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Mein Ding. Eine Kassette in Orange machte immer überall Eindruck.

© mauritius images

Abgenudelt: Bandsalat in Tupperware

Die Musikkassette verschwindet vom Markt. Was bleibt, ist die Erinnerung an das Mix-Tape für die Liebste oder den Liebsten.

Normalerweise, wenn ein materielles Kulturgut zu Boden stürzt, dann ist das Kulturgut schwerstbeschädigt oder hin. Dieses Kulturgut nicht. Fällt eine Musikkassette runter, scheppert es ein wenig ordinär, vielleicht ist ein Eckchen herausgebrochen, aber kein Schaden ist derart, dass ihn ein Klebestreifen nicht heilen könnte.

Diese famose Eigenschaft wird der Musikkassette, von Avancierten auch „Compact Cassette“ oder „Tape“ genannt, nicht viel helfen. Sie dreht sich ihrem Ende entgegen. In diesem Monat hat das Unternehmen Pallas im niedersächsischen Diepholz als einer der letzten Hersteller seine Manufaktur geschlossen. Die Absatzzahlen sind längst im Keller. 1991, im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung, erreichte der deutsche Musikkassettenabsatz mit 78,4 Millionen Stück seinen Höhepunkt. 2009 waren es noch drei Millionen. Daniel Knöll vom Bundesverband Musikindustrie sagte, „die bespielte Compact-Cassette ist ein Nischenprodukt.“

Als die Kids noch Teenager hießen, war die bespielte, viel mehr noch die unbespielte Kassette ein Muss. Was 1963 als Speichermedium für Diktiergeräte vom niederländischen Unternehmen Philips auf den Markt gebracht wurde, war schnell und dann für Jahrzehnte ein preiswertes Aufnahmemedium für Musik. War schon der Kauf von Schallplatten Ausdrucksmöglichkeit des eigenen Geschmacks, so war mit dem „Tapen“ endgültig Individualität angesagt. Man war, was man tapte. Der selbst zusammengestellte Mix für den eigenen Kassettenrekorder war eine starke Sache, aber nichts gegen das persönliche Mix-Tape für die Liebste/für den Liebsten mit entsprechender Covergestaltung. Bei so viel Einsatz war an der Ernsthaftigkeit des Begehrens nicht zu zweifeln. Die Musikindustrie war nicht begeistert, sie fürchtete Umsatzeinbußen: „Home Taping is Killing Music“

Bissfest, rissfest ins Kunststoffgehäuse eingefasst, prima transportfähig, ein robuster Musikspeicher, der nur zwei, dafür leider gravierende Tücken aufweist: Viele, viel zu viele Bänder blieben hängen, verhedderten, verknäulten sich – fertig war der Bandsalat. Manchmal zu entwirren, öfters unentwirrbar. Und dann der Klang. Die Feinen unter uns, die mit den teuren, empfindlichen Plattenspielern und den schrankwandgroßen Tonbandgeräten, machten sich lustig über dieses hohle Frosch-Gequake, diesen „Bandsalat in Tupperware“.

Die Technik war nicht wirklich schuld, in den 80er Jahren gab es Rekorder für 1000 Mark, bei denen überhaupt keine Gleichlaufschwankungen zu befürchten waren. Meistens war nur die Aufnahme mies – oder das Gerät noch mieser. Auch der beste Rekorder konnte nichts dafür, dass die Tapes durch jahrelanges Ab- und Überspielen schlechter und schlechter klangen, das lag an der Entmagnetisierung der Kassetten. Und dann, 1979, war es sowieso geschafft: Die japanische Firma Sony brachte den ersten Walkman, einen tragbaren Kassettenrekorder, auf den Markt.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer. „Ein Retro-Trend wie beim Vinyl ist für die MC nicht zu erwarten“, sagte Holger Neumann, Geschäftsführer des Tonträger-Herstellers Pallas, der dpa. „Wenn wir heute ein Vinyl-Album pressen, können wir Topqualität garantieren. Aber für MC-Kopiermaschinen werden hochwertige Magnetbänder und Cassetten-Gehäuse wegen geringer Nachfrage kaum noch produziert.“ Auch deswegen werde die Produktion eingestellt.

Wirklich intakt ist der Markt nur noch bei Hörspielkassetten für Kinder mit den unveränglichen Bibi-Blocksberg- oder den Drei-Fragezeichen-Reihen. Das gehört in Kinderhände, die die entsprechenden Kinderkassettenrekorder bis an die Grenze der Belastbarkeit testen. Schläge, Würfe, Staub, Hitze, die Kassette hält fast alles aus, nur hohe Feuchtigkeit verträgt sie mindestens so schlecht wie viele andere Medien. Auch ein iPod mit Gigabytes an Songs kann bei Wasserkontakt sehr, sehr still werden.

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