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Anfangs hieß die „Soko München“ noch „Soko 5113“. Mit dabei die Schauspieler Wilfried Klaus (v.l.n.r.), Werner Kreindl und Bernd Herzsprung.

© Ursula Düren/dpa

40 Jahre ZDF-"Soko": Vom Lückenfüller zum Dauerbrenner

Vor 40 Jahren startete die „Soko 5113“, die heute "Soko München" heißt. Inzwischen sind die verschiedenen ZDF-Sokos Deutschlands älteste TV-Krimiserie.

Vierzig Jahre sind im Fernsehen eine Ewigkeit. Selbst eine Serie wie die „Lindenstraße“ hat erst ihren 32. Geburtstag begangen. Anders die „Soko München“, die am 2. Januar 1978 in das bundesdeutsche Fernsehleben trat und gleich fast zehn Millionen Zuschauer in ihren Bann zog. Mit solchen Zahlen klopfen sie sich heute im Ersten beim Branchenprimus „Tatort“ auf die Brust. Am Vorabend ist man einstweilen froh, wenn man die Drei-Millionen-Hürde nimmt. Ob da nun die Soko München, Stuttgart, Köln, Leipzig, Wismar oder Wien ermittelt, ist da zunächst zweitrangig. Krimi-Vorabend ist heute ein industriell hergestelltes Unterhaltungsprodukt, das nach eisernen Regeln und Spannungsbögen funktioniert. In spätestens sechs Tagen muss so eine knapp halbstündige Folge im Kasten sein. Ein Drehtag, an dessen Ende rekordverdächtige fünf Minuten Film herausspringen, dauert leicht zehn Stunden und länger.

Ein Druck, den sich nicht alle Schauspieler antun wollen. Früher mussten sie es nicht. Regisseur und Autor Ulrich Stark erinnert sich noch an die Anfänge. Die legendäre „Soko 5113“ war im Herbst 1976 sein erstes Projekt, „Vorher hatte ich mein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München absolviert und als Fernsehjournalist gearbeitet.“ Trotzdem vertraute ihm der Produzent der Münchner Elan-Film das Projekt an, das das ZDF eigentlich gestartet hatte, „um mit sechs Folgen die Lücke zwischen zwei US-Serien zu überbrücken“, wie sich Arpad Bondy erinnert, Starks Kumpel aus HFF-Tagen und hier für Titelmelodie und Filmmusik zuständig.

Tantiemen als Schmerzensgeld

Bondy ist der Einzige, dessen Wirken sich vom ersten Tag bis heute belegen lässt. Seine Liebe zum Format ist deutlich abgekühlt. Die Tantiemen für die Titelmusik zur heutigen „Soko München“ betrachtet er als Schmerzensgeld. „Ich kann immer noch nicht glauben, wie das ZDF 2016 ohne Not dieses Markenzeichen beschädigt hat. Das gilt übrigens nicht nur für die Musik, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde, sondern auch für den Vorspann.“ Im Zuge der Umbenennung von „Soko 5113“ zu „Soko München“ wurde auch der Vorspann geändert: „Wie kann man so ein ikonografisches Bild von der Münchner Hackerbrücke opfern“, fragt sich Bondy, der seit 1985 in Berlin lebt, und schielt zur ARD: „Mit wie viel Liebe die ARD das klassische Tatort-Intro restauriert…“

Nun ist es nicht so, dass Arpad Bondy nur von der Soko-Musik lebt, denn „da bessere ich vielleicht meine Rente ein wenig auf. Ich bekomme ja sogar noch Wiederholungsgeld, wenn die ersten Folgen laufen, so wie jetzt wieder in ZDFneo.“ Aber das sei den alten Verträgen geschuldet gewesen, nach denen noch der Filmkomponist für die Musikrechte zu hundert Prozent honoriert wurde. „Heute teilt man sich die Rechte mit einem Verlag, der bei der Produktionsfirma verankert ist, im Verhältnis 60 zu 40.“

Bondy ist selbst Filmemacher, arbeitet aktuell an einem Dokumentarfilm mit Tagesspiegel-Autor Harald Schumann, der im Februar fertig wird, und erhielt 2013 mit Schumann den Deutschen Fernsehpreis für die Doku „Staatsgeheimnis Bankenrettung“. Und dennoch hängt er an der Unbekümmertheit und Professionalität, mit der einst die „Soko 5113“ und ihre musikalische Kennung entstand, „wie alle Musiker zugleich in einem Studio der Elan-Film vor einer Monomaschine standen und den Titeltrack ohne Unterbrechung in einem Stück einspielten“. Was schon ein kleines Kunststück war, weil zwei Keyboarder, ein Schlagzeuger, ein Bass, zwei Gitarren und ein Saxofon halbwegs synchron die Töne treffen mussten.“

1982 folgte eine Bearbeitung, die Bondy mit einigen Musikern in seinem Haus auf Mallorca aufnahm, die 2002er Fassung erstellte er in Berlin weitgehend allein am Computer. Nur das Saxofon - „das blies vom ersten bis zum letzten Take immer Franco Taormina“. Bondy vermisst die Zeit, als man sich früher beim Dreh zusammengesetzt hat – der Regisseur, der Cutter und der Musiker – und dann ernsthaft über die Musik diskutierte. „Heute ist die Musik doch zu einem Begleitgedaddel verkommen, das sich fertiger Versatzstücke bedient.“

Nur noch halb so viel Zeit für die Dreharbeiten

Stark, 74, und Bondy, 70, wissen um die Gnade ihrer frühen Geburt, um das Glück, schon Fernsehen gemacht zu haben, als es noch unter einigermaßen würdigen Drehbedingungen hergestellt wurde. „Wir hatten noch zehn, elf Tage für eine Folge Zeit, ziemlich genau doppelt so viel wie die Kollegen heute.“ Weil er die doch eher suboptimalen Drehbücher, die auf den Aufzeichnungen des Kriminaldirektors Dieter Schenk vom hessischen Landeskriminalamt beruhten, „in ordentliche Drehbücher verwandelte, bekam ich dafür auch ein Honorar, mit dem ich unter anderem das Haus neben Arpad auf Mallorca finanzieren konnte“. Heute gerieten sogar schon die Regisseure in Prekariatsverdacht: „Ein Kollege ist gerade allen Ernstes von der Produktion gefragt worden, ob er in Hamburg eine Möglichkeit wisse, wo er kostenlos bei einem Freund wohnen könne – um die Hotelkosten zu sparen.“

Die Feier eines eigentlich unglaublichen TV-Jubiläums gerät so unversehens zur exemplarischen Generalabrechnung mit dem Fernsehen heute: „Ich kann immer noch nicht fassen, dass bei acht Milliarden Zwangsgebühren jährlich so wenig in der Produktion ankommt“, sagt Uli Stark. Natürlich wisse er um die irrwitzigen Rückstellungen der Sender für die Altersvorsorge, „aber das schlimmste Loch reißen doch die Sportrechte – nur wird darüber nicht öffentlich debattiert. Ein Tabuthema“.

So bleibt Ulrich Stark der Trost, dass er bei seinen etwa 50 Folgen (von mittlerweile über 600) mit der „Soko 5113“ auch Freundschaften schloss mit den Darstellern, wie dem „viel zu früh verstorbenen Werner Kreindl“, mit Heini Baumann oder Diether Krebs, mit dem er gleich im Anschluss an die „Soko 5113“ und zusammen mit Iris Berben und Beatrice Richter in „Sketchup“ TV-Geschichte schrieb.

Heute schaut Stark keine „Soko“ mehr, „überhaupt keine Krimis, dafür habe ich in meinem Leben zu viel davon gemacht“. Zusammen mit Arpad Bondy ist er sich aber einig, dass die beste „Soko“ heute in Leipzig arbeite. „Die haben sich sogar bei der Musik an meinem Original orientiert“, lobt Bondy. Und Stark lächelt milde, wenn er auf den aktuellen München-Ermittler Gerd Silberbauer angesprochen wird. „Der Gerd hat in meiner Nachbarschaft in München Schwabing gewohnt und schaut im Fernsehen immer so mürrisch. Dabei ist er eigentlich ein ganz fröhlicher Kerl. Glauben Sie mir.“ Wer will’s ihm verdenken bei so langen Arbeitstagen…

Jörg Seewald

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