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Schmuck. Kirchstraße und Markplatz in Bitterfeld heute. Einst galt die Region als die schmutzigste in ganz Europa.

© picture-alliance/ dpa

Industrieregion: Sonne und Segeln in Bitterfeld

Zwei Jahrzehnte nach der Wende entwickelt sich der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen gut. Die einst schmutzigste Region Europas bemüht sich auch um Touristen. Große Sorgen bereiten aber die Solarfirmen im Solar Valley.

Giftig-gelbliche Luft, rostige, leckende Rohrbrücken, mit Totenkopfschildern umstellte Deponien – das alte Bitterfeld war kurz nach der Wende alles andere als ein Ort der Hoffnung. Wo einst die deutsche Chemie wichtige Wurzeln hatte – unter anderem kamen von hier Erfindungen wie der Agfa-Farbfilm oder das PVC – schien kaum noch etwas wert, gerettet zu werden. Die Kombinate mit weit mehr als 40 000 Industriebeschäftigten waren nicht sanierbar, die verseuchten Grundstücke ließen sich nicht verkaufen. Die Arbeiter zogen weg, zu Tausenden.

Heute wirbt Bitterfeld gleichermaßen um Investoren wie um Touristen. Auf einem der größten künstlichen Binnenseen werden bald schon wieder die ersten Segelboote kreuzen, lange Rad- und Wanderwege durchziehen die Landschaft, der Marktplatz zeigt sanierte Fassaden und einladende Cafés. Die Arbeitslosigkeit liegt unter zehn Prozent, das Durchschnittseinkommen ist das höchste in ganz Sachsen-Anhalt.

„Die Lebensqualität ist zwar nicht der entscheidende Grund für Investoren aus aller Welt hierherzuziehen, aber natürlich wird auch das betrachtet“, sagt Matthias Gabriel. Der Geschäftsführer der P-D Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH war selbst einige Zeit Oberbürgermeister, dann Stadtsekretär und schließlich sogar Wirtschaftsminister in Magdeburg und hat den erfolgreichen Teil des Aufbaus in Bitterfeld von seinem Arbeitszimmer im ehemaligen Verwaltungsbau der IG Farben aus geprägt. „Wir haben einige sehr mutige Entscheidungen im Land durchbekommen“, sagt Gabriel.

Seither trägt die Stadt Bitterfeld-Wolfen alle Altlastenrisiken. 2001 stieg die Preiss-Daimler-Group in Bitterfeld ein, übernahm die 1200 Hektar Chemiepark und begann, gestützt auf Landes- und Bundesmittel, zunächst die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Bis heute flossen 500 Millionen Euro in Straßen, Schienen, Rohrleitungen und die Altlastensanierung, 1,8 Millionen Tonnen Bauschutt mussten entsorgt werden. Erst kürzlich verschwand mit der alten Schwefelsäurefabrik eine der letzten Ruinen.

Die dort gewonnene zehn Hektar große Fläche, insgesamt sind noch rund 170 Hektar zu vermarkten, werde nicht allzu lange frei bleiben, versichert Gabriel. Die Investoren stehen Schlange. „Lanxess hat gerade 30 Millionen in ein Werk für Wasseraufbereitungsanlagen investiert. Ein hier ansässiges japanische Unternehmen wird erweitert, wir sind aber auch mit 30 weiteren Firmen, darunter US-Amerikanern, Chilenen und israelischen Unternehmen schon sehr weit in der Planung.“

Jährlich wurden im Schnitt der letzten Dekade zwischen 100 Millionen und 200 Millionen Euro von Chemiefirmen investiert, insgesamt waren es in den letzten zehn Jahren mehr als 1,5 Milliarden. Die Investoren loben die günstigen, aber gut qualifizierten Arbeitskräfte und einen sonst in Chemieparks selten anzutreffenden Wettbewerb bei Dienstleistungen.

Doch nicht alles in Bitterfeld ist eitel Sonnenschein. Der hohe Konkurrenzdruck aus China und der massive Preisverfall in der Branche bedrohen die Existenz der bei Thalheim konzentrierten Fotovoltaik-Industrie. Drastische Förderkürzungen verschärfen nun die Probleme. Einst galt das Solarvalley mit dem früheren Branchenprimus Q-Cells im Zentrum als Hoffnungsträger in der Region. Doch die Krise der Solarindustrie hat Q-Cells schwer getroffen. Der Vorstand des ums Überleben kämpfenden Unternehmens hat einen mit harten Einschnitten verbundenen Restrukturierungsplan vorgelegt. „Anders ist das Unternehmen nicht überlebensfähig“, sagte Vorstandschef Nedim Cen am Freitag. „Die Insolvenz wäre unausweichlich.“

„Aber wir haben keine Krise in Bitterfeld, ja wir hatten nicht mal im Jahr 2009 eine, die diesen Namen verdient hätte“, meint Gabriel. Diese stabile Entwicklung, wie vielleicht die Erfolgsgeschichte selbst, ist nicht zuletzt mit dem Bayer- Werk verbunden, das hier mit seiner weltweit größten Fabrik für die Produktion von Aspirintabletten und -pulvern einen gewichtigen Namen hat. „Unser Vorstand hat vor exakt 20 Jahren die Investitionsentscheidung getroffen“, berichtet Werksleiter Christian Schleicher. Zunächst entstanden ein Methyl-Cellulosewerk und die Ionentauscheranlage, bald darauf auch ein Werk für Lackharze – und die Aspirinfabrik.

Bayer baute damals auf der grünen Wiese, der alte Chemiepark war zunächst mit seinen Altlasten noch nicht für ein solches Großprojekt geeignet. Das Unternehmen hat sich zwar in den letzten Jahren von seinen Chemiebereichen in Bitterfeld durch Verkäufe und Ausgründungen getrennt, dafür aber die Tablettenproduktion auf fast neun Milliarden Stück hochgefahren.

Forschung und Entwicklung spielen jedoch bei Bayer-Bitterfeld genauso wenig eine Rolle wie bei anderen Unternehmen wie Dow, Akzo-Nobel, Heraeus oder Linde. So ist oft das Schlagwort von der verlängerten Werkbank zu hören. Doch das macht dem Aspirin-Chef keine Kopfschmerzen. „Das finde ich eigentlich nicht so schlimm. Wir sind dennoch innovativ, etwa bei der Prozesstechnologie“, sagt Schleicher.

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