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Medien: Abgekupfert

Gleich hinter Berlin hört das schnelle Internet auf. Die Provinz wartet auf Glasfaserkabel – und auf E-Mails.

Filippo Smaldino-Stattaus will, dass die Dinge sich bewegen. Der drahtige Mann mit dem grauen Schnurrbart ist nicht fürs Warten gemacht. Zügig hat er Kaffeetassen auf den Tisch gestellt, ein bisschen Smalltalk gehalten. Dann kommt er zum Thema. Wenn er ein Bild von zwei Megabyte per E-Mail verschickt, sagt er, dann dauert das von seinem Rechner im Rathaus aus 40 Minuten. „Da bin ich manchmal ganz schön am Fluchen.“ Der Bürgermeister der Gemeinde Mühlenbecker Land im Kreis Oberhavel ist seit gut hundert Tagen im Amt. Und seitdem ist er dabei, an der Zeitschraube zu drehen. Smaldino-Stattaus will das schnelle Internet ins Dorf bringen, in alle vier Ortsteile: Zühlsdorf, Mühlenbeck, Schildow und Schönfließ.

Die 14 000-Seelengemeinde liegt nicht irgendwo in der brandenburgischen Provinz. Sie liegt direkt vor den Toren der Hauptstadt. Auf der einen Seite des gelben Ortsschildes steht Mühlenbeck und auf der anderen Berlin. Sie hat alles, was man bei dieser Größe verlangen kann. Es gibt glatte Straßen, eine S-Bahn-Verbindung, Schulen, Kitas und Neubaugebiete. „Wenn wir nicht Speckgürtel sind, wer dann?“, fragt Smaldino-Stattaus.

Doch wer von Berlin nach Mühlenbeck oder Schildow zieht, in der Hoffnung, dort die komfortable Verbindung von Großstadt und Natur zu finden, der lernt beim Thema Internet das Fürchten – oder eben das Warten. „Wir haben hier ein Glasfaserkabel im Mühlenbecker Zentrum. Doch je weiter Sie davon entfernt sind, desto langsamer ist die Verbindung“, sagt der Bürgermeister.

Es ist die sogenannte „letzte Meile“, die den Mühlenbeckern zu schaffen macht. Es ist das Stück, das von den Kabelverzweigern der großen Hauptleitungen zu den einzelnen Häusern führt. Die letzte Meile besteht in Deutschland meist aus den Kupferleitungen aus den alten Telefonnetzen. Die Entfernung vom letzten Verzweiger bis in die Häuser bestimmt, wie hoch die Surfgeschwindigkeit ist: Je länger das Kabel, desto geringer die Geschwindigkeit. In großen Städten wie Berlin ist diese Entfernung wegen der engen Bebauung oft nur einige Dutzend Meter lang. In ländlichen Gebieten beträgt sie schon mal zwei bis drei Kilometer.

Abhilfe könnte der Wechsel von Kupfer zu Glasfaser auf der letzten Meile schaffen, doch das ist teuer. 80 bis 90 Milliarden Euro, hat das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) errechnet, würde es kosten, alle Haushalte in Deutschland mit Glasfaserkabel anzubinden. Eine astronomische Summe. „Ein zeitnaher flächendeckender Glasfaserausbau bis zu den Endkunden ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen derzeit wirtschaftlich und tatsächlich nicht machbar“, heißt es in einem Positionspapier des Branchenverbandes Bitkom.

Für Smaldino-Stattaus sind das schlechte Nachrichten, denn in seinem Wahlprogramm hat der SPD-Bürgermeister die Verbesserung der Breitbandversorgung als eines seiner wichtigsten Ziele benannt. „Für die Gemeinde ist das langsame Internet ein Riesenproblem. Für Unternehmen ist das schließlich ein entscheidendes Kriterium, wenn sie sich hier ansiedeln wollen.“ Er selbst ist keiner, den man einen Digital Native nennen würde, Smartphones sind ihm noch immer suspekt, und statt SMS zu schreiben, redet er lieber. Aber dass seine Gemeinde eine schnellere Verbindung ins Netz braucht, wurde ihm spätestens bewusst, als er sich ansah, wie seine Parteikollegen in anderen Regionen multimedial Wahlkampf machen. „Videos anschauen ist hier gar nicht möglich. Man rauft sich manchmal die Haare vor Wut.“ Darum hat die Gemeinde jetzt einen Antrag auf staatliche Förderung für den Breitbandausbau gestellt. Mit Mitteln aus der „Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung“ könnten Netzbetreiber nach Mühlenbeck gelockt und zum Ausbau bewegt werden.

In der Breitbandstrategie der Bundesregierung heißt es, leistungsfähige Breitbandanschlüsse seien eine „wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und steigenden Wohlstand“. Die Zukunft soll in der Cloud stattfinden, Verwaltungsfragen, Gesundheitsdienste und Lernen zunehmend auch über das Internet abgewickelt werden. Doch von einem flächendeckenden Hochgeschwindigkeitsnetz, das notwendig ist, damit die Menschen an dieser Zukunft teilhaben können, sind vor allem die ländlichen Gebiete noch weit entfernt. Knapp 99 Prozent der Haushalte haben zwar die Möglichkeit, Zugänge mit mindestens einem Megabit pro Sekunde zu nutzen, immerhin 94 Prozent können mit zwei Megabit pro Sekunde oder mehr surfen. Doch mit diesen Geschwindigkeiten, die vor wenigen Jahren noch revolutionär waren, kann man heute kaum noch etwas anfangen. Bilder hochladen, Videos anschauen, Musik hören – dafür braucht man schnellere Verbindungen. In Städten sind Übertragungsraten von 16 Megabit pro Sekunde und mehr üblich. In Deutschland verfügen rund 70 Prozent der Internetnutzer über einen so schnellen Anschluss. Bis 2014 sollen nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums für drei Viertel der Haushalte Anschlüsse mit noch höheren Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen. „Das Ziel ist ambitioniert“, gibt das Ministerium zu. Besonders auf dem Land dürfte es schwer werden, das umzusetzen. Auf dem Breitbandatlas der Bundesregierung (siehe Ausschnitt rechts) ist zu sehen, wie hoch das Gefälle zwischen Stadt und Land ist. Dunkel sind dort die Ballungsgebiete eingefärbt, blass gruppiert sich die Provinz drum herum.

Dass ländliche Gegenden in Deutschland beim Ausbau so stark hinterherhinken, liegt daran, dass der Bund vorrangig auf den freien Markt setzt. Öffentliche Fördermittel sollen nur ergänzend ausgegeben werden. Doch für die Anbieter lohnt sich eine Investition in die Kabel nicht, wenn am Ende nur zehn Haushalte das Internet nutzen. „Einen Kilometer Glasfaser zu verlegen, kostet bis zu 50 000 Euro. Das muss sich auch durch die späteren Gebühren der Nutzer amortisieren“, sagt Marc Konarski, Bereichsleiter Telekommunikationspolitik beim Bitkom. Um die Netzbetreiber dennoch in Richtung Provinz zu bewegen, hat die Politik mehrere Fördertöpfe für den Breitbandausbau geöffnet. Mit Geldern der EU, des Bundes und der Länder werden Investitionen in die Breitbandinfrastruktur unterstützt. Insgesamt 454 Millionen Euro stehen dafür im Zeitraum von 2008 bis 2013 bereit. Die Gemeinden greifen gern darauf zurück.

Im zweiten Monitoringbericht zur Breitbandstrategie des Bundes steht, dass in der Förderperiode 2008 bis 2010 insgesamt 84 Prozent der Gelder abgerufen wurden.

Die große Hoffnung für den ländlichen Raum aber ist eine andere, und die heißt Long Term Evolution, kurz LTE. Die Funktechnologie ist der Mobilfunkstandard der vierten Generation und erlaubt einen deutlich schnelleren drahtlosen Zugang zum Internet als der Vorgänger UMTS. Fünf bis zehn Megabit pro Sekunde sollen damit zu jeder Zeit möglich sein, verspricht der Branchenverband. Für 4,5 Milliarden Euro haben die Netzbetreiber vor zwei Jahren LTE-Frequenzen ersteigert. Von der Bundesnetzagentur haben sie dafür die Auflage bekommen, zuerst solche Gebiete mit LTE auszustatten, die keinen Breitbandanschluss haben. Erst danach dürfen sie die Technologie auch in den für sie profitableren Ballungsgebieten anbieten.

Für die Unternehmen ist es günstiger, bestehende Mobilfunkmasten in ländlichen Gegenden aufzurüsten, als flächendeckend Glasfaserkabel zu verlegen. Das Internet auf dem Land wird wohl früher mobil als kabelschnell. Für 13 Millionen Haushalte in Deutschland ist LTE heute schon verfügbar. In Mühlenbeck aber noch nicht.

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