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Weltraumteleskop: Herschel stirbt den Wärmetod

Dem europäischen Infrarotteleskop geht das Kühlmittel aus. Es lieferte einzigartige Bilder aus der Kinderstube von Sternen - ein Rückblick auf die Höhepunkte der fast vierjährigen Mission.

Von Rainer Kayser, dpa

Jeden Tag rechnen die Wissenschaftler und Techniker der europäischen Weltraumagentur Esa damit, dass dem Infrarotteleskop „Herschel“ das Kühlmittel ausgeht. Damit wird das Fernrohr praktisch blind. Denn Infrarotstrahlung ist Wärmestrahlung – ein warmes Infrarotteleskop gleicht daher einem im Bereich des sichtbaren Lichts arbeitenden Fernrohr, das von innen beleuchtet wird.

2300 Liter flüssiges Helium haben bislang die Instrumente von Herschel auf Minus 271 Grad Celsius gekühlt, nur zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt. Da die Kühlung durch die Verdunstung des Heliums erfolgt – ähnlich wie verdunstende Feuchtigkeit unsere Haut abkühlt –, hat sich der Kühlmitteltank langsam geleert. Nun ist das Helium fast vollständig verdunstet, noch im Laufe dieses Monats rechnen die Experten mit dem endgültigen Ausfall der Kühlung.

Mit dem planmäßigen Wärmetod gehen knapp vier Jahre erfolgreicher Forschung zu Ende. Herschel ist mit seinem 3,5 Meter großen Spiegel das bislang größte Infrarotteleskop im Weltall. Infrarotstrahlung ist langwelliger als sichtbares Licht, aber kurzwelliger als Radiostrahlung. Im Gegensatz zu Licht kann Infrarotstrahlung Staubwolken durchdringen. Damit ermöglichte Herschel den Astronomen tiefe Einblicke in die Entstehungsregionen von Sternen und Planeten.

Die Erfolgsgeschichte begann im Mai 2009 mit dem Start an Bord einer Ariane-Rakete. Um der störenden Wärmestrahlung sowohl der Sonne als auch der Erde auszuweichen, wurde Herschel nicht in einer Erdumlaufbahn platziert, sondern 1,5 Millionen Kilometer entfernt auf der sonnenabgewandten Seite unseres Planeten. An diesem sogenannten Lagrange-Punkt heben sich Anziehungs- und Fliehkräfte gerade so auf, dass das Teleskop – bis auf kleinere Korrekturen – antriebslos mit der Erde zusammen um die Sonne kreisen konnte.

Von diesem Platz aus konnten die Astronomen mit Herschel ungestört die Entstehung von Sternen und Planeten beobachten. So stießen sie in einer dunklen Staubwolke im Sternbild Adler auf eine wahre Kinderstube werdender Sterne: Rund 700 Sternenembryos bilden sich dort, etwa hundert davon sind bereits zu „Protosternen“ herangereift, so dass sie in Kürze zu eigenständig leuchtenden Sternen werden dürften. Die von Herschel sichtbar gemachte hohe Aktivität in der Wolke war für die Astronomen eine große Überraschung.

Auf eine Überraschung stießen die Wissenschaftler auch in der Gaswolke „Lynds 1544“ im Sternbild Stier, die sich gerade zu einem neuen sonnenähnlichen Stern zusammenzieht. Das Innere dieser Gaswolke, von Astronomen als „prästellarer Kern“ bezeichnet, enthält ausreichend Wasser, um mehr als drei Millionen irdische Ozeane zu füllen. Lynds 1544 besteht aus so viel Gas, dass daraus ein Stern ähnlich unserer Sonne entstehen kann. Bislang gibt es im Inneren der Wolke zwar noch keinen Hinweis auf einen jungen Stern. Aber die von Herschel gemessene Bewegung des Wasserdampfs zeigt deutlich, dass die Wolke in sich zusammenfällt.

Materiedichte und Temperatur steigen bei diesem Kollaps im prästellaren Kern der Wolke weiter an, bis es zur Zündung der Kernfusion von Wasserstoff zu Helium kommt. Aus den Resten der Wolke können dann in einer rotierenden Gas- und Staubscheibe Planeten entstehen – so, wie es vor 4,5 Milliarden Jahren auch in unserem Sonnensystem war. Die ursprüngliche Wolke bildet dabei ein großes Reservoir an Wasser für diese potenziellen Planeten.

Auch die weitere Entwicklung neu geborener, junger Sterne konnten die Astronomen mit Herschel genauer als je zuvor verfolgen. Beobachtungen des 25 Lichtjahre entfernten, erst einige hundert Millionen Jahre alten Sterns „Fomalhaut“ zeigen beispielsweise, dass er von einem dichten Staubring umgeben ist. Der feine Staub stammt offenbar von Hunderten von Kometen, die dort Tag für Tag kollidieren. Dort wird täglich das Äquivalent von 2000 Kometen mit einem Durchmesser von einem Kilometer zerstört, schätzen die Forscher. Ihren Analysen zufolge ist Fomalhaut von einer Wolke umgeben, in der insgesamt zwischen 260 Milliarden und 83 Billionen Kometen kreisen. Die „Oortsche Wolke“, die unser Sonnensystem einhüllt, enthält eine ähnlich große Zahl von Kometen.

„Insgesamt hat Herschel über 22 000 Stunden wissenschaftliche Beobachtungen gemacht“, fasst Leo Metcalfe, der wissenschaftliche Leiter der Mission , zusammen. „Das sind zehn Prozent mehr als geplant, Herschel hat unsere Erwartungen also bereits übertroffen.“

Nach dem Hitzekollaps soll das Teleskop auf eine separate Umlaufbahn um die Sonne geschickt werden, einen „Friedhofsorbit“. Damit wollen die Techniker vermeiden, dass der Herschel-Schrott anderen Weltraummissionen gefährlich wird.

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