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Medien: „… und Kohl duzte mich auch“

Als Udo Röbel „Bild“-Chef war, hat er mit Gerhard Schröder Rotwein getrunken und sollte sich dafür bei Helmut Kohls „Kettenhund“ rechtfertigen. Heute schreibt er Romane, macht Rock’n’Roll und wundert sich über die Rolle der Astrologie in Politik und Wirtschaft

Gerade ist bei Ullstein Ihr Roman „Schattenbrüder“ erschienen. Worum geht es darin?

Um eine hoffentlich spannende Geschichte, um Einblicke in die Hinterzimmer der Macht und natürlich auch um die Abhängigkeiten zwischen Politik und Medien. Gleichzeitig versuche ich, einen Politiker, der für das Amt des Kanzlers kandidiert, als Menschen darzustellen, indem ich ihn in einen üblen Gewissenskonflikt verstrickt habe. Das war das Reizvolle für mich: Normalerweise sehen wir Politiker immer nur in ihrer Funktion. Der Mensch, der in ihnen steckt, interessiert uns nicht, den bekommen wir meist überhaupt nicht zu sehen.

Ob er eine Geliebte hat, ob er sich die Haare färben lässt, was ihm seine Frau kocht – das ist es doch, was die Boulevardmedien interessiert.

Wirklich interessant ist doch, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist, und wie das seine politischen Entscheidungen beeinflusst. Wenn ein Politiker wie Schröder zum Beispiel aus ärmlichen Verhältnissen kommt, muss es ihn doch in Gewissenskonflikte und Selbstzweifel treiben, wenn er den kleinen Leuten ans Portemonnaie geht. Der Politiker in meinem Buch wird in einen Konflikt gestürzt, bei dem er sich fragen muss, ob er aufgrund seiner Vergangenheit eine Mitschuld an einer Serie von Morden trägt. Dabei bin ich so infam und lasse ihm stets einen Ausweg, so dass er sich an den Glauben klammern kann, das sei Zufall und habe mit ihm nichts zu tun. Einem Politiker die drei Anzüge auszuziehen, die er ständig übereinander trägt, ihn jenseits seiner professionellen Selbstkontrolle zu zeigen, das hat mich bei diesem Roman gereizt.

Als Sie im Januar 1998 „Bild“-Chef wurden, war Schröder Kanzlerkandidat. „Bild“ unterstützte ihn, Sie galten als der Kanzlermacher.

Mag sein, dass ich Gerhard Schröder mit zum Kanzler gemacht habe. Aber ich habe auch immer gesagt: Schröder hat die Wahl nicht gewonnen, sondern Kohl hat sie verloren. Gegen diesen Trend nach 16 Jahren Kohl hätte „Bild“ gar nicht anschreiben können.

Wie ging Schröder mit „Bild“ und Ihnen um?

Ich war als „Bild“-Chef keine zwei Tage im Amt, als ich von Schröder eine Einladung zum Abendessen bekommen habe. Nach zwei Stunden und drei Flaschen Rotwein hatte er mir das Du angeboten und mich zu seiner Hochzeit mit Doris eingeladen.

Und der amtierende Kanzler, Helmut Kohl, dessen Vertrauter Leo Kirch bei Springer zu der Zeit noch Gesellschafter war?

Mir wurde signalisiert, dass es bei Kohl nicht gut sei, auf eine Einladung zu warten. Bei Kohl müsse man sich vorstellen. Also besuchte ich ihn im Februar in Bonn, im Kanzlerbungalow. Es war beklemmend. Er hielt einen zweieinhalbstündigen Monolog. Ich habe das als sehr vereinnahmend empfunden. Aus der Situation hab ich mich dann gerettet, indem ich anfing, mit ihm Pfälzisch zu reden.

Sie kommen beide aus der Pfalz.

Wir haben dann über Gott und die Welt und den Wein geredet. Als es vorbei war, und ich fast schon zur Tür raus war, rief mich Kohl zurück und duzte mich auch: „Isch hab noch was für disch.“

Er duzte Sie auch?

Das ist das pfälzische Du. Er machte den Schrank auf, holte eine kleine weiße Schachtel raus und aus der Schachtel ein schwarzes Lederportemonnaie mit der eingeprägten Unterschrift von Helmut Kohl und einem Bundesadler. Das gab er mir und sagte: „So, des nimmschd jetzt mit, des zeigschd deinem Vorstand, und die solle dir immer schön Bimbes reinmache.“ In meinem letzten Jahr bei „Bild“, als der Begriff Bimbes eine ganz große Rolle spielte, war mir endgültig klar, dass in diesem Scherz mehr steckte als ein gequälter Witz.

1999, beim Parteispendenskandal.

Ja. Da überlegte ich mir, welches grundsätzliche Verhältnis der Kanzler Kohl wohl zu Geld hat und zu Leuten, die er braucht.

Hat Kohl je direkt Einfluss auf die Berichterstattung bei „Bild“ genommen?

Dafür hatte er andere. Zum Beispiel seinen Medienberater und Kettenhund, Andreas Fritzenkötter.

Der in Ihrem Buch die Vorlage gab für die Figur Freiwinkel. So nennen Sie den 2 Meter 05 langen Medienberater des Altkanzlers.

Erkennen Sie darin wirklich Fritzenkötter? – Ich kann das nicht bestätigen. Es gibt noch viele andere Medienberater und Wahlkampfhelfer, die etwas hünenhaft daherkommen.

Auch Ihre Hauptfigur, der Kanzlerkandidat Tiefenthal, hat viele Ähnlichkeiten mit Schröder.

Tiefenthal ist fiktiv. Aber letztlich schreibt man nur über das, was man selbst im Kopf hat. Und in meiner Zeit als Chefredakteur hab ich nur eine begrenzte Anzahl an Kanzlern persönlich erlebt.

Der Medienberater des Altkanzlers lässt in Ihrem Roman den Kanzlerkandidaten beschatten. Wurde Schröder damals auch überwacht?

Das kann ich nicht behaupten. Persönlich habe ich die Erfahrung machen müssen, dass die CDU am nächsten Tag immer wusste, wenn ich mich mit Schröder getroffen hatte. Merkwürdig war das. Zumal die Treffen sehr diskret im Restaurant Roma in Hannover stattfanden.

Woher wusste Fritzenkötter das dann?

Weiß ich nicht. An eine Szene, bei der Verleihung des Deutschen Medienpreises in Baden- Baden, kann ich mich sehr gut erinnern. Da hat mich Fritzenkötter an der Bar angesprochen. Er fragte mich, warum ich mich jetzt schon wieder mit Schröder getroffen habe und warum ich mit ihm per Du sei.

Manche, etwa den Medienanwalt Matthias Prinz, Sandra Maischberger oder den Partyveranstalter Manfred Schmidt, nennen Sie mit richtigem Namen; andere, etwa Kai Diekmann und seine Frau Katja Kessler, erkennt man sehr gut, auch wenn sie im Buch anders heißen.

Ich wollte höchstmögliche Authentizität. Die Story ist fiktiv, die Hauptfiguren sind fiktiv. Aber die Nebenfiguren und die meisten Schauplätze sind, wo immer es auch ging, real. Genauso wie die Tatortakten und Obduktionsberichte, die sich in Sprache und Form exakt an der Wirklichkeit orientieren. Und Kai hab ich die entsprechende Passage, in der der „Bild“- Chefredakteur vorkommt, zu lesen gegeben und ihn gefragt. Er wollte nicht genannt werden, das respektiere ich.

Wollen Sie mit dieser Spielerei Aufmerksamkeit inszenieren, damit sich Ihr Buch verkauft?

Wenn ich einen Ministerpräsidenten und einen Kanzlerkandidaten in einer fiktiven Geschichte habe und diese Story in der Zeit eines einsetzenden Bundestagswahlkampfes in Deutschland spielen lasse, bin ich ja von vornherein gezwungen, mich in gewisser Weise an die Realität zu halten. Mein Anspruch war, die Geschichte so spannend wie möglich zu erzählen. Und zum Thrill gehört Authentizität. Eigentlich kann man sich ja nicht vorstellen, dass ein Kanzlerkandidat in eine Situation kommt wie mein Ministerpräsident Tiefenthal. Doch je authentischer das Umfeld und die Personen drumherum sind, umso wahrscheinlicher erscheint dem Leser die Geschichte.

Zurück zur Realität: Schröders Verhältnis zu „Bild“ hat sich mittlerweile gedreht. Liegt das am Kurs des heutigen „Bild“-Chefredakteurs?

Nein. Ich sehe überhaupt keine Kampagne bei „Bild“, ich sehe aber auch nicht die Pressefreiheit bedroht. Warum Schröder so dünnhäutig ist, kann ich nur vermuten: Es wird das Ergebnis jahrelanger Nackenschläge und zermürbender Regierungspolitik sein. Das notwendige Durchsetzen von Reformen bringt schmerzhafte Einschnitte mit sich. Ein Boulevardblatt muss genau da die Finger reinlegen.

Als Sie Chef der „Bild“ waren, arbeitete der heutige Regierungssprecher Béla Anda noch bei „Bild“. Heute wettert er gegen das Blatt.

Béla Anda war ein junger, aufstrebender Journalist, der unbestritten seine Qualitäten hatte. Aber es ist ein riesengroßer Unterschied, als politischer Journalist zu arbeiten oder als Regierungssprecher. Da sollte man selbst jahrelang Politik gemacht haben, um zu verstehen, wie dort Entscheidungsprozesse ablaufen. Man muss Teil des komplexen Machtapparats sein. Außerdem ist der Druck der Medien extrem hoch. Anda ist damit manchmal überfordert.

In Ihrem Buch werden drogenabhängige Prostituierte von einem Serienmörder geradezu abgeschlachtet. Wir sitzen hier so nett beim Bier – was ging beim Schreiben in Ihrem Hirn vor?

Bei einem Serienmörder ist das Spannende nicht, was er da macht, sondern, warum er das macht. Das hat mich schon immer fasziniert. Weil man da auch sehr schnell erkennen kann, an welch dünnem Faden wir alle über unseren eigenen Abgründen hängen.

Astrologie spielt eine zentrale Rolle in Ihrem Roman. Glauben Sie an Horoskope?

Ich glaube, dass Astrologie – in allen Hochkulturen einmal die Mutter aller Wissenschaften – ein hervorragendes Hilfsmittel ist, psychologische Strukturen zu erklären. Wenn jemand zum Astrologen geht, wird ihm vielleicht dasselbe erklärt wie beim Psychotherapeuten, nur eben in anderen Bildern. Es geht um seine Anlagen, Stärken und Schwächen. Was er aus seinem Schicksal macht, ist ihm überlassen. Außerdem ist Astrologie ein tolles Gesprächsthema: Was bist du für ein Sternzeichen, aha, dann bist du also so und so. Die einen halten es für Mumpitz, die anderen glauben dran. Interessieren tut es alle. Fakt ist, dass die Astrologie auch heute noch wesentlich mehr Einfluss auf Entscheidungen hat, als man sich vorstellt.

Was meinen Sie damit?

Ich weiß von einigen hochkarätigen Managern, die keinen Vertrag unterschreiben, wenn die Sterne nicht günstig stehen. Auch in Medienunternehmen und Redaktionen werden auch heute noch Leute nach ihrem Horoskop eingestellt. Und ich weiß von Politikern, sogar von einem Minister, die sich regelmäßig von Astrologen beraten lassen.

Ihr Roman lebt von derselben Mischung wie „Bild“: Politik, Klatsch, Sex’n’Crime.

Stimmt. Ich schreibe ja auch nicht für eine elitäre literarische Leserschaft, sondern will einen Massengeschmack treffen.

Sehen Sie Ihre Zukunft in der Schriftstellerei?

Udo Röbel – Romane & Rock’n’Roll. So steht es heute auf meiner Visitenkarte und auf meinem Büroschild. Ich schreibe, geh ins Zwick, meine Kneipe hier in Hamburg, und versuche, auf meiner Mundharmonika endlich den Blues genauso gut zu spielen wie Henry, der Frontmann in unserer Band.

Erklären Sie einmal, woran es liegt, dass „Bild“-Redakteure gegenüber dem Chefredakteur so servil und autoritätsgläubig wirken.

Hans-Hermann Tiedje, einer meiner Vorgänger, sagte einmal: Bei den Schlagzeilenkonferenzen, da schaust du in „die toten Augen von Hamburg“. Er meinte damit Redakteure, die teilnahmslos warten, was von dir kommt.

Woran liegt das?

Ich dachte immer, ich könnte diese Strukturen aufbrechen, zumal ich glaubte, keiner zu sein, vor dem man Angst haben muss. Damit bin ich gnadenlos gescheitert. Wahrscheinlich liegt es an den Produktionsabläufen, die „Bild“ von anderen Blättern unterscheidet. Bei „Bild“ strandet alles, jede Entstehungsgeschichte jeder Meldung, jede Seite, jedes Foto beim Chefredakteur. Das ist eine Hierarchie von Abläufen, bei der es immer der Chefredakteur ist, der alles kommentiert und bewertet.

Er könnte das an andere delegieren.

Jeder „Bild“-Chef ist ein Kontrollfreak. Fast so wie mein Romanheld. Aber er muss es sein. Weil er unter extremen Erfolgsdruck steht. Als Boulevardmedium muss die Mischung stimmen, jede Geschichte muss an ihre Grenze gehen. Dieser begleitende Prozess einer Recherche, die Tatsache, dass die Schlagzeile formuliert wird, bevor die Geschichte geschrieben ist. Das ist der Ritt auf der Rasierklinge, da brauchst du die maximale Kontrolle, denn es kann auch gnadenlos in die Hose gehen.

Das Gespräch führte Ulrike Simon.

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