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Ritual vor dem Zubettgehen. Auch in Sachen „Sandmännchen“ (Start: November 1959) hatte das DDR-Fernsehen knapp die Nase vorn. Mindestens genauso bekannt sind die Mainzelmännchen, seit April 1963 das Markenzeichen des ZDF. Fotos: dpa

© dpa

60 Jahre Fernsehen: Sag’ mir, was du guckst

Beat-Club, Kessel Buntes, Tutti Frutti, Derrick – fünf Tagesspiegel-Redakteure schildern ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Flimmerkiste.

Sechs Jahrzehnte Fernsehen. Sechs Jahrzehnte DFF, NWDR, ARD, ZDF, RTL und was danach sonst alles kam – nach dem ersten „öffentlichen Versuchsprogramm“ im Fernsehen der DDR, das am 21. Dezember 1952 startete. Erste Fernsehansagerin: die jüngst verstorbene Margit Schaukämper. Tage später folgte im Westen die „Tagesschau“. 60 Jahre deutsches Fernsehen. Was war wichtig, was hat geprägt? Shows, Krimi, Kinder-TV, Serien, unterhaltend, spaltend, belehrend – fünf persönliche Erinnerungen an Begegnungen mit einem Medium, das anregt, das nervt, das nie ganz kaltlässt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

MUSIK ZUM HINSCHAUEN

Der „Beat-Club“ brachte ab 1965 die Musik, die sonst vielleicht auf MTV gekommen wäre, wenn es so etwas gegeben hätte. Es moderierte Uschi Nerke im superkurzen Mini. Beat wurde damals noch Hottentottenmusik genannt, Fernsehunterhaltung bestand darin, dass ältere Herren mit ausgebreiteten Armen Treppen herunterkamen. Den „Beat-Club“ sendete Radio Bremen, die Bilder wurden gern avantgardistisch verzerrt, wären wohl psychedelisch bunt gewesen, wenn der Schwarz-Weiß-Fernseher das hergegeben hätte. 1972 war schon Schluss mit dem „Beat-Club“. Andreas Austilat

Kurt Sagatz erinnert sich an eine rauchende Jeannie.

RAUCHENDE JEANNIE

Gute Serienunterhaltung stammte schon vor 40 Jahren zumeist aus den USA. „Bezaubernde Jeannie“ (ZDF) mit Barbara Eden und Larry Hagman war in Fernsehdeutschland ein Pflichtprogramm, fast jeder zweite Zuschauer schaltete ein. In der ZDF-Serie „Rauchende Colts“ sorgte Marshal Matt Dillon für Gerechtigkeit, unvergessen sein näselnder Hilfssheriff Festus Haggen. Mitunter lag das deutsche Fernsehen sogar auf Augenhöhe mit den Amerikanern. „Raumpatrouille Orion“ und „Raumschiff Enterprise“ eroberten zeitgleich den Weltraum, „Star Trek“ war langfristig erfolgreicher. Kurt Sagatz

Robert Ide fliegt mit dem Sandmännchen zum Mond.

MIT DEM SANDMÄNNCHEN ZUM MOND 

Das Schönste am DDR-Fernsehen? Für die meisten war es das Westfernsehen – zum Vergleichen, zum Staunen, zum Träumen. Wie es wohl ein richtiges Leben im falschen gab, gab es auch ein gutes Fernsehen im schlechten: Die Märchenfilme zu Weihnachten, mit tiefgründiger Leichtigkeit im Erzgebirge gedreht. Das Kinderprogramm mit dem „Sandmännchen“, das – im Gegensatz zu den Zuschauern – durch alle Welt reiste, sogar zum Mond flog. Das Überraschendste am DDR-Fernsehen? Mancher Irrsinn von Nina Hagen bis Manfred Krug, bis zu deren Absprung ins Traumland. Mancher „Polizeiruf 110“, der sich trotz der Genossen Kommissare sozialen Themen widmete. Auch mancher „Kessel Buntes“ mit dem Flair der großen Bühne, der flirrenden Helga Hahnemann. Manchmal sogar der Sport mit Sprachturner Heinz-Florian Oertel. Fast konnte man da vergessen, welcher Unsinn auf anderen schwarzen Kanälen über die Sender DDR 1 und DDR 2 ging. Das Beste am DDR-Fernsehen? Die Wende. Plötzlich war die „Aktuelle Kamera“ so spannend wie das Leben, gab es mit „Elf 99“ ein freches Jugendmagazin, plötzlich war es einfach nur gutes Fernsehen. Weil es frei war. Manchmal freier als heute. Robert Ide

Markus Ehrenberg hat ein Offenbarungserlebnis mit den Privaten.

PRIVATE OFFENBARUNG

Seien wir ehrlich, es geschah klammheimlich: Fernsehgucken am späten Abend. Die Einführung des Privatfernsehens 1984 bedeutete auch – die Einführung nackter Tatsachen. „Tutti Frutti“ war die deutsche Version der italienischen Spielshow „Colpo Grosso“, die erste Erotikshow hierzulande, mit Hugo Egon Balder auf RTL. Wo sonst. Zwei Kandidaten beiderlei Geschlechts gewannen durch einfach gehaltene Ratespielrunden Punkte, die in abzulegende Kleider der Stripperinnen investiert wurden. Zusatzpunkte erzielten sie durch eigene Striptease-Einlagen. Die vollzogene Normalisierung öffentlich inszenierter Nacktheit. Und, Brot und Spiele!, ein Schachzug des RTL-Bosses Helmut Thoma, an dessen Ende die jahrelange Marktführerschaft lag: mit „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und was wir aufgeklärte Kritiker sonst noch so alles heimlich geschaut haben und schauen. Wenn nicht gerade Arte-Dokus, „Lindenstraße“ oder Filme von Dominik Graf laufen. Markus Ehrenberg

Christian Schröder ist den Verbrechern auf der Spur.

HATTE IHR MANN FEINDE?

Der Horror begann freitags um 20 Uhr 15. Zu meinen frühesten Fernseherinnerungen gehören Schüsse, die durch unser Wohnzimmer hallten, und das Reifenquietschen von BMW-Limousinen bei einer Verfolgungsjagd durch die Straßen von München. „Der Kommissar“, „Derrick“ und „Der Alte“, die Krimiserien des ZDF, bescherten mir köstliche Momente der Angstlust. Das Grauen bestand aus Dialogen, in denen Sätze wie „Wo waren Sie gestern gegen 22 Uhr?“ oder „Hatte Ihr Mann Feinde?“ zuverlässig vorkamen, aus Amtsstubeninterieurs, in denen sich Aktenschränke, Gummibäume und Drehscheibentelefone zu Stillleben des deutschen Beamtentums gruppierten. Und aus Ermittlern, die den Charme von Heftklammergeräten verströmten. Mich ließen die leeren Augen der erschossen in einer Grünwalder Villa liegenden Toten – war es nicht meistens Gert Baltus? – nicht mehr los. Bevor ich mich hinlegte, schaute ich unter mein Bett. Einschlafen konnte ich trotzdem nicht. Christian Schröder

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