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Masdar City: Grüne Oase in der Wüste

Masdar City soll ökologische Musterstadt werden. Doch viele Ideen mussten bereits ad acta gelegt werden.

Groß waren die Ankündigungen: alles öko, klimaneutral, eine bessere Welt. Masdar City im arabischen Emirat Abu Dhabi soll zur Modellstadt für nachhaltiges Leben werden. Wirklich greifbar sind bisher gerade sechs Gebäude. Sie bilden den Campus des Masdar Institute of Science and Technology, das zu einem international anerkannten Wissenszentrum für erneuerbare Energien heranwachsen soll. Der kleine Komplex stellt den ersten physischen Beweis dar, dass die Vision von der Ökostadt in der Wüste Form annimmt. Aber weit langsamer als geplant.

Ursprünglich sollte die vom Londoner Architekten Sir Norman Forster entworfene Stadt bis 2016 aus dem Boden gestampft sein. 50 000 Menschen sollten in Masdar City leben und sich ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgen, die Umwelt weder mit Kohlendioxid noch mit Müll belasten. Gebäude und Fußwege ruhten in den Planskizzen auf sieben Meter hohen Betonstelzen, um kühlende Luft zirkulieren zu lassen und auf dem Boden einem eigenen Netz von autonom fahrenden Elektrofahrzeugen, „Pods“ genannt, Platz zu bieten. Benzin verbrennende Motoren wollte man genauso ausschließen wie die Verschwendung anderer Güter. Müll sollte daher durch Vakuumröhren unter der Stadt zu einer zentralen Sammelstelle gesaugt, dort sortiert, wiederverwertet oder in Biogas umgewandelt werden.

Was bisher geschafft wurde, kann in dem Ölstaat, wo Megaprojekte wie das höchste Gebäude der Welt in wenigen Jahren vollendet wurden, nur als Enttäuschung gelten. Die Wirtschaftskrise sowie Probleme in Technik und Management werden nun als Erklärung dafür präsentiert, dass der Planungshorizont in weite Ferne gerückt ist.

Die Fertigstellung bis 2016 haben die Verantwortlichen längst ad acta gelegt, auch das ursprüngliche Investitionsvolumen von 22 Milliarden Dollar ließen die arabischen Stadtplaner auf 19 Milliarden schrumpfen. Der Stimmung unter den ersten gut 100 Studierenden und Professoren, die im Masdar Institute ihre wissenschaftliche Heimat gefunden haben, tut dies jedoch keinen Abbruch. Sie sehen sich als Pioniere von Masdar City und ihren Campus als Keimzelle für eines der ambitioniertesten Klimaprojekte unserer Zeit. „Die Vision als Ganzes bleibt erhalten“, sagt Sultan Al Jaber, Direktor der Planungs- und Investitionsgesellschaft Masdar. Auch wenn der Satz ein wenig trotzig klingt, ist die kleine Privathochschule doch Beweis für die Motivation.

Der Ansatz, mit wenig Energie komfortabel zu leben, lässt sich bereits an architektonischen Details im Campus-Viertel erkennen. 43 Meter hoch erhebt sich zwischen den drei dreistöckigen Wohnblöcken ein hohler Windturm. Permanent leitet er eine kühlende Brise durch die wenige Meter breiten Gassen, deren schattige Enge der Bauweise alter arabischer Städte ähnelt. Gefächerte Aluminiumfassaden schirmen heiße Sonnenstrahlen ab, reflektieren aber dennoch genug Tageslicht in Labore, Hörsaal und Bibliothek. Alle Dächer sind dicht bepackt mit Solarzellen und Sonnenkollektoren. Unter den Betonstelzen rollt computergesteuert ein knappes Dutzend viersitzige Elektro-Pods auf eigenen Straßen.

Die Zukunft beschreibt der neue Masterplan, der vor allem kleinere Schritte vorsieht. Inzwischen glaubt niemand mehr daran, dass Masdar City vor 2025 fertig wird. Genau festlegen will sich sowieso keiner mehr, daher werden starre Vorgaben bewusst vermieden. „Wir wollen kontinuierlich lernen, uns anpassen und unsere Vision für Masdar City weiterentwickeln“, erläutert Masdar-Chef Al Jaber die neue Strategie etwas vage. Nur so könne man sich „an die Entwicklungen von Markt und Technologie anpassen“.

Aber gerade diese Flexibilität forderte nun erste Planungsopfer. Das für die Mobilität in den Stadtgrenzen vorgesehene Netz aus ferngelenkten Pods wird es nicht geben. Ursprünglich sollten die Elektrotransporter den Personenverkehr übernehmen. Mindestens alle 200 Meter sollten dazu Pods an Haltestellen stehen und von einer Zentrale ferngesteuert die Passagiere ohne Zwischenstopp zum Ziel bringen. Bisher existieren aber nur zwei Pod-Stationen, die 800 Meter auseinanderliegen. Dabei wird es auch bleiben.

„Ein komplettes Pod-Netz wäre unerschwinglich teuer“, erklärt Alan Frost, der die Entstehung der Retortenstadt als Baudirektor überwacht. Fahrräder und individuelle Strommobile sollen nun die entstandene Mobilitätslücke füllen. Das Verbot von Verbrennungsmotoren bleibt für das Stadtgebiet allerdings bestehen. „Und es soll eine fußgängerfreundliche Stadt werden“, besinnt sich Frost auf die wohl sparsamste und nachhaltigste aller Fortbewegungen.

Nicht nur das Mobilitätskonzept, auch die Energieversorgung revidierten die Planer. Nach aktuellen Schätzungen wird Masdar City trotz Sonnenkollektoren auf den Dächern und der nahe liegenden Zehn-Megawatt-Fotovoltaikanlage seinen Energiebedarf nicht aus eigenen regenerativen Kraftwerken decken können. Der Rest kommt aus dem Stromnetz.

In der Schublade verschwanden auch die Pläne, Strom aus Erdwärme zu gewinnen. Zu tiefe und teure Bohrungen wären nötig, um heißes Wasser zu erreichen. Geothermische Wärmetauscher, die zur Kühlung von Innenräumen beitragen sollen, stehen aber weiterhin auf dem Wunschzettel. Ebenso solarbetriebene Kühlanlagen. Sie sollen den Stromverbrauch durch Klimaanlagen senken.

Im Campus-Viertel versorgt eine erste Pilotanlage bereits einige Bürocontainer mit kühler Luft. Mit möglichst vielen strategischen Partnerschaften will die Retortenstadt nicht nur die technischen Herausforderungen meistern, sondern auch rote Zahlen vermeiden. „Masdar City ist eine einzigartige Versuchsplattform, aber wir können nicht alles selbst machen“, sagt der stellvertretende Stadtbaudirektor Ahmed Baghoum. Wie viele Petrodollars das Prestigeprojekt gekostet hat, beziffert sein Kollege Dale Rollins, Vorstandsmitglied von Masdar, zumindest grob: „Bisher haben wir einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag investiert.“

Als sicher gilt, dass die internationale Agentur für erneuerbare Energien „Irena“ 2013 aus Abu Dhabi nach Masdar City umziehen wird. Irena, die 148 Mitgliedsstaaten zählt, wird das Wissen über erneuerbare Energien sammeln und ihre Mitglieder beim Aufbau regenerativer Kraftwerke beraten. So stehen die Chancen gut, dass Masdar City nach der Desillusionierung doch noch eine Eigendynamik entwickelt. „Die Stadt braucht eine kritische Masse an Bewohnern und Pendlern“, nennt Ahmed Baghoum als Bedingung für eine lebendige Stadt. Und er ist überzeugt, dass es hier in zwei bis drei Jahren eine grüne Gemeinschaft geben wird. Bis dahin bleiben die wenigen Studenten und Professoren noch unter sich.

Sie werden ihre Energieforschung in den nagelneuen Laboren vorantreiben und dabei sich selbst als Versuchsobjekte einbringen. Dazu gehört, bei Gängen über den Campus zwischen den eigenen Füßen und einer Gratisfahrt in den viersitzigen Pods zu wählen, um die Alltagstauglichkeit der autonomen Strommobile zu testen. Sensoren in Büros und Wohnungen messen schon, ob sie tatsächlich mit halb so viel Strom und Wasser auskommen wie die Bewohner der benachbarten Stadt Abu Dhabi. Ihr Verbrauchsverhalten ist transparent, wird veröffentlicht und im Bedarfsfall sogar angemahnt. „Ich bin der grüne Polizist“, erklärt Martyn Potter, der für den Betrieb von Masdar City verantwortlich ist. So liefert die Stadt auch einen Einblick, wie das Leben unter einem strengen Klimadiktat eingeschränkt werden könnte.

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