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„Wut kann man sich erarbeiten.“ Das ist die aktuelle Ausgabe des Nachrichtenmagazins. „Der Spiegel“ feiert am 4. Januar seinen 70. Geburtstag.

© dpa

70 Jahre "Spiegel": Es geht um alles

70 Jahre nach seiner Gründung ist der „Spiegel“ mit sich selbst beschäftigt. Die Unruhe im eigenen Haus macht es nicht leichter.

Viel Feind, viel Ehr’. An seinem 70. Geburtstag möchte „Der Spiegel“ als kritischer Geist ohne Angst vor mächtigen Gegnern wahrgenommen werden. Wenn man die Beschimpfungen prominenter Politiker auf dem Jubiläums-Titelbild wegklappt, erscheint der stolze Satz: „Wut kann man sich erarbeiten.“ Und es sind zu Schmidt, Kohl, Brandt in jüngster Zeit noch reichlich Feinde dazugekommen.

„Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer schreibt in seinem Leitartikel gegen Lügner und Rassisten an. Und gegen die „manipulativen Meinungskonzerne“ Facebook und Twitter. „Es geht heute um Freiheit, Aufklärung, Demokratie, es geht wieder oder noch immer um alles.“ Sein Blatt sieht er als „Verteidiger der Demokratie“, wie Brinkbäumer in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur ergänzte.

So also ist die Gefechtslage 70 Jahre nach dem 4. Januar 1947, als die Nummer eins des „Nachrichtenmagazins“ – noch in Hannover – erschien. Gründer und Herausgeber Rudolf Augstein, damals 23 Jahre alt, machte es zur kritischen Instanz im Nachkriegsdeutschland. „In der Ära Adenauer waren wir das Sturmgeschütz der Demokratie, mit verengten Sehschlitzen.“.

Im Winter 1962/63 saß Augstein 103 Tage in Haft, weil sein Blatt in dem Artikel „Bedingt abwehrbereit“ über das Nato-Planspiel „Fallex 62“ berichtet hatte. Die „Spiegel-Affäre“ kostete Verteidigungsminister Franz Josef Strauß das Amt und schärfte die Sinne für den Wert der Pressefreiheit. Auch sonst stolperte mancher über die Enthüllungen aus Hamburg: Barschel-Affäre, Parteispenden-Skandal – „Der Spiegel“ hat die politische Landschaft Deutschlands mitgeformt.

„Das publizistische Leitmedium unserer Tage ist Twitter"

Brinkbäumer ist das Wort Sturmgeschütz „zu militaristisch“, aber das Selbstbewusstsein ist noch immer groß in dem ziemlich einzigartigen Verlag, der mehrheitlich seinen Mitarbeitern gehört und seit 2012 in einem repräsentativen Bau auf der Ericusspitze in der Hamburger HafenCity residiert. Das Magazin sei „immer noch ein journalistischer Taktgeber und ein Vorbild für Recherche und Vertiefung“, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es tue „unter erheblichem wirtschaftlichen Druck sein Bestes“, sei weiterhin ein Leitmedium. Auch Spiegel Online (SpOn) sei „im Tagesgeschäft unentbehrlich, also ein Referenzmedium“.

Ähnlich sieht es der Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert: Die publizistische Qualität sei sogar „noch besser als in früheren Jahren, weil die Redakteure offenbar weniger eitel von oben herab, sondern näher an der Lebenswirklichkeit ihrer Leser reportieren“. Medienkritiker Lutz Hachmeister beurteilt das Magazin und seine Ableger etwas anders: „Das publizistische Leitmedium unserer Tage ist Twitter – da relativiert sich die Bedeutung aller einzelnen Blätter.“ Die politischen Eliten, zumindest ältere Jahrgänge, würden den „Spiegel“ immer noch überdurchschnittlich wahrnehmen. „Mit Getöse dargebotene Titelgeschichten über Fußballer, die Steuern sparen wollen, kann man sich aber sparen.“

Wenn es denn stimmt, dass es um alles geht, kann ein starker „Spiegel“, der seine Konkurrenten mit Qualität herausfordert, nicht schaden. Die Unruhe im eigenen Haus macht es nicht leichter. Print und Online finden mühsam zueinander. Anfang Dezember musste SpOn-Chefredakteur Florian Harms seinen Stuhl räumen, was Mitarbeiter der SpOn-Redaktion mit einem Protestschreiben zu verhindern versucht hatten.

Seine Stellvertreterin Barbara Hans rückte auf. Die Probleme, Führungspositionen dauerhaft zu besetzen, sind notorisch: Chefredakteur Brinkbäumer folgte vor zwei Jahren auf Wolfgang Büchner, der wiederum die zerstrittene Doppelspitze Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron abgelöst und es sich nach nur 15 Monaten mit den Redaktionen verscherzt hatte.

Wie andere Medienhäuser musste auch der „Spiegel“-Verlag in den vergangenen Jahren Einbußen hinnehmen. Vor zehn Jahren lag die verkaufte Auflage des Magazins bei einer Million, nun sind es knapp 800 000. Dabei war die Umwälzung der Medienlandschaft frühzeitig erkannt worden. Das 1994 ins Leben gerufene Portal Spiegel Online zählt mit monatlich 18,7 Millionen Nutzern zu den reichweitenstärksten Seiten.

Der Verlag bastelt an einem digitalen Bezahlmodell und probiert es mit Ablegern. Dabei setzte Geschäftsführer Thomas Hass mit Zustimmung der Mitarbeiter KG durch, dass ab 2018 jährlich 15 Millionen Euro eingespart werden. Erstmals in der Geschichte sollen bis zu 35 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. 149 von über 1100 Stellen werden gestrichen. Mehr Output mit weniger Leuten – das ist eine Strategie, die in der Branche um sich greift. Es geht um alles, vielleicht sogar für den „Spiegel“ selbst.

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