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Medien: „Ach, die Merkel ist dran, na und?“

Götz George und Regisseur Andreas Kleinert über politische Fernsehspiele, ihre erfolgreiche Zusammenarbeit und – Schimanski

Sie sind ein Berliner Erfolgsgespann: Schauspielstar Götz George (66) und Regisseur Andreas Kleinert (42). Für das AlzheimerDrama „Mein Vater“ erhielten beide 2003 in den USA die international höchste Fernsehauszeichnung, den Emmy. Auch Kleinerts zweiter „Schimanski“-Film („Das Geheimnis des Golem“) war für den Emmy nominiert. In Köln drehen sie derzeit ihren vierten gemeinsamen Film, gewissermaßen ein Stück zur aktuellen politischen Krise in Deutschland: In „Später Sommer“ spielt Götz George den Gewerkschaftsfunktionär Stubenrauch, der die Arbeitsplätze eines Zementwerks in einer Kleinstadt retten soll. Es kommt zum Hungerstreik, und Stubenrauch verliebt sich in die Ehefrau des Streikführers. Ausstrahlung in der ARD: 2006.

Herr Kleinert, ist die Zeit reif für politische Fernsehspiele?

KLEINERT: Die Zeit ist, das hofft man ja, immer reif für politische Fernsehspiele. Aber dieser Film ist sicher auch eine aktuelle Reaktion auf die Zuspitzung, die sich in der Gesellschaft abzeichnet, ohne dass er auf tagespolitische Dinge wirklich anspielt.

GEORGE: Es gibt keine Zeit, die unpolitisch ist. Nur haben wir in Deutschland leider zu spät damit angefangen, politische Filme zu drehen.

KLEINERT: Derartige Stoffe haben natürlich immer kräftigen Gegenwind. Und wenn „Später Sommer“ die Quote nicht bringt, dann wird man wieder sagen: Das Thema geht nicht.

Frage: Herr George, wann ist ein politischer Fernsehfilm gelungen?

GEORGE: Wenn das Publikum mitspielt, ganz simpel. Aber die Quote ist nicht unser Maßstab. Wir machen das für uns. Bei allen unseren Filmen fehlt ja das Vertrauen von oben. Die Verantwortlichen in den Sendern möchten das eigentlich nicht, aber sie haben ihren Kulturauftrag und brauchen im Jahr so und so viele Alibiproduktionen.

Ist das so?

GEORGE: Das war immer so. Das ist ja kein „Traumschiff“.

KLEINERT: Es stimmt, es gibt immer Skepsis, es ist immer kompliziert. Wenn du Pilcher machst, dann sagt man: Das ist eine sichere Nummer, aber so etwas…

Also gibt es gar keinen Unterschied gegenüber früher? Man könnte ja meinen: Die Zeiten sind politischer geworden.

GEORGE: Im Gegenteil, beim Publikum viel unpolitischer. Arbeitslosigkeit, Hartz IV – jetzt wollen sie nur noch heile Welt. Zum Beispiel die ZDF-Serie „Das Kanzleramt“: Das hätte ja funktionieren können, aber das Publikum hat es nicht angenommen.

Sie spielen einen Gewerkschaftsfunktionär. Die werden in der Öffentlichkeit gerne als Betonköpfe dargestellt.

GEORGE: Den hat er sich weggesoffen, den Betonkopf. Er hat keinen Ehrgeiz mehr. Er hat seine Karriere gehabt, die hat er verspielt, und er weiß eigentlich auch, dass sein Auftrag bei den Kollegen vom Zementwerk für die Katz ist. Die Leute werden entsorgt, kriegen eine Abfindung, und dann ist es aus – so ist das heute. Im Film treten die Arbeiter in den Hungerstreik. Er merkt, es geht noch was, und er verliebt sich.

KLEINERT: Er ist aus der SPD ausgetreten, hatte mal große Ideale und spürt hier für eine kurze Zeit wieder, er hat eine Chance. Was mich besonders gereizt hat, ist diese klassische Konstellation wie in einem alten Western: Ein Fremder kommt in ein fest gefügtes System, und alles wird nicht mehr so sein wie zuvor. Alle setzen große Hoffnungen in ihn, und die meisten werden natürlich enttäuscht. Aber alle werden neue Wege gehen. Der Film soll die Zuschauer auffordern: Bleib nicht stehen, wenn du nicht glücklich bist, sondern bewege dich. Verändere dein Leben, wechsle den Arbeitsort oder den Partner, wenn es sein muss. Gib nicht auf.

GEORGE: Es geht eigentlich um eine menschliche Zweierbeziehung: Alles geht den Bach herunter. Und was bleibt noch übrig? Die Menschlichkeit, die Wärme.

Also keine Story vom Arbeiterhelden?

KLEINERT: Wir wollen ein authentisches Bild, keine Arbeiterklischees, auch keine sozialmoralische Geschichte. Im Mittelpunkt steht, damit sich möglichst viele identifizieren können, eine normale Familie. Sie sind nicht arm, aber sie können trotzdem den Boden unter den Füßen verlieren.

Leben wir in einer besonderen Zeit? Ist ein Wendeklima zu spüren?

KLEINERT: Es gibt die Chance, dass eine gewisse Unruhe hineinkommt. Ich glaube nicht, dass es Zeit ist für eine politische Bewegung wie 68. Aber alles, was wir auch privat für selbstverständlich gehalten haben, wird in Auflösung sein. Die Soße über dem Kapitalismus, die ihn immer so appetitlich gemacht hat, die ist weggekratzt, und wenn die Soße, dieses ganze Soziale, weg ist, kommt ein morbider Pudding zum Vorschein. Jetzt merken alle, der Kampf Sozialismus gegen Kapitalismus ist auf einem anderen Niveau wieder da. Weil die eine Schwester von den beiden Zwillingen hässlich ist, dachte man, die andere ist schön. So ist es eben nicht.

Es gab TV-Figuren wie den „Tatort“-Kommissar Schimanski, die den Nerv der Zeit trafen. Wo sind solche Figuren heute?

GEORGE: Die Figur kam in den Achtzigern gerade recht, das kannst du nicht mehr toppen. Und eine Figur, die wie Robin Hood neu erschaffen wird, also Schimanski in Jung, das ist nicht mehr gefragt. Wir sind weicher und träger geworden. Das ist dieser permanente Kunsthonig-Einfluss von den Privaten. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten dagegen halten, das tun sie aber nicht.

Immerhin: Den Schimanski-Film „Sünde“ sahen zuletzt knapp fünf Millionen Zuschauer.

GEORGE: Die Schimanski-Filme sollten im Oktober und November gesendet werden, das wäre eine gute Zeit. Aber dann setzen die uns auf einen Sendeplatz, wo vorauszusehen ist, dass es bei dem schönen Wetter eine niedrige Quote gibt.

Es wird in der ARD keinen Schimanski mehr geben?

GEORGE: Doch, das quält sich so hin.

KLEINERT: Immer wenn wir einen Schimanski gedreht haben, war das schon der letzte. Aber es geht dann doch immer weiter.

GEORGE: Es kommen halt immer die besten Regisseure, Kameraleute und Autoren. Es macht unendlich viel Spaß, weil man sich noch mal beweisen muss und weil wir letztendlich bei den richtigen Leuten auch Erfolg haben.

Sie haben beide mehrfach zusammengearbeitet. Was ist Andreas Kleinerts besondere Qualität?

GEORGE: Was alle guten Regisseure miteinander verbindet. Die arbeiten so, als ob sie „Ben Hur“ inszenieren. Da wird auf das kleinste Moment geachtet. Das ist unheimlich fordernd, mitreißend und auch irgendwie rührend. Manchmal wirst du verrückt als Schauspieler, weil es über deine Kräfte geht. Auf der anderen Seite hilft es mir, künstlerisch zu überleben. Die Regisseure wollen vorführen, dass es auch anders geht, und gucken nicht auf die Quote. Wir würden genau dieselbe Quote erreichen, wenn wir leichtfertiger arbeiten.

Aber es beschäftigt Sie doch stark, diese ganze Quotendiskussion.

GEORGE: Ich gehe damit unheimlich locker um. Ich bin viel im Ausland, kriege die Ausstrahlung nicht mit, lese keine Kritiken und keine deutschen Zeitungen. Ich stehe irgendwo im Wald und bin da sehr glücklich. Das hängt mit meinem Alter zusammen: Ich habe diesen ganzen Quatsch hinter mir gelassen. Deswegen rede ich davon, damit alle kapieren: Es gibt noch welche, die nicht für die Quote arbeiten.

Wenn Sie nach einer längeren Pause aus dem Ausland wieder nach Deutschland kommen: Wie empfinden Sie dieses Land?

GEORGE: Immer unterschiedlich. Ich lasse alles langsam an mich herankommen und lasse mir erzählen, was passiert ist. Und wenn dann die Regierung wechselt und es heißt, die Merkel ist dran, dann sage ich: Ach, die Merkel ist dran, na und?

Scheint Sie nicht besonders zu interessieren.

GEORGE: Nein, es interessiert mich fast mehr, ob Berlusconi es durchsteht oder nicht. Weil da wird es ausgereizt, hier haben wir es noch mit der Demokratie zu tun. In Italien ist es spannender, das ist Mafia pur.

Das Interview führte Thomas Gehringer.

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