. „Mich nervt, dass aus historischen Gründen immer noch in den Markt eingegriffen wird.“

Jugendherbergen kassieren Beihilfen von Bund, Ländern und Kommunen und müssen für unter 27-jährige Gäste keine Umsatzsteuer zahlen. Die Bettensteuer, die zu Jahresbeginn auch in Berlin eingeführt wurde, entfällt ebenfalls. Viele der ehemals altbackenen Herbergen seien längst moderne Hotels, die ihr Geschäft nicht nur mit Schulklassen und Chorgruppen machten, moniert Winter. Steuerbegünstigt und subventioniert seien sie klar im Vorteil, während die Hostelbranche Dumpingpreise bieten muss, um Gäste anzulocken. Zwar sei es richtig, dass viele Jugendherbergen in Lagen anzutreffen sind, die für A&O nicht infrage kommen, doch „die meisten Übernachtungen haben die auch in Großstädten“, sagt Winter. In Berlin etwa seien staatlich geförderte Betten nicht nötig.

Nach Meinung von DJH-Geschäftsführer Bernd Dohn sind die Vorwürfe absurd. Immer noch stehe der pädagogische Ansatz im Fokus, eine „McDonaldisierung“ wie bei privaten Billiganbietern gebe es nicht. Dass viele der bundesweit 513 Häuser hochwertig saniert werden und Herbergen wie die in Berlin-Hermsdorf bald der Vergangenheit angehören, sei eine logische Entwicklung. Lehrer würden mit ihren Klassen eher wiederkommen, wenn das ganze Paket stimme. „Früher wurden wir belächelt, auf einmal sollen wir zu modern sein.“ Nach wie vor sei der Anteil Alleinreisender gedeckelt, Wireless Lan werde nicht angeboten und nur zahlende DJH-Mitglieder kämen in den Jugendherbergen unter. Wenn die öffentliche Förderung entfällt, sei dies nicht nur ein herber Schlag für den DJH, warnt Dohn. „Das hätte eine Signalwirkung für viele andere gemeinnützige Initiativen.“

Mehr als zehn Millionen Übernachtungen registrierte der Verband im vergangenen Jahr. Der Umsatz betrug 300 Millionen Euro. „Die Zuwächse sind bei uns aber nicht so stark wie bei den privaten Anbietern, die vor allem Backpacker ansprechen.“ Nach A&O-Angaben lag der Jahresumsatz 2013 bei knapp 70 Millionen Euro. Fünf Jahre zuvor betrug er noch rund 23 Millionen Euro. Klassenfahrten sind auch für A&O wichtig: Auf sie gehen 50 Prozent der Übernachtungen zurück. Gerade mal zehn Prozent machen Geschäftsleute und Backpacker aus.

Musterzimmer der noch nicht eröffneten Jugendherberge am Ostkreuz zwischen Berlin-Friedrichshain und Lichtenberg. Mit diesem Standdard müssen die Hostels im Szene-Kiez bald konkurrieren.
Musterzimmer der noch nicht eröffneten Jugendherberge am Ostkreuz zwischen Berlin-Friedrichshain und Lichtenberg. Mit diesem Standdard müssen die Hostels im Szene-Kiez bald konkurrieren.

© Promo

Auf die Rucksackreisenden hat es nun aber auch das neueste Berliner DJH- Haus abgesehen. Im Frühjahr 2016 eröffnet die 445-Betten-Herberge nahe des Party-Kiezes am Berliner Ostkreuz – zehn Gehminuten vom Friedrichshainer A&O-Hostel entfernt. Auf der Homepage, wo man bereits jetzt Zimmer buchen kann, gibt es wie für Klassenfahrten und Familienreisen auch einen Unterpunkt für Backpacker. Bilder zeigen, wie es in dem denkmalgeschützten Backsteingebäude bald aussehen soll: Im luftigen Eingangsbereich sitzen die Gäste auf roten Sesseln unter Kronleuchtern, das Bistro verfügt über eine lange Theke.

Ein Musterraum für vier Personen ist bereits fertiggestellt: Das großzügige Zimmer ist in weiß und hellblau gehalten, zu dem Hochbett gesellen sich zwei Einzelbetten. Jeder der Übernachtungsräume bekommt zudem ein eigenes Bad. „Die Senatsverwaltung stellt das Gebäude für 30 Jahre mietfrei zur Verfügung“, kritisiert Oliver Winter. Allerdings: Die Betten müssen immer noch selbst bezogen werden.

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