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Bloß kein Dreh-Fauxpas. Continuity-Expertin Christine Melzer kümmert sich um den richtigen Erzählfluss in der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

© Thilo Rückeis

5555 Folgen "GZSZ": Bevor es peinlich wird

Schließt eine Szene bei der RTL-Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" nahtlos an die nächste an? Christine Melzer passt auf.

Und Action! Sophie Lindt ist verzweifelt, schaut mit zusammengezogener Stirn in die Kamera. Entweder sie bringt ihr Magazin „Metropolitan Trends“ mit einer zweiten Person heraus oder es ist vorbei mit ihrer Karriere, ihren Zielen. Während sie mit ihrem Freund Jo Gerner skypt, fallen ihr die blonden Haare ins Gesicht, dann sind sie hinter ihrem Ohr, fallen ihr wieder im Gesicht, dann sind sie wieder weggesteckt. Ohne dass die Schauspielerin auch nur einmal die Hand bewegt hat. Was passiert ist? Ein klassischer Dreh-Fauxpas.

Dabei passt Christine Melzer seit acht Jahren darauf auf, dass in der RTL-Produktion „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) möglichst wenige Fehler dieser Art passieren. Vor allem nicht bei einer Jubiläumsfolge wie am Montag: 5555 Mal, so oft wird die Soap seit 1992 dann ausgestrahlt worden sein. Nach einer Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton arbeitete Christine Melzer 2003 zunächst für drei Jahre in der Bildtechnik und wechselte danach in die Regie. Abgesehen von ein paar Außensets in Berlin hält sie sich dabei vor allem im Filmpark Babelsberg auf. Dort, wo es den „Kiez“ gibt – die Filmstraße mit den Fassaden des Mauerwerks, des U-Bahnhofs „Klosterstraße“ und des Spätis. Und dort, wo es das GZSZ-Studio gibt, mit den Wohnungen der Charaktere und der Redaktion des Lifestyle-Magazins „Metropolitan Trends“.

Momentan stehen der Koch Leon Moreno (Daniel Fehlow) und Sophie Lindh (Lea Marlen Woitack) vor der Kamera. Die Regisseurin Britta Keils beobachtet die beiden Schauspieler auf einem Bildschirm und gibt ihnen danach ein paar Anweisungen. Ihr Ziel ist es, die Profile der Rollen zu schärfen, passende Kameraeinstellungen auszuwählen, Dramaturgie zu schaffen. Auf die kleinen Fehler im Detail kann sie sich dabei nicht konzentrieren. Dafür sitzt ein Continuity neben ihr und achtet vor allem auf mögliche Anschlussfehler. Nummer eins bei allen Pannen.

Die Anschlussfehler entstehen dadurch, dass Szenen mit mehreren Kameraeinstellungen gefilmt werden. Aus einer Totalen, um den Darsteller in seiner Umgebung zu sehen. Aus einer halbnahen Einstellung, um die Figur während eines Gesprächs vom Kopf bis zu seiner Hüfte zu zeigen. Oder mit einer Großaufnahme, wenn die Mimik entscheidend ist. Zwischen den verschiedenen Aufnahmen einer einzelnen Szene kann eine Schauspielerin jedoch ihre Körperhaltung ändern oder ihre Haare mit einer Bewegung anders legen. So wie bei dem Skype-Gespräch zwischen Sophie Lindt und Jo Gerner. Kleine Unachtsamkeiten, die später auffallen können.

„Wir achten ganz genau darauf, dass solche Fehler nicht passieren. Der Zuschauer ist bei einem deutlichen Bruch zwar irritiert, aber weiß oft nicht warum“, sagt Christine Melzer. Tückisch sei es zum Beispiel, wenn in einer Szene viele Schauspieler und Requisiten vorkommen würden. So wie beim Tischdecken. Dabei könne es passieren, dass ein Salzstreuer bei den mehrmaligen Aufnahmen unterschiedlich auf den Tisch gestellt wird. Ein Mini-Makel, der im Schnitt noch korrigiert werden kann.

Außerdem werden die Szenen einer Fernsehfolge nicht chronologisch nacheinander gedreht, sondern nach Drehorten. Dadurch kann morgens gefilmt werden, wie ein Schauspieler in ein Gebäude wie das Mauerwerk hineingeht und erst am Nachmittag steht die Handlung im Inneren des Clubs auf dem Programm. Trotz der zeitlichen Unterbrechung muss Christine Melzer die verschiedenen Mosaiksteine einer Szene zusammensetzen können. Von der Kleidung des Darstellers bis zu seinem Gehtempo. Würde ihr als Continuity zum Beispiel nicht auffallen, dass ein Darsteller früh am Tag eine Jacke trägt und später nur noch ein T-Shirt, könnten sich die Produzenten schnell blamieren.

Deswegen muss sich Christine Melzer die gedrehten Handlungen gut einprägen und ausführlich Protokoll führen. Zu der Gestik der Darsteller, stimmigen Übergängen zwischen den Einstellungen und möglichen Fallstricken beim Schneiden. Dafür hat jeder Continuity ein eigenes Zeichensystem entwickelt. „Der eine schreibt auf, welchen Arm Schauspieler XY hochhebt, der andere malt es“, erklärt die 32-Jährige. Hilfreich sei es, wenn der Regisseur eine Szene samt Filmperspektiven und Schnitten vorher schon detailliert im Kopf habe und wenn die Schauspieler jede noch so kleine Handlung bewusst und einstudiert ausführen würden. „Bei Ulrike Frank ist zum Beispiel jede Szene eine komplette Choreografie“, sagt sie. Sie spielt Kathrin Flemming-Gerner, die Exfrau von Jo Gerner und Rivalin seiner neuen Freundin.

Um sich auf die Szenen einer Woche vorzubereiten, schaut sich Melzer zunächst die Proben an, liest sich Dialoge durch und überprüft die Geschichten nach logischen Widersprüchen. Danach folgt ein fünftägiger Drehblock, in dem fünf Folgen mit rund hundert Szenen produziert werden. Weil Christine Melzer schon acht Jahre lang am GZSZ-Set arbeitet, achtet sie darüber hinaus auf die langfristige Stringenz der Handlungen. Zwar recherchieren Storyliner vorab die Geschichten und die Drehbuchkoordinatoren überprüfen sie vor den Proben, doch an manchen Stellen hakt sie trotzdem nach. Ihrer Meinung nach würden aber nur selten gravierende Fehler passieren. „Klar sind wir nicht Hollywood, aber da passieren teilweise richtig heftige Patzer und die Filme haben Millionen gekostet.“

In der Romanze „Pretty Woman“ hält Julia Roberts beim Frühstück zum Beispiel erst ein Croissant in der Hand und später einen Pfannkuchen. In dem Film „James Bond 007 – Skyfall“ stürzt Daniel Craig bei einem Kampf in eine Grube mit staubigem Boden, aber klettert mit sauberem Smoking wieder hinauf – und in dem Klassiker „Der Pate“ sieht man bei einem erschossenen Polizisten ein Einschussloch auf der Stirn, obwohl Al Pacino gerade erst auf seinen Kopf zielt. In verschiedenen Internetforen werden solche Fehler aufgelistet, belächelt und diskutiert. Auch Schwachstellen von GZSZ. Eine Userin schreibt allerdings, dass ihr kleine Irrtümer dabei egal seien. Es sei immerhin eine Soap. Kein Blockbuster und keine Doku.

„Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, RTL, Montag , 19 Uhr 10

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