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3sat-Thementag: Im Land der Besiegten

Der Dokumentarfilm „Mazel Tov“ erzählt von russisch-jüdischen Einwanderern in Deutschland

Die alten Helden wirken bescheiden und ein wenig schüchtern, aber ihre Anzüge hängen wie jedes Jahr voller Kriegs-Orden. Man kennt die Bilder aus Russland und früher der Sowjetunion, wo die Männer regelmäßig am Jahrestag der Niederlage von Nazi-Deutschland gefeiert wurden. Doch diese Sieger leben nun im Land der Besiegten.

Beim Veteranentreffen in der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main gibt es am 9. Mai für jeden eine Rose, und immer wieder stimmt die malerische Kapelle den musikalischen Glückwunsch „Mazel Tov“ an. Einige der Männer erzählen von der monatelangen, mörderischen Belagerung Stalingrads, von den Kämpfen und den Leichen in den Straßen. Einer stimmt ein jiddisches Liebeslied an. Ein anderer zeigt seine Modelle von Waffen, Marine-Schiffen und Militär-Hubschraubern, die er bastelt, „um die Einsamkeit auszufüllen“. Und der 98-jährige Wolf Oulfski sagt am Ende des Dokumentarfilms „Mazel Tov“, er könne diejenigen nicht verstehen, die noch nie gekämpft hätten und nun unbedingt in den Krieg ziehen wollten. Dummköpfe nennt er sie.

1990, als die Sowjetunion schon in den letzten Zügen lag und ihre Grenzen öffnete, verließen Hunderttausende Juden das Land. Tausende blieben in Deutschland. Mischka Popp und Thomas Bergmann führen das Publikum in „Mazel Tov“ in das Milieu dieser russisch-jüdischen Einwanderer, die ohne Hass, aber auch ohne Kenntnisse der deutschen Sprache und mit einigen Illusionen gekommen waren. In der Heimat spielte die Religion kaum eine Rolle. Juden wurden als Angehörige einer eigenen Nationalität gekennzeichnet, ausgegrenzt und bisweilen bedroht. Nun fanden viele in Deutschland in den Jüdischen Gemeinden Halt. „Hier ist die jüdische Seite viel stärker geworden“, sagt ein Musiker. Mit den alt eingesessenen Juden gab es allerdings „Missverständnisse“: „Es knallte ziemlich schnell“, erklärt Dalia Moneta lachend, die sich in der Frankfurter Gemeinde um die Integration der Neuankömmlinge bemüht.

Die Autoren sprechen mit Alten und Jungen, mit einem Paar, das in der Sowjetunion beruflich erfolgreich war und sich heute mit einem Tante-Emma-Laden durchschlägt, mit einsamen Menschen, die ihrer unglücklichen Vergangenheit nachhängen, und mit Künstlern wie der nun in Israel lebenden Julia Bernstein, die aussieht wie die junge Joan Baez und in Papier-Collagen die Geschichte der russischen Juden reflektiert. „Mazel Tov“ ist ein stimmiger und stimmungsvoller Film über den Verlust der Heimat, mit klaren, ruhigen Bildern, viel Musik und beeindruckenden Protagonisten.

Und er ist eines der Herzstücke des 3sat-Thementags „Alles koscher“ über jüdisches Leben in Deutschland. Nach verschiedenen Dokumentationen schaut sich ein „Kulturzeit extra“ (19 Uhr 10) in Berlin, Frankfurt, Wien und Zürich um und leitet in den Abend über, an dem zwei Spielfilme auf dem Programm stehen: Die häufig wiederholte Dany-Levi-Komödie „Alles auf Zucker“ (20 Uhr 15)und das amerikanische Roadmovie „Alles ist erleuchtet“ über einen New Yorker Juden in der Ukraine. Thomas Gehringer

„Alles koscher“, 3sat-Thementag über jüdisches Leben, ab sechs Uhr; „Mazel Tov“, 17 Uhr 25

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